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Neue Chancen für ein NPD-Verbot: "Man müsste beweisen, dass Gewalt typisch ist"

Daniel Schneider/LTO-Redaktion

01.12.2011

Neue Chancen für ein NPD-Verbot

© ddp images/dapd

Nach der Festnahme eines Ex-Parteifunktionärs der NPD, der terroristische Gewaltakte unterstützt haben soll, sprechen plötzlich wieder alle vom NPD-Verbot. Dabei wurde dieses nach dem letzten in Karlsruhe gescheiterten Versuch fast einhellig als aussichtslos bewertet. Der damalige Vertreter der Bundesregierung Hans Peter Bull erklärt im LTO-Interview, wie realistisch die neue Hoffnung ist.

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LTO: Herr Professor Bull, Sie haben als damaliger Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung im NPD-Verbotsverfahren aus dem Jahr 2003 umfangreiche Kenntnisse des umstrittenen Problems.  Auch im August dieses Jahres bezweifelten Sie, dass ein erneuter Versuch erfolgversprechend wäre. Sie begründen das vor allem mit der Problematik der V-Leute in der Partei. Was bedeutet das konkret?

Bull: Die entscheidende Gruppe der Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hatte den Sachverhalt damals so bewertet, dass der Staat durch die vielen V-Leute in der Partei "präsent" sei. Diese "Staatspräsenz" stellte damals ein Verfahrenshindernis dar. Der Senat hat ausgeführt, dass der Staat vor einem neuerlichen Verbotsverfahren zunächst seine V-Leute zumindest aus der Führungsebene der Partei, zurückziehen müsse.

Die Richter vertraten damit die These, dass die "Staatspräsenz" "die rechtsstaatlich notwendige freie und selbstbestimmte Selbstdarstellung der Partei in dem Verfassungsgerichtsprozess" "unausweichlich verfälsche". Man vermutete, dass bestimmtes Parteihandeln eigentlich ein Handeln des Staates gewesen sei. Ich habe das stark kritisiert, weil diese V-Leute nur Informanten des Staates und zugleich "in der Wolle gefärbte" Neonazis sind, die ihr Verhalten in den Parteiorganen durch die Informantentätigkeit gar nicht ändern.

"Jetzt könnte sich etwas ändern"

LTO: Nach der Festnahme des Ex-Parteifunktionärs Ralf Wohlleben scheint sich die NPD immer mehr ein "Hort der Gewalt" herauszustellen. Wohlleben soll rechte Terroristen rund um die Zwickauer Terrorzelle unterstützt haben. Nun mehren sich die Stimmen, die mit diesen   Erkenntnissen ein neues NPD-Verbotsverfahren anstreben möchten. Ändert die neue Sachlage die Rechtslage, insbesondere in Bezug auf die V-Leute-Problematik?

Bull: Diese neue Meinung stützt sich auf eine bestimmte Passage in dem damaligen Beschluss des BVerfG. Dort steht, dass die Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verbotsverfahren nur für den Regelfall gelten. Wörtlich heißt es: "Einschränkungen zulasten der Verfahrensrechte der Antragsgegnerin und zugunsten zwingend erforderlicher Maßnahmen zur Abwehr akuter Gefahren mögen in extremen Ausnahmefällen geboten sein, etwa, wenn unter dem Deckmantel der Organisation als politische Partei Gewalttaten oder andere schwerwiegende Straftaten vorbereitet oder geplant werden." Damals sah das BVerfG noch keinen Anlass, solche Ausnahmesituationen anzunehmen.

Das könnte sich jetzt ändern. Das Zitat wird nun für die Einschätzung herangezogen, das damalige Verfahrenshindernis der V-Leute bestehe im konkreten Fall nicht mehr. Der Funktionär Wohlleben sei schließlich an Gewalttaten beteiligt.

LTO: Teilen Sie diese Auffassung?

Bull: Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Verständnis der Entscheidung für ein künftiges Verfahren alle Einwände von damals ausräumen kann. Ich wünsche es mir und finde es auch rechtlich vertretbar, das so zu sehen.

Allerdings bleiben zwei Fragen: Zunächst, ob mit dieser Deutung lediglich das Verfahren neu aufgerollt werden kann, oder ob auch in der Sache selbst durch das mutmaßliche Verhalten Wohllebens die aktiv-kämpferische Haltung der Partei gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung hinreichend belegt ist.

"Wohllebens Verhalten müsste typisch für die NPD sein"

Die Handlungen des Ex-Funktionärs müssen schließlich der Partei als Ganzes zugerechnet werden. Wenn dies lediglich die Tat eines "Ausreißers", also eines Einzelgängers sein sollte, würde es schwierig. Die Partei wird sicherlich sagen, dass das nur ein Einzelfall sei, den die anderen Mitglieder der Parteispitze missbilligt haben.

Das Verhalten von Wohlleben muss sich also als typisch für die Partei erweisen. Das muss vor einer erneuten Antragstellung geprüft werden. Ich muss gestehen, dass ich daran gewisse Zweifel habe. Die zitierte Formulierung des Gerichts bezieht sich überdies auf die Prävention zukünftiger Straftaten. Aktuell geht es aber um die Aufklärung begangener Straftaten.

Ich weiß allerdings nicht, welche Informationen die Behörden sonst noch haben und welche Pläne noch bestehen, so dass man unter Umständen über diese Hürde hinwegkommen kann.

LTO: Können Sie mit dem aktuellen Kenntnisstand eine Prognose wagen hinsichtlich der Erfolgschancen eines erneuten Verbotsverfahren gegen die NPD?

Bull: Wie gesagt, dafür müsste die aktiv-kämpferische Haltung der Partei belegt werden. Das könnte nun gelingen, aber ob es auch ohne den Einsatz und das Wissen von V-Leuten geht, kann ich nicht sagen. Das könnte ich nur beurteilen, wenn ich die noch nicht öffentlich bekannten Informationen hätte. Es kommt darauf  an, wie die Behörden ihre internen Erkenntnisse bewerten und wie es ihnen gelingt, diese Fakten in einer öffentlichen Verhandlung vor dem BVerfG darzustellen. Letztlich könnte es dann leider doch wieder auf Informationen von V-Leuten ankommen.

LTO: Herr Professor Bull, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Daniel Schneider.

 

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Daniel Schneider/LTO-Redaktion, Neue Chancen für ein NPD-Verbot: "Man müsste beweisen, dass Gewalt typisch ist" . In: Legal Tribune Online, 01.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4947/ (abgerufen am: 21.09.2023 )

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