Druckversion
Sonntag, 24.09.2023, 17:40 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bverfg-2bvf-121-einstweilige-anordnung-reform-wahlrecht-anwendbar-ueberhangmandate/
Fenster schließen
Artikel drucken
45725

Streit um Wahlrechtsreform: BVerfG lehnt Eil­an­trag der Oppo­si­tion ab

von Dr. Franziska Kring

13.08.2021

Plenarsaal des Bundestags von oben

Mirko - stock.adobe.com

Bei der Bundestagswahl im September werden die Regeln der umstrittenen Wahlrechtsreform angewendet werden. Das steht nach einer am Freitag veröffentlichten Entscheidung des BVerfG fest.

Anzeige

Mit am Freitag veröffentlichtem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von 216 Abgeordneten aus den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und FDP abgelehnt (Beschl. v. 20.07.2021, Az. 2 BvF 1/21). Die Antragstellerinnen und Antragsteller wollten erreichen, dass die von der großen Koalition im Oktober 2020 beschlossenen Änderungen des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) bei der Bundestagswahl im September nicht angewendet werden.

Dem hat das BVerfG jetzt einen Riegel vorgeschoben. Der Normenkontrollantrag sei zwar weder von vornherein unzulässig noch unbegründet. Die Karlsruher Richterinnen und Richter entschieden jedoch, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht derart überwägen, dass ein Eingriff in die Zuständigkeit des Gesetzgebers gerechtfertigt wäre.

Die Reform der großen Koalition war im Oktober 2020 mit dem Zweck verabschiedet worden, den auf 709 Abgeordnete angewachsenen Bundestag wieder zu verkleinern. Viele Fachleute bezweifelten jedoch die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen. So sollte es nach den neuen Regeln zunächst bei 299 Wahlkreisen bleiben, Überhangmandate einer Partei sollen teilweise mit ihren Listenmandaten verrechnet werden. Beim Überschreiten der Regelgröße des Bundestags von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden.

Faktische Auswirkungen bis zum Ende der Legislaturperiode

Nach Ansicht des BVerfG könnten die vorgesehenen Neuregelungen des BWahlG zwar in der Tat gegen das Bestimmtheitsgebot sowie das Gebot der Normenklarheit verstoßen und möglicherweise die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien verletzen. Bei einer Partei, die einen unausgeglichenen Überhang erzielt, entfallen dann auf jeden ihrer Sitze weniger Zweitstimmen als bei einer Partei, der dies nicht gelingt.

Die Folgenabwägung, die das BVerfG in seiner Entscheidung vorgenommen hat, spreche jedoch nicht für einen Eingriff in die Zuständigkeit des Gesetzgebers. Erweise sich das neue Sitzzuteilungsverfahren später wirklich als verfassungswidrig, hätte dies bei der kommenden Bundestagswahl zwar einen erheblichen Eingriff unter anderem in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien zur Folge, wie auch die Karlsruher Richterinnen und Richter sehen. Würde aber die einstweilige Anordnung erlassen, wäre § 6 BWahlG in der bis zum 18. November 2020 geltenden Fassung anzuwenden – und das hätte zur Folge, dass der Bundestag noch größer als bisher würde.

Nach § 6 Abs. 5 BWahlG a.F. würden die "Quasi-Überhangmandate" nämlich aus der ersten Verteilung vollumfänglich ausgeglichen. Wenn es die einstweilige Anordnung nun erlasse und sich der Normenkontrollantrag später als unbegründet entpuppe, dann entstünden Ausgleichsmandate gegen den Willen des Gesetzgebers, so das BVerfG. Zudem schüfe die einstweilige Anordnung nicht lediglich einen vorläufigen Zustand bis zur Entscheidung über die Hauptsache. Vielmehr entfalte die Nichtanwendung der Neuregelung auf die Bundestagswahl 2021 faktisch bis zum Ende der Legislaturperiode Wirkung. Aus diesen Gründen fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichts an einem eindeutigen Überwiegen der Gründe für den Erlass der einstweiligen Anordnung.

Das Hauptsacheverfahren läuft noch. Bei dem jetzt beschiedenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ging es ausschließlich darum, zu beurteilen, ob die neuen Regeln bei der Bundestagswahl angewandt werden dürfen. Jetzt steht fest, dass dies der Fall ist.

Mit Materialien der dpa

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Streit um Wahlrechtsreform: BVerfG lehnt Eilantrag der Opposition ab . In: Legal Tribune Online, 13.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45725/ (abgerufen am: 24.09.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Öffentliches Recht
    • Bundestag
    • Bundestagswahl
    • Politik
    • Wahlen
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
21.09.2023
Asyl

EU-Parlament blockiert Verhandlungen:

Bun­des­re­gie­rung hält Eini­gung auf Asyl­re­form für mög­lich

Das EU-Parlament macht die weiteren Verhandlungen über die Asylreform GEAS davon abhängig, dass sich die Mitgliedstaaten auf die Unterbringung von Flüchtlingen an den Außengrenzen einigen können. Die Zeit drängt.

Artikel lesen
21.09.2023
Korruption

Korrupte Mandatsträger:

Ver­schär­fung der Abge­ord­ne­ten­be­s­te­chung "auf der Ziel­ge­raden"

Seit Monaten verhandeln die Ampelfraktionen über eine Reform der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Jetzt steht man offenbar kurz vor dem Durchbruch. Noch in diesem Jahr sollen Strafverschärfungen in den Bundestag eingebracht werden.

Artikel lesen
24.09.2023
Bundeswehr

Gesetzentwurf zu Extremisten in der Bundeswehr:

Ver­fas­sungs­feinde sch­nell aus der Truppe ent­fernen

Drei Anläufe gab es bereits, nun versucht es auch Verteidigungsminister Pistorius: Die Bundeswehr soll schneller gegen Extremisten in den eigenen Reihen vorgehen können. Ob und wie das gelingen kann, erklärt Simon Gauseweg.

Artikel lesen
23.09.2023
Quizze

LTO-Rechtsquiz einmal anders:

Wie gut kennen Sie diese Serien und Filme mit Jura-Bezug?

Normalerweise fragen wir in unserem Rechtsquiz immer "hartes" Jura ab. Heute zeigen wir aber mal unsere weiche Seite und wollen von Ihnen wissen: Wie gut kennen Sie die folgenden Jura-Filme und Anwaltsserien?

Artikel lesen
22.09.2023
Staatsexamen

Tipps fürs Jurastudium:

So lernst Du mit Fällen fürs Examen

Karteikarten und Lehrbücher gehören auch dazu, am wichtigsten aber finden viele Jurastudierende das Lernen mit Fällen. Wo bekommt man für den eigenen Wissensstand geeignete Fälle her? Und was macht man dann mit denen? Hier gibt es Antworten.

Artikel lesen
22.09.2023
Beruf

Die Arbeit als Rechtsjournalist:

Über­setzer für die Gesell­schaft

Richter, Anwälte und Notare – die wohl bekanntesten juristischen Berufe. Ein weiteres Berufsfeld ist der Journalismus. Welche Aufgaben Rechtsjournalisten haben und was man dafür mitbringen muss, hat Vanessa Meilin Rolke recherchiert.

Artikel lesen
TopJOBS
As­so­cia­te (m/w/x) - En­viron­ment, Plan­ning, Re­gu­lato­ry

Freshfields Bruckhaus Deringer , Düs­sel­dorf und 2 wei­te­re

Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger - öf­f­ent­li­ches Recht (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Werk­stu­dent für LTO-News­desk (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Re­fe­ren­da­re (m/w/d) Öf­f­ent­li­ches Wirt­schafts­recht

Oppenhoff , Köln

RECHTS­AN­WALT (M/W/D) – RE­GU­LATO­RY, PU­B­LIC LAW & COM­PE­TI­TI­ON

Watson Farley Williams LLP , Frank­furt am Main

Rechts­re­fe­ren­da­re (m/w/d)

SammlerUsinger , Ber­lin

Se­nior Di­gi­tal Pro­duct Ma­na­ger - WKO (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Voll­ju­ris­tin­nen und Voll­ju­ris­ten (m/w/d)

Bundesamt für Verfassungsschutz , Ber­lin und 1 wei­te­re

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Workshop Restrukturierungs- und Insolvenzrecht

16.11.2023, Hamburg

BRL Get-together für Referendare, wissenschaftliche Mitarbeitende & Studierende

12.10.2023, Hamburg

Entdecken Sie unbekannte Module in RA-MICRO, um mehr Effektivität in Ihren Arbeitsalltag zu bringen

02.10.2023

RA-MICRO 365 Cloud – Sicherheit und Flexibilität auf höchstem Niveau!

02.10.2023

INCOTERMS2020 Train-the-Trainer

09.10.2023, Frankfurt am Main

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH