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BVerfG fordert strengere Regeln für Überwachung: Kon­struk­ti­ons­fehler im BND-Gesetz

von Dr. Markus Sehl

19.05.2020

Radardome in der BND-Überwachungsanlage in Bad Aibling

unununius - stock.adobe.com

Auch in Zukunft darf der BND Ausländer im Ausland abhören, auch Anwälte und Journalisten. Weil das derzeitige BND-Gesetz aber an einem schwerwiegenden Konstruktionsfehler leidet, muss es reformiert werden.

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Wesentliche Regelungen im BND-Gesetz zur strategischen Fernmeldeaufklärung im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst (BND) sind verfassungswidrig, das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Dienstag (Urt. v. 19.05.2020, Az. 1 BvR 2835/17).

Bei der sogenannten Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung durchforstet der Auslandsnachrichtendienst BND ohne konkreten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG haben BND-Mitarbeiter immer wieder betont, dass durch die Fernmeldeaufklärung ein ganz erheblicher Teil ihrer Information gewonnen wird. Vor allem für Erkenntnisse aus solchen Regionen sei das wertvoll, in denen die es besonders schwierig und gefährlich ist, mit Informanten zusammenzuarbeiten. Der BND soll die Bundesregierung schnell mit Informationen aus dem Ausland versorgen, damit sie außenpolitische Entscheidungen treffen kann.

Geklagt haben in Karlsruhe ausländische Journalisten und Menschenrechtler. Sie arbeiten in Mexiko, Guatemala oder Slowenien zu Themen von organisierter Kriminalität über Korruption bis hin zu Terrorismus. Alles Themen, für die sich auch der BND interessiert. Deshalb befürchten die Kläger, bei ihrer Arbeit auch ins Visier des BND zu geraten. Sie fürchten unter anderem um den Schutz ihrer Quellen.

BND darf trotz verfassungswidriger Regeln weiter überwachen

Die unmittelbaren Folgen für die Arbeit des BND sind zunächst überschaubar. Denn die Karlsruher Richter ließen die Regelungen trotz Verfassungswidrigkeit fortgelten. Bis zum Jahresende 2021 hat der Gesetzgeber nun Gelegenheit, die Fernmeldeaufklärung des BND neu zu regeln.

Der künftige Gerichtspräsident Stephan Harbarth rechtfertigte das bei der Urteilsverkündung mit dem "überragenden öffentlichen Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung im Interesse der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik".

Die BVerfG-Richter halten es in ihrem Urteil ausdrücklich für möglich, die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung verfassungskonform auszugestalten. Und sie machten dazu in der 140 Seiten langen Entscheidung zahlreiche Ausführungen. Zum Beispiel muss das Volumen der abgegriffenen Daten von vornherein vorgegeben sein. Verbindungsdaten dürfen höchstens ein halbes Jahr gespeichert werden. Die vertrauliche Kommunikation bestimmter Berufsgruppen wie Anwälte und Journalisten muss besonders geschützt werden. Sehr private und intime Inhalte, die den BND-Mitarbeitern ins Netz gehen, müssen unverzüglich gelöscht werden. Auch für den Datenaustausch und die Kooperation mit ausländischen Partnern machen die Richter Vorgaben.

Weltweite Grundrechtsbindung

Wenn man die Entscheidung verknappt zusammenfassen wollte, könnte man sagen, die Regeln zur strategischen Fernmeldeaufklärung im BND-Gesetz leiden an einem schwerwiegenden Konstruktionsfehler.

Die Richter des Ersten Senats entschieden zum ersten Mal ausdrücklich, dass der deutsche Staat in seinem Handeln immer an die Grundrechte gebunden ist – "unabhängig davon, an welchem Ort, gegenüber wem und in welcher Form", also auch im Ausland. Sie begründen das mit den neuen technischen Möglichkeiten und der weltweiten Vernetzung von Kommunikation.

Die Weichen dafür stellt das BVerfG, indem es ausdrücklich festhält, dass Art. 1 Abs. 3 GG eine umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte des Grundgesetzes begründet. "Der Anspruch eines umfassenden, den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundrechtsschutzes spricht vielmehr dafür, dass die Grundrechte immer dann schützen sollen, wenn der deutsche Staat handelt und damit potentiell Schutzbedarf auslösen kann – unabhängig davon, an welchem Ort und gegenüber wem", so das Urteil. Trotz dieser umfassenden Bindung deuten die Richter an, dass es einen Unterschied für die Schutzwirkung im Ausland machen kann, um welches Grundrecht es sich handelt.

Im konkreten Fall, den das BVerfG zu entscheiden hatte, ging es primär um das Telekommunikationsgeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 und die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GGin ihrer Abwehrdimension. Gerade diese Grundrechte können durch grenzüberschreitende, digitalisierte Kommunikation und neue technische Überwachungsmöglichkeiten gefährdet werden. Wenn der Überwachungsschutz des GG auf Augenhöhe mit den technischen Entwicklungen bleiben soll, dann kann er nicht an den Staatsgrenzen enden, so die Folgerungen des Urteils. In der Verkündung der Entscheidung am Dienstag nannte BVerfG-Vizepräsident Prof. Dr. Stephan Harbarth das Urteil einen "Spiegel seiner Zeit".

Ein folgenschwerer Konstruktionsfehler

Ist die deutsche Überwachung des Auslands aber auch an Grundrechte gebunden, dann ist das eine folgenschwere Erkenntnis für die Macher des BND-Gesetzes. Denn bei der Reform der Überwachungsregeln Ende 2016 waren die Gesetzgeber nicht davon ausgegangen, dass sie die Regeln für die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung an deutschen Grundrechten ausrichten müssen. Das BVerfG hat das nun zum ersten Mal so deutlich festgestellt.

Was das für die gesetzlichen Regeln bedeutet, ist klar: Sie leiden durchgängig an einem verfassungsrechtlichen Konstruktionsfehler. Wenn die Überwachung im Ausland an Grundrechten zu messen ist, dann ergeben sich daraus vor allem Konsequenzen für die Art und Weise wie Daten erhoben, verarbeitet und übermittelt werden und von wem wie das alles kontrolliert werden muss. Wie ein Folgefehler setzt sich das durch die Vorschriften fort.

Das Grundgesetz lasse eine globale und pauschale Überwachung ausländischer Kommunikation nicht zu. Deshalb muss der Gesetzgeber Vorgaben zum Volumen der auszuleitenden Daten machen und sicherstellen, dass das von der Überwachung abgedeckte geographische Gebiet begrenzt bleibt. Auch muss der Gesetzgeber bei der Zweckbestimmung nachbessern. Es muss klar werden, ob die BND-Überwachung der Gefahrenerkennung dienen soll oder eher der generellen Information der Bundesregierung über das Ausland.

Strengeres Aussortieren der Kommunikation von Anwälten und Journalisten

Auch weiterhin bleibt es möglich besonders vertrauliche Kommunikation zu überwachen – allerdings unter strengeren Voraussetzungen als bisher. Das betrifft vor allem Rechtsanwälte und Journalisten. In der mündlichen Verhandlung stellten leitende BND-Mitarbeiter ausführlich dar, was bereits jetzt schon getan wird, um zu verhindern, dass verbotenerweise die Kommunikation von Deutschen miterfasst wird. Dazu setzt der BND ein eigenes sogenanntes DAFIS-Filtersystem ein. Dieses Stufensystem soll etwa deutsche E-Mail-Adressen oder Verbindungen mit der Deutschlandvorwahl "+49" schon vorab aussortieren. Das Problem: Es gibt auch weniger eindeutige Fälle. Und gerade die Ausfilterung nach Berufsgruppen wie Anwälten oder Journalisten dürfte anspruchsvoller sein.

So fange der BND bei der Ausland-Ausland-Überwachung pro Tag rund 150.000 Kommunikationsdatensätze ein, also E-Mails oder Textnachrichten, die interessant sein könnten, so ein leitender BND-Beamter bei der mündlichen Verhandlung. Dafür sorgten ausgewählte Suchbegriffe, das laufe alles automatisch ab. Am Ende eines Tages blieben davon 250 interessante Meldungen übrig. Diese Aussortierung erfolge dann durch Mitarbeiter des BND. Sie lesen manuell E-Mails und Textnachrichten oder hören sich abgefangene Gespräche an.

An dieser Stelle gäbe es die Möglichkeit, so beschreiben es die BND-Beamten, lasse sich auch feststellen, dass durch die automatische Aussiebung eine Kommunikation erfasst wurde, die laut Gesetzeslage gar nicht hätte erfasst werden dürfen. Also zum Beispiel, wenn doch ein Deutscher an der Kommunikation beteiligt war. So eine Überwachung wäre dann nur nach den weiteren Voraussetzungen des sogenannten G-10-Gesetzes erlaubt. Solche Fehlerfassungen passierten in rund 30 Fällen pro Monat, sagte ein leitender BND-Beamter.

Der BND verfügt bereits jetzt über eine interne "Dienstvorschrift SIGINT". Sie enthält Vorgaben für die Nachrichtenauswerter: Was sind Anzeichen für eine Kommunikation mit Kernbereichsbezug oder die Annahme, dass ein besonders geschütztes Vertrauensverhältnis vorliegt? Fragen wie diese soll die Dienstvorschrift beantworten.

Die SIGINT-Anleitung verweist auf § 53 Strafprozessordnung (StPO), der Zeugnisverweigerungsrechte für Ärzte oder Anwälte regelt. BVerfG-Richter Prof. Dr. Henning Radtke fragte in der mündlichen Verhandlung nach, wie die BND-Auswerter zum Beispiel damit umgehen, dass nach § 53 StPO auch "Geistliche" in ihrer Kommunikation besonders geschützt würden. Wer aber für eine fremde Religionsgemeinschaft ein Geistlicher ist, sei alles andere als einfach zu bestimmen, gab Radtke zu bedenken. Die Dienstvorschrift des BND wird nach der Entscheidung des BVerfG ein Update gebrauchen können.

Kooperation mit anderen Geheimdiensten und unabhängige Kontrolle

Der angelegte Konstruktionsfehler schlägt auch auf die Regeln zur Kooperation des BND mit anderen Nachrichtendiensten durch. Die deutsche Seite muss sich in Zukunft noch genauer darüber vergewissern, dass der Partnerstaat sich selbst an rechtstaatliche Verfahren hält. Dabei geht es nicht nur um Datenschutz, sondern auch um die Einhaltung elementarer menschenrechtlicher Grundsätze.

Nachrichtendienste arbeiten im Geheimen, sie setzen eingriffsintensive Mittel ein, die dem Betroffenen verborgen bleiben und es auch müssen. An dieser Realität führt kein Weg vorbei, wenn ein Staat einen Nachrichtendienst einsetzt. Das BVerfG hat in seinem Urteil noch einmal klargestellt, dass es auf der anderen Seite aber eine entsprechend stark ausgestaltete Kontrolle geben muss. Sie hat zwei Funktionen: Zum einen das Rechtsschutzdefizit zu kompensieren – denn wer nichts davon weiß, überwacht zu werden, kann auch nicht dagegen klagen. Zum anderen sollen Kontrolleure zumindest stichprobenartig überprüfen, ob der laufende Geheimdienstbetrieb sich an die gesetzlichen Vorgaben hält.

Das BVerfG regt deshalb an, ein unabhängiges Gremium zu schaffen, dass sich durch ein eigenes Budget, eine eigene Personalhoheit sowie Verfahrensautonomie auszeichnet. Zwar mangelt es nicht an Kontrollgremien, die Reichweite ihrer Befugnisse und ihre Zusammenarbeit stehen aber immer wieder in der Diskussion. Neben dem sogenannten Unabhängigen Gremium beim Bundesgerichtshof kontrollieren die G10-Kommission des Bundestags sowie das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags und der Bundesdatenschutzbeauftragte den BND – jeder aber mit anderen Schwerpunkten und unter anderen Voraussetzungen.

Wie die Gesetzgeber dieses Zusammenspiel ausgestalten, ob sie etwa nach dem Vorbild in Großbritannien ein übergreifendes Gremium mit verschiedenen exekutiv und richterlich geprägten Kommissaren schaffen oder die Zusammenarbeit der eigenständigen Gremien stärken, wird sich zeigen. Bis Ende 2021 haben sie dafür nun Zeit.

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BVerfG fordert strengere Regeln für Überwachung: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41669 (abgerufen am: 10.11.2025 )

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