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Das BVerfG-Urteil zur BND-Auslandsüberwachung: Viel Arbeit für den Gesetz­geber

Gastbeitrag von Dr. Nikolaos Gazeas, LL.M.

22.05.2020

Gebäude des BND in Berlin

spuno - stock.adobe.com

Das BVerfG hat nicht nur die Grundrechtsbindung im Ausland geklärt. Es zwingt den Gesetzgeber auch, Informationsweitergabe und Kontrolle der Nachrichtendienste neu zu ordnen. Und hat den BND dabei sogar noch gestärkt, meint Nikolaos Gazeas.

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Mit dem Urteil zur Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon jetzt Rechtsgeschichte geschrieben. Denn das Gericht hat eine ganz zentrale Frage zur Reichweite der Grundrechte ausdrücklich entschieden: Der Grundrechtsschutz ist nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt. Aus Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) folgt vielmehr eine umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte des GG – auch wenn sie im Ausland und gegenüber Ausländern handelt. Für Grundrechte als Abwehrrechte gegen Überwachungsmaßnahmen steht das nun final fest.

Die Grundrechte als subjektive Rechte schützen dem Karlsruher Urteilsspruch zufolge immer dann, "wenn der deutsche Staat handelt" und zwar "unabhängig davon, an welchem Ort, gegenüber wem und in welcher Form." Damit stellt Karlsruhe richtigerweise den Menschen in den Mittelpunkt des Grundrechtsschutzes. Ganz anders haben dies die Bundesregierung und mit ihr der BND gesehen. Für Ausländer im Ausland sollten danach die Grundrechte des GG nicht gelten. Die Versuche, dies zu begründen, durften, ja mussten irritieren.

BVerfG vollendet Vorarbeiten aus G10-Urteil

Die Karlsruher Richter haben mit der Grundrechtsbindung staatlichen Handelns im Ausland die Voraussetzungen dafür geschaffen, "auch Grundrechtsgefährdungen durch neue technische Entwicklungen und sich hierdurch ergebenden Kräfteverschiebungen Rechnung tragen zu können". 

Das BVerfG geht hier wie so oft mit der Zeit und vollendet, was es 1999 mit dem sogenannten G10-Urteil begonnen hatte. Methodisch bleibt sich das Gericht treu. Auch 1999 waren es die technischen Entwicklungen, mit denen das Recht zeitlich mitzugehen hatte und denen das Gericht verfassungsrechtlich Rechnung trug, um dem gebotenen Schutz des Fernmeldegeheimnisses gerecht zu werden.   

Es ist ein Attribut des BVerfG, den Wortlaut einer Verfassung, die letztes Jahr ihr 70. Jubiläum gefeiert hat, stets im Lichte der Gegenwart und ihrer gegenwärtigen Anforderungen auszulegen und anzuwenden. Zutreffend stellt es daher fest: Die Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit sind – vor allem im Lichte drohender Terroranschläge und Cyberangriffe – verwundbarer geworden. Aber auch die Intensität des mit einer strategischen und damit anlasslosen Telekommunikationsüberwachung einhergehenden Grundrechtseingriffs ist aufgrund des digitalen Wandels gestiegen.

Beides ist dem Wandel der Zeit geschuldet. Und beidem wird das Verfassungsgericht in kluger Abwägung gerecht, ohne dabei die Arbeitsfähigkeit des BND zu gefährden. Denn die strategische, anlasslose Fernmeldeaufklärung als solche erklärt es für verfassungsmäßig. Sicherheit und Freiheit bringen die Richter – wie auch schon im BKA-Urteil 2016 – in eine ausgewogene Balance. 

Mehr Schutz auch für Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche

Mit dem Urteil einher geht eine ganz wesentliche Stärkung der Pressefreiheit – und damit des  für Presseorgane ganz essentiellen Quellenschutzes. Es geht jedoch auch darüber hinaus. Die besonderen Anforderungen, die das BVerfG aufgestellt hat, gelten auch für den Schutz von anderen Berufs- und Personengruppen, deren Kommunikation eine gesteigerte Vertraulichkeit verlangt. Das Verfassungsgericht erwähnt beispielhaft, aber nicht abschließend neben Journalisten auch Rechtsanwälte.

Die Kommunikation eines französischen Rechtsanwalts mit seinem Pariser Mandanten ist damit ebenso geschützt wie die eines sudanesischen Anwalts am Horn von Afrika mit seinen Mandanten. Eine Überwachung dieser Kommunikation ist nicht per se unzulässig. Für sie gelten vielmehr erhöhte, qualifizierte Eingriffsschwellen. Zum besonders geschützten Personenkreis zählen in verschiedenen verfassungsrechtlichen Abstufungen etwa auch Ärzte und Geistliche.

Offen – und spannend – bleibt die Frage, welche Folgen die Grundrechtsbindung im Ausland für andere Bereiche hat. Relevant wird das vor allem für Bundeswehreinsätze im Ausland.

Weitergabe von Informationen: Das BVerfG räumt auf

In der Urteilsbegründung steckt jedoch weit mehr als die Grundsatzentscheidung zur Grundrechtsbindung im Ausland. Das Gericht erklärt die wesentlichen Übermittlungsvorschriften im BND-Gesetz für verfassungswidrig – mit weitreichenden Folgen auch jenseits des BND.

Das sind Vorschriften, die regeln, wann und unter welchen Voraussetzungen der BND, aber auch die anderen Dienste, ihre Erkenntnisse an andere Stellen im In- und Ausland weitergeben dürfen oder gar müssen. Daneben macht das Gericht für die Kooperation des BND mit ausländischen Nachrichtendiensten konkrete verfassungsrechtliche Vorgaben. Schließlich werden für die  Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit wesentliche Bedingungen aufgestellt, die einer kleinen Revolution der nachrichtendienstlichen Kontrolle gleichkommen.

Das BVerfG räumt auch in einem anderen Bereich gehörig auf: Seit langem monieren Fachleuten die Übermittlungsvorschriften der Nachrichtendienstgesetze als verfassungsrechtlich unzureichend und auch sonst als unstimmig. So ist der BND zum Beispiel verpflichtet, Informationen über eine fremdenfeindliche Beleidigung an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln, solche über einen Mord ohne Staatsschutzbezug hingegen nicht. Das Gesamtkonzept der Übermittlungsvorschriften ist insgesamt inkonsistent.

Die Kritik stieß bislang bei den zuständigen Bundesministerien – allen voran dem Bundesinnenministerium – auf taube Ohren. Selbst klare Hinweise, die das BVerfG im Jahr 2013 in seinem Antiterrordatei-Urteil machte, beachtete man nicht. Nun hat Karlsruhe die Gelegenheit genutzt, um auch in diesem Punkt verfassungsrechtlich Klartext zu sprechen.

Der Gesetzgeber muss jetzt nachschärfen – nicht nur beim BND

Insgesamt genügen die Übermittlungsvorschriften den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, heißt es im Urteil. Die Strukturen sind an die Entwicklung der Rechtsprechung nicht hinreichend angepasst worden.

Die Übermittlung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen geht mit besonderen Gefahren für die Grundrechte der hiervon Betroffenen einher: Solange der BND eine Information nur nutzt, um die Bundesregierung zu unterrichten, kann betroffenen Personen nicht viel passieren. Wird die Information jedoch an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergegeben, können Handschellen klicken. Diese Zweckänderung ist bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Übermittlung und damit ihrer Zulässigkeit zu berücksichtigen. Was bei einem Mordverdacht erlaubt sein mag, ist beim Verdacht einer Sachbeschädigung noch lange nicht verhältnismäßig.

Wer überhaupt Adressat von Informationsübermittlungen sein darf, gerade, wenn diese ins Ausland gehen, muss hinreichend bestimmt geregelt sein. Ebenso, was dieser dann damit machen darf - oder eben auch nicht. Der Urteilsspruch aus Karlsruhe zwingt den Gesetzgeber nun, endlich nachzujustieren. Und zwar nicht nur beim BND.

Die wesentlichen Übermittlungsvorschriften aller deutschen Nachrichtendienste – neben dem BND das Bundesamt für Verfassungsschutz, alle 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz sowie der Militärische Abschirmdienst – sind im Kern gleich ausgestaltet und damit nach dem klaren Fingerzeig aus Karlsruhe ebenfalls als verfassungswidrig zu bewerten.

Die Kontrollen müssen wirksamer werden

Das BVerfG gibt in seinem Urteil nun den Maßstab vor: Eine Weitergabe von BND-Erkenntnissen an die Bundesregierung zur politischen Information und zur Vorbereitung von Regierungsentscheidungen ist weiterhin uneingeschränkt möglich. Erst wenn eine Zweckänderung erfolgt, gelten höhere Anforderungen. Das trägt dem Umstand Rechnung , dass Nachrichtendienste weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr oder eines strafprozessualen Anfangsverdachts tätig werden.

Und schließlich wird die Architektur der nachrichtendienstlichen Kontrolle nach diesem Urteil neu aufgestellt werden müssen. Und das ist gut so. Denn sie war und ist bislang unzureichend und an vielen Stellen defizitär. Sie ist, so das Verfassungsgericht, in konstitutioneller Eigenständigkeit zu gewährleisten. Das Karlsruher Gericht sympathisiert hier mit Modellen, die im Ausland – vor allem in Großbritannien – bereits existieren und sich dort bewährt haben.

Was den BND anbelangt, wird das Urteil auch eine andere Praxis beenden: Bislang wird Kontrolleuren – das sind im Wesentlichen institutionelle Gremien des Parlaments, beim BND und seiner Auslandsüberwachung, zusätzlich aber auch ein Unabhängiges Gremium – häufig die Kontrolle verwehrt. Das Argument, man habe dem ausländischen Dienst, von dem die Informationen stammen, Vertraulichkeit zusichern müssen (sog. Third-Party-Rule), darf künftig die Kontrolle nicht mehr behindern.

Die Arbeitsfähigkeit des BND fest im Blick behalten

Der Richterspruch aus Karlsruhe setzt nicht nur zweifelhaften Praktiken des BND bei seiner Überwachung von Ausländern im Ausland und beim Umgang mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen ein Ende. Er stößt auch eine Neukonstruktion der nachrichtendienstlichen Informationsweitergabe und Kontrolle an.

Bei alledem gibt es keinen Grund zur Sorge: Karlsruhe hat ausgewogen geurteilt. Die Arbeitsfähigkeit des BND haben Deutschlands höchste Richter stets fest im Blick behalten. Mehr noch: Das Verfassungsgericht hat den BND gestärkt, indem es seine strategische Fernmeldeaufklärung nicht nur im Grundsatz mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt, sondern auch deren große Bedeutung für die außenpolitische Handlungsfähigkeit und für die Sicherheit der Bundesrepublik unterstrichen hat.

Bei alledem darf man jedoch eines nicht aus dem Auge verlieren: Erneut musste Karlsruhe ein verfassungswidriges Sicherheitsgesetz auf die rechte Bahn lenken. Und erneut waren es Bürgerrechtler, die den Anstoß dazu geben mussten. Das Urteil zeigt, dass strategische Prozessführung, wie sie hier die Gesellschaft für Freiheitsrechte klug betrieben hat, funktioniert. Sie verdient für die Zukunft mehr Beachtung. Am rechtsstaatlichen Ziel angekommen sind wir aber erst dann, wenn es solcher Initiativen nicht mehr bedarf, weil der Gesetzgeber seine Arbeit von sich aus und von Beginn an richtig macht.  

Der Autor Dr. Nikolaos Gazeas, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner der auf das Strafrecht spezialisierten Kanzlei Gazeas Nepomuck in Köln. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln, wo er u.a. eine Vorlesung zum Nachrichtendienstrecht hält. Zudem ist er regelmäßig als Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren im Strafrecht und Sicherheitsrecht involviert.

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Das BVerfG-Urteil zur BND-Auslandsüberwachung: Viel Arbeit für den Gesetzgeber . In: Legal Tribune Online, 22.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41696/ (abgerufen am: 30.05.2023 )

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