"Heute leben wir im schönsten und besten Deutschland, das wir je hatten", behaupten CDU und CSU. Nicht alle Parteien sind so begeistert. Für Arbeitnehmer, Familien und Verbraucher könnte sich nach der Wahl einiges ändern – oder auch nicht.
Den Wahlkampf beherrschen die großen Themen wie die innere Sicherheit oder die Haltung zur EU und der Umgang mit Flüchtlingen. Doch es gibt auch noch andere Reformprojekte, die zwischen den Parteien umstritten sind.
Ein Thema, das wohl jede neue Regierung beschäftigen wird, ist ein moderneres Arbeitsrecht. Arbeitsrechtler fordern schon lange, die komplizierten, oft von der Rechtsprechung bereits überholten Regelungen an eine moderne Arbeitswelt anzupassen. Das Stichwort "Arbeit 4.0" hat etwa der Deutsche Juristentag vor einem Jahr diskutiert und zahlreiche Reformen gefordert.
Flexibleres Arbeitsrecht
Es geht insbesondere darum, einen neuen rechtlichen Rahmen für flexiblere Arbeitszeiten zu schaffen. "Wir werden das Arbeitszeitrecht so modernisieren, dass die Tarifpartner zusätzliche Spielräume zur Flexibilisierung, wie sie die europäische Arbeitszeitrichtlinie eröffnet, im Rahmen von Tarifverträgen nutzen können", kündigt die Union an. Die Wochenarbeitszeit solle sich dadurch nicht erhöhen. Die SPD will ein Wahlarbeitszeitgesetz auf den Weg bringen, "in dem Rechtsansprüche der Beschäftigten, finanzielle Unterstützung in bestimmten Lebensphasen und Anreize für die Aushandlung betrieblicher Wahlarbeitskonzepte miteinander verzahnt sind."
Ein wichtiger Baustein sei hierbei "das Recht, nach einer Phase der freiwilligen Teilzeitarbeit auf die frühere Arbeitszeit zurückzukehren", betont die SPD. Das betrifft vor allem Frauen, die deutlich häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer – oft um mehr Zeit für die Familie zu haben. Wenn sie dauerhaft bei der Teilzeitarbeit bleiben, erhalten sei allerdings meist nur eine niedrige Rente. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wollte das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit noch vor der Wahl regeln, konnte sich jedoch mit der Union nicht einigen. Während Nahles' Gesetz schon für Betriebe mit fünfzehn Mitarbeitern gelten sollte, wollten CDU und CSU nur Betriebe mit mindestens 200 Mitarbeitern verpflichten. Sollte es mit einer Großen Koalition weitergehen, wird sie hier einen Kompromiss finden müssen. Grüne und Linke fordern ebenfalls ein Rückkehrrecht nach Teilzeit auf den früheren Stundenumfang.
Union, SPD und FDP setzen auf sogenannte "Familien- und Lebensarbeitszeitkonten" (Union) bzw. betriebsübergreifende "Langzeitkonten" (SPD und FDP), um mehr oder weniger arbeitsintensive Phasen langfristig zu verteilen. Die Grünen schlagen einen "Vollzeit- Arbeitszeitkorridor im Bereich von 30 bis 40 Stunden" vor. Innerhalb dieses Stundenkorridors sollen Beschäftigte – mit bestimmten Ankündigungsfristen – ihren Arbeitszeitumfang frei bestimmen können. Nur dringende betriebliche Gründe sollen die Anpassung der Stundenzahl verhindern können. Die Linken wollen perspektivisch eine "kurze Vollzeit, die um die 30-Stunden-Woche kreist."
Mehr Frauen in Führungspositionen
Frauen verdienen weniger als Männer, auch dann wenn es um vergleichbare Qualifikationen und Tätigkeiten geht. Die Große Koalition hat deshalb mit dem Entgelttransparenzgesetz versucht, diesem Problem entgegenzusteuern. Die SPD will das zu einem "Entgeltgleichheitsgesetz" weiterentwickeln, das auch ein Verbandsklagerecht enthalten soll. Außerdem sollen kleine und mittlere Betriebe mit einbezogen werden – das fordern auch die Grünen. Die Linke will sich ebenfalls für ein "verbindliches Entgeltgleichheitsgesetz" einsetzen und außerdem den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen.
SPD, Grüne und Linke wollen die Frauenquote in Unternehmen und Aufsichtsräten ausweiten, Ziel ist eine Frauenbeteiligung von fünfzig Prozent. Auch die Union will "mehr Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft und Verwaltung" und dafür "weitere Anstrengungen" unternehmen. Die FDP spricht sich gegen gesetzliche Frauenquoten aus: "So werden Frauen zu Platzhaltern degradiert und nicht entsprechend ihrer Leistungen gewürdigt", heißt es in ihrem Wahlprogramm. "Wir setzen vielmehr auf Anreize für die Unternehmen, verbindliche Berichtspflichten und transparente Selbstverpflichtungen."
Die AfD lehnt Frauenquoten und "Propagandaaktionen" wie den "Equal Pay Day" ab". "Gender-Ideologie" stehe im Widerspruch zum Grundgesetz, das die "klassisch verstandene" Ehe und Familie schütze, weil nur diese "das Staatsvolk als Träger der Souveränität hervorbringen kann."
2/2 Viel Geld für Familien
Alle Parteien werben um die Familien – mit viel Geld. Zurzeit bekommen Eltern für das erste und zweite Kind je 192 Euro im Monat, für das dritte und vierte etwas mehr. Die Union verspricht zunächst 25 Euro mehr, die Linke will 328 Euro für jedes Kind zahlen. SPD, Grüne und FDP wollen stärker das Einkommen der Eltern berücksichtigen und einkommensschwache Familien zusätzlich fördern. Die AfD will Familien vor allem steuerlich entlasten, indem das Familieneinkommen vor der Versteuerung auf die Familienmitglieder verteilt wird. Damit soll wohl vor allem das Alleinverdiener-Modell gestärkt werden: "Es muss wieder möglich sein, dass eine Familie mit kleinen Kindern von einem Gehalt leben kann." Denn laut AfD fühlen sich Kinder unter drei Jahren "am wohlsten, wenn sie durch die eigenen Eltern betreut werden."
Dagegen stehen die übrigen Parteien dazu, Betreuungsangebote für Kinder auszubauen. Union, SPD, Grüne und Linke wollen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter, SPD und Linke außerdem Kita-Gebühren abschaffen. Die SPD will das Elterngeld so umgestalten, dass insbesondere Familien, in denen beide Eltern 75 bis 90 Prozent arbeiten, profitieren, die Grünen wollen eine "KinderzeitPlus" einführen, womit Eltern insgesamt für 24 Monate finanzielle Unterstützung bekommen. Eher eine theoretische Diskussion ist die Frage, ob Kinderrechte ausdrücklich ins Grundgesetz aufgenommen werden sollten: Union, SPD und Grüne sind dafür.
Musterklage für Verbraucher
Die SPD will die Klagerechte von Verbrauchern stärken und schon in den ersten hundert Regierungstagen die Musterfeststellungsklage auf den Weg bringen, wie Kanzlerkandidat Martin Schulz in der ARD ankündigte. Eigentlich ein Projekt von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), das allerdings am Widerstand der Union scheiterte. Verbraucherverbände sollen so in einem Musterverfahren Streitigkeiten klären können, die viele Verbraucher betreffen. Die Union ist zwar nicht grundsätzlich dagegen, hielt den Entwurf aus dem Bundesjustizministerium jedoch für unausgereift. Sie fürchtet eine "Klageindustrie nach US-Vorbild" und will ausschließen, dass ausländische Großkanzleien über Verbrauchervereine aus dem EU-Ausland, die als "Strohmänner" fungieren könnten, hier klagen.
Grüne und Linke wollen über den SPD-Vorschlag noch hinausgehen und eine Gruppenklage einführen, bei der sich Verbraucher zusammenschließen können, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Die AfD nennt keine konkreten Vorhaben, sieht die Gefahr für die Verbraucher aber vor allem darin, dass die Verbraucherschutzpolitik "in hohem Maß EU-gesteuert ist" und will sich deshalb für eine "Renationalisierung des Verbraucherschutzes" einsetzen.
Umstrittene Mietpreisbremse
Die Mietpreisbremse bleibt umstritten – erst recht, nachdem das Landgericht Berlin sie in einem Beschluss als verfassungswidrig bezeichnet hat. Bisher hatte das Bundesverfassungsgericht allerdings keine Gelegenheit sich dazu zu äußern. Zudem dürfte es verschiedene Wege geben, den Bedenken zu begegnen, die Mietpreisbremse verstoße gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz.
SPD, Grüne und Linke wollen die bestehenden Regelungen verschärfen, mehr Transparenz für die Mieter und weniger Ausnahmen für die Vermieter zulassen. Die FDP und die AfD wollen sie abschaffen, weil so Investitionen verhindert würden. Nur CDU und CSU erwähnen das Wort "Mietpreisbremse" in ihrem Wahlprogramm nicht. Hier heißt es lediglich, man wolle jedenfalls keine Gesetze verabschieden, "die dazu führen, dass Mieten steigen". Das soll wohl heißen: Im Zweifelsfalle bleibt es bei dem mit der SPD in der letzten Legislaturperiode gefunden Kompromiss. Die Christdemokraten fühlen sich offenbar im "schönsten und besten Deutschland" ohnehin schon wohl.
Annelie Kaufmann, Bundestagswahl 2017: So schön und gut wird es nach der Wahl . In: Legal Tribune Online, 21.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24649/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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