Mit BGH-Urteil vom 30.01.1967 entkam die bayerische Regierung einem Skandal um einige NS-Freizeitimmobilien, die sie zu günstig an einen Hotelier verkaufte. Das Verbot, Staatseigentum zu verschleudern, hat es leider nicht populär gemacht.
Gestützt auf eine etwas entlegene Bestimmung der bayerischen Verfassung von 1946 wies der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 30. Januar 1967 (Az. III ZR 35/66) eine Klage des Hotellerie-Unternehmens Steigenberger ab. Damit ging eine kuriose Affäre um einen wertvollen Immobilienbestand zu Ende, den sich die Führung des NS-Staats im sogenannten "Führersperrgebiet Obersalzberg" hatte einrichten lassen.
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs besetzten US-Truppen den Landkreis Berchtesgaden. Seit 1923 war die Ortschaft Obersalzberg das bevorzugte Feriengebiet Hitlers gewesen. Nach der Machtübergabe 1933 hatte sich die Führungsregie des Regimes hier weitere Erholungs- und Repräsentations-Immobilien eingerichtet.
Zwar war das Immobiliar durch Kriegshandlungen, abziehende SS-Truppen und Plünderungen beeinträchtigt, eine ganze Anzahl von Gebäuden schien der US-Besatzungsmacht jedoch hinreichend attraktiv: Die Militärregierung nahm sie in Beschlag und übertrug das Eigentum 1948 und 1949 auf den Freistaat Bayern. Genutzt wurden die Gebäude jedoch weiterhin von amerikanischen Stationierungsstreitkräften, nicht zuletzt zu Erholungszwecken.
Bayern verkauft nach Abzug der US-Truppen
Es wurde offenbar nie geklärt, ob es ein Gerücht oder eine gezielte Fehlinformation war, mit der 1957 die später sogenannte Steigenberger-Affäre um den Immobilienbestand des vormaligen Führersperrgebiets begann. Jedenfalls beabsichtigte das US-Militär angeblich, den Standort Berchtesgaden/Obersalzberg zu verlassen.
Für die Inanspruchnahme seines Eigentums durch die US-Streitkräfte bezog der Freistaat Bayern zu dieser Zeit eine Nutzungsentschädigung aus Mitteln des Bundes, der insoweit für den Aufenthalt der westlichen Siegermächte und späteren Verbündeten aufkam.
Das Gerücht vom Abzug der Amerikaner gab der bayerischen Staatsregierung – die zwischen 1954 und 1957 von einer Koalition aus SPD, Bayernpartei, FDP und dem "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten" getragen wurde – Anlass, den Immobilienbestand an den Hotellerieunternehmer Albert Theodor Steigenberger (1889–1958) zu veräußern. Betroffen waren die Hotels Platterhof, Berchtesgadner Hof, Bellevue, Gutshof Obersalzberg, "Deutsches Haus", "Landhaus Speer" und die Pension Göllhäusl mit rund 225.000 Quadratmetern, Wald, Golfplatz und dergleichen mehr.
Millionenvermögen wird verschleudert
Zum Wert dieser Immobilien kursieren unterschiedliche Beträge. Zu Steuerzwecken soll er 1957 mit rund fünf Millionen Mark taxiert worden sein, der Verkehrswert auf 20 Millionen Mark. Für das Jahr 1964 will das Magazin Der Spiegel von einem Schätzwert von 50 Millionen Mark erfahren haben, möglicherweise eine journalistische Übertreibung.
Dessen ungeachtet belief sich der 1957 vereinbarte Kaufpreis für Steigenberger auf gerade einmal drei Millionen Mark, erst ab dem 1. September 1958 in jährlichen Raten von 300.000 Mark zu zahlen. Soweit der Freistaat dem Bund die Kosten für wertsteigernde Einbauten der Amerikaner würde erstatten müssen, wäre Steigenberger hier mehr oder minder ebenfalls in der Pflicht gewesen.
Die vom Bund geleisteten Nutzungsentschädigungen für den US-Truppenbetrieb flossen mit Vertragsschluss 1957 stattdessen auch an Steigenberger, zusammen mit anderen staatlichen Leistungen rund 788.000 Mark – und zwar bevor der Hotelier überhaupt seine erste Rate zahlen musste. Verzinst wurde die Schuld im Übrigen mit sehr komfortablen zwei Prozent Jahreszins, marktüblich war seinerzeit ein Mehrfaches.
Bund steigt aus bayerischem Geschäft aus
Der Landesrechnungshof konnte dem Geschäft wenig abgewinnen, der Bund stellte sich seit dem 1. Dezember 1958 quer und zahlte keine Nutzungsentschädigung mehr an Steigenberger.
Das Landgericht Traunstein gab Steigenberger mit Urteil vom 17. Oktober 1963 im Wesentlichen Recht, das Oberlandesgericht München wies am 10. Dezember 1964 auch die Berufung der Bundesrepublik Deutschland zurück. Konkret begehrte das Hotelunternehmen für den Monat Dezember 1958 eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 103.602,33 Mark nebst Zinsen, hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagte für die Nutzung der Immobilien durch die US-Stationierungsstreitkräfte eine näher festzusetzende Entschädigung zu zahlen habe.
Erst der BGH wies mit Urteil vom 30. Januar 1967 die Klage Steigenbergers unter Aufhebung und Abänderung der Urteile des Land- und des Oberlandesgerichts ab.
2/2: Steigenberger durch Freistaat quasi beschenkt
Der BGH fasste die Vorteile des Geschäfts für die Firma Steigenberger wie folgt zusammen:
"Sie zahlte dafür den Festpreis von 3 Millionen DM, der sich ungünstigenfalls auf 3,75 Millionen DM erhöhen konnte, jedoch nur in 10 gleichen Jahresraten, und hatte den Freistaat Bayern von etwa bestehenden Ausgleichsforderungen zu befreien, jedoch erst nach der Freigabe seitens der Besatzungsmacht. Dieser sofortige Übergang der Nutzungen auf die Klägerin einerseits und die langfristige Stundung des Festkaufpreises zu dem sehr niedrigen Zinssatz von 2% sowie die 'Fälligkeit' der Freistellungsverpflichtung zu dem ungewissen Zeitpunkt der Freigabe, also möglicherweise (hier sogar naheliegender Weise) erst längere Zeit nach Vertragsschluß, bedeutete, daß die Klägerin die Nutzungen erhielt, ohne den Gegenwert bereits geleistet zu haben."
Dem Freistaat Bayern, so der BGH, sei ein derart ungünstiges Geschäft durch Artikel 81 der Landesverfassung verboten. Sein Wortlaut: "Das Grundstockvermögen des Staates darf in seinem Wertbestand nur auf Grund eines Gesetzes verringert werden. Der Erlös aus der Veräußerung von Bestandteilen des Grundstockvermögens ist zu Neuerwerbungen für dieses Vermögen zu verwenden."
Verschleuderungsverbot selten vor Gericht
Eine ähnliche Vorschrift hatte auch schon die bayerische Verfassungsurkunde von 1919 enthalten, zur Anwendung war sie jedoch augenscheinlich noch nicht gekommen.
Dass es sich bei den vormaligen NS-Freizeitimmobilien um ein "Grundstockvermögen" handelte, war soweit klar, dass sich der BGH mit keiner förmlichen Subsumtionsübung aufhielt – in aller Regel zählten hierzu Vermögensgegenstände, die nicht alsbald nach ihrem Erwerb wieder veräußert werden sollen. Kniffliger war hingegen die Frage, ob das Verbot der Landesverfassung nur die Staatsorgane selbst betrifft und ob und wie weit Vertragspartner vom Verbot betroffen sind.
Hierzu orientierte sich der BGH an der Rechtsauffassung, die sich zu vergleichbaren Verboten im Kommunalverfassungsrecht gebildet hatte, insbesondere zu einer Vorschrift der Preußischen Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853. Ihr zufolge wirkte der Verstoß gegen Formvorschriften der Kommunalverwaltung auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch.
Nach Auffassung des BGH war auch Artikel 81 der Bayerischen Landesverfassung in diesem Sinn zu verstehen, so dass "das Veräußerungsgeschäft (Kaufvertrag und die Auflassung) deshalb der rechtlichen Wirksamkeit ermangelt. Die Klägerin muß diese verfassungsrechtliche Regelung gegen sich gelten lassen, ohne sich etwa auf guten Glauben hinsichtlich der Vertretungsmacht der Organe des Freistaats Bayern berufen oder den Einwand der Verletzung von Treu und Glauben erheben zu können."
Nachspiele bayerischer Staatsaffären
Mit der normativen Auskunft, dass der Staat nichts verschenken dürfe, kam der Freistaat Bayern folglich wieder in das sichere Eigentum der Immobilien im vormaligen Führersperrgebiet. Vollständig ausziehen sollten die US-Streitkräfte aber erst in den 1990er Jahren.
Zwei Jahre nach dem BGH-Urteil verständigten sich Steigenberger und der Freistaat Bayern nach Angaben des Spiegels (Heft 46/1969) auf eine (Rück-)Zahlung von fünf Millionen Mark an das Hotellerie-Unternehmen. Darin sollen auch 250.000 Mark enthalten gewesen sein, die 1957 an Josef Panholzer (1895–1973), Staatssekretär im Finanzministerium gezahlt worden waren – ein nur mutmaßliches Schmiergeld, das der Politiker der Bayernpartei in den Wiederaufbau der zerstörten Münchener Residenz gesteckt hatte.
Obwohl der Grundsatz "Der Staat darf nichts verschenken!" das Zeug zur Faustformel für das Verhältnis zwischen geschäftstüchtigen Bürgern und – im Mindesten unbedarften – Staatsdienern hätte, ist der Steigenberger-Fall des BGH nie recht populär geworden. Das mag damit zu tun haben, dass die Verfügungsgewalt über staatliche Vermögensgegenstände nicht überall so scharf akzentuiert wurde wie es der BGH mit Artikel 81 der bayerischen Landesverfassung tat.
Vermutlich blieb der Fall aber auch schlicht im Schatten der zeitgleichen, ungleich berüchtigteren bayerischen Spielbank-Affäre zurück - auch diese eine Frucht des kurzen Intermezzos einer SPD-geführten Regierung des Freistaats. Deren juristisches Nachspiel zog mehr Aufmerksamkeit auf sich, traf in seinem Verlauf den späteren CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU, 1925¬–2012) doch ein unschöner Freispruch vom Vorwurf des Meineids wegen verminderter geistiger Leistungsfähigkeit und wurden doch führende Bayernpartei-Politiker mit Strafverfahren überzogen.
Lesetipp: Der jüngst verstorbene Rechtsanwalt Heinrich Senfft (1928–2017) hinterließ mit seinem Buch "Glück ist machbar" ein "politisches Lehrstück" zu den Skandal- und Rechtsgeschichten Bayerns in den 1950er und 1960er Jahren. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 1988.
Der Autor Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Bayern und das Steigenberger: Streit um Hitlers Urlaubsparadies . In: Legal Tribune Online, 29.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21917/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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