Noch nie gab es in einem Jahr so viele Konkurrentenklagen gegen Entscheidungen des Richterwahlausschusses wie 2014. Die Präsidenten der obersten Bundesgerichte erhoffen sich daher Hilfe von der Politik, um die Funktionsfähigkeit ihrer Gerichte zu sichern. Doch die zeigt sich noch reserviert, hat Christian Rath recherchiert.
Der Richterwahlausschuss wählt an diesem Donnerstag 22 Richter für die fünf obersten Gerichtshöfe des Bundes: den Bundesgerichtshof (BGH), das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), den Bundesfinanzhof (BFH), das Bundesarbeitsgericht (BAG) und das Bundessozialgericht (BSG). Der Ausschuss besteht aus 32 Mitgliedern, 16 davon sind die Justizminister der Länder, die anderen 16 werden vom Bundestag bestimmt. Die Wahl der Verfassungsrichter erfolgt dagegen in anderen Gremien.
Der Richterwahlausschuss muss in einer Wahlsitzung über Dutzende von Personalvorschlägen entscheiden. Vorschlagsberechtigt sind nur die Mitglieder des Ausschusses. Für jeden der Kandidaten liegt ein Votum vor, das der Präsidialrat des betroffenen Bundesgerichts abgegeben hat und das der Ausschuss bei seiner Wahl berücksichtigt.
In der Geschichte der Bundesrepublik wurden die Entscheidungen des Richterwahlausschusses erst sechs Mal per Klage angegriffen, davon drei Mal im Vorjahr.
Drei Klagen im Jahr 2014
Wohl die erste dieser drei ist die Klage von Stefanie Roloff vom Landgericht (LG) Berlin gegen die Richterwahl im Mai 2014. Sie war vom BGH-Präsidialrat als "herausragend geeignet" eingestuft worden, ging im Richterwahlausschuss aber leer aus, wie schon in den beiden Jahren zuvor. Dagegen wurden Kandidaten mit schlechteren Voten gewählt. Sie rief daraufhin das Verwaltungsgericht (VG) Berlin an und forderte Einsicht in die Unterlagen des Richterwahlausschusses. Eine einstweilige Anordnung des VG Berlin blockierte zeitweilig die Besetzung von bis zu acht Richterstellen am BGH. Bei der nächsten Richterwahl im November 2014 wurde Roloff dann gewählt. Damit war sie klaglos gestellt und der Rechtsstreit hatte sich erledigt.
Michael Balke, Richter am niedersächsischen Finanzgericht und bekannt durch diverse Richtervorlagen (unter anderem zum Solidaritätszuschlag), hatte sich selbst beim Richterwahlausschuss beworben, obwohl das nicht vorgesehen ist. Dementsprechend wurde er nicht gewählt, wogegen er das VG Hannover anrief und so die Besetzung von bis zu vier Richterstellen am BFH blockierte. Das VG lehnte seinen Eilantrag im Dezember ab, weil kein Rechtschutzbedürfnis bestehe. Balke gehe es weniger um die eigene Wahl als um Kritik am Wahlverfahren. Das OVG Lüneburg bestätigte dies im Februar 2015. Inzwischen hat Balke das Bundesverfassungsgericht angerufen.
Erik Goetze ist Präsidialrat am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und war aus CDU-Kreisen als BGH-Richter vorgeschlagen worden. Der BGH-Präsidialrat hatte ihn allerdings als "nicht geeignet" eingestuft, wobei es vor allem um seine richterliche Erfahrung ging. Auch er wurde im Mai 2014 im Richterwahlausschuss nicht gewählt. Goetze klagte deshalb beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, vor allem gegen das Votum des BGH-Präsidialrats und stellte im September einen Eilantrag gegen die Ernennung anderer Richter. Justizminister Maas ernannte im November 2014 dennoch sechs neue BGH-Richter. Da Goetze seinen Eilantrag erst vier Monate nach der Richterwahl erhoben habe, sei die Berufung auf Eilbedürftigkeit rechtsmissbräuchlich, hieß es im Justizministerium. Der BGH-Präsidialrat gab Goetze zwar eine neue Chance, sich zu präsentieren, diese konnte er aber wohl nicht nutzen. Inzwischen wurde der Rechtstreit beidseitig für erledigt erklärt.
Die Voten werden ausführlicher – und angreifbarer?
Außer der Verfassungsbeschwerde von Balke sind damit derzeit alle Konkurrentenklagen im Zusammenhang mit den Richterwahlen von 2014 erledigt. Doch das kann sich nach der heutigen Wahl schnell wieder ändern. Früher waren Klagen gegen Entscheidungen des Richterwahlausschusses eine Seltenheit. In den bisherigen Jahrzehnten gab es nur drei davon.
Am bekanntesten ist der Fall von Wolfgang Neskovic, der 2001 vom Richterwahlausschuss zum BGH-Richter gewählt wurde. Zuvor war Neskovic Vorsitzender Richter am LG Lübeck, bekannt durch seine BVerfG-Vorlage zum "Recht auf Rausch". Er war gewählt worden, obwohl der BGH-Präsidialrat seine fachliche Eignung nicht bejaht hatte. Gegen Neskovics Wahl klagte Olaf Hoepner, Richter am Oberlandesgericht Schleswig. Er erreichte eine einstweilige Verfügung des VG Schleswig, die vom OVG Schleswig bestätigt wurde. Begründung des OVG: Das Land Schleswig-Holstein habe Hoepners Verfahrensrechte nicht gewahrt, weil es ihn vor der Wahl ohne Rücksprache von der Bewerberliste zurückgezogen hatte.
Der Richterwahlausschuss gab aber nicht nach und wählte Neskovic 2002 ein zweites Mal. Diesmal blieb Hoepner bis zum Schluss auf dem Stimmzettel und bekam null Stimmen. Hoepner klagte erneut, denn er sei besser qualifiziert als Neskovic. Diesmal akzeptierten die Schleswiger Gerichte jedoch das Wahlergebnis. Der Richterwahlausschuss habe einen großen Beurteilungsspielraum, hieß es zur Begründung.
Daneben gab es bislang nur eine weitere Konkurrentenklage gegen Richterwahlen. Ein LAG-Richter klagte 2001, weil der Richterwahlausschuss drei nur erstinstanzliche Arbeitsrichter zu BAG-Richtern gewählt hatte. Auch diese Klage blieb erfolglos.
Die aktuelle Zunahme der Konkurrentenklagen auf Bundesebene dürfte eine mittelbare Folge des Neskovic-Konflikts sein. Denn seit damals werden die Voten der Präsidialräte ausführlicher begründet. Sie wirken damit fast wie eine Beurteilung der Kandidaten im Rahmen der sonst üblichen Bestenauslese. Das scheint wiederum die Hemmschwelle zu senken, einen politischen Akt wie die Wahl im Richterwahlausschuss mit der Konkurrentenklage anzugreifen.
2/2: Die Sorgen der Präsidenten
In der Landesjustiz gibt es zwar deutlich mehr Konkurrentenklagen. Doch dort kann man sich mit landesinternen Abordnungen helfen und die entstandenen Lücken provisorisch füllen. Die blockierten Stellen an Bundesgerichten bleiben dagegen wirklich frei. Und da meist gleich die ganze Riege der für ein Gericht gewählten neuen Richter blockiert ist, sind die so entstehenden Lücken schnell sehr schmerzhaft.
Die Präsidenten und Präsidentinnen der fünf obersten Bundesgerichte bitten deshalb die Politik um Hilfe. Eine Maßnahme könnte sein, solche Konkurrentenklagen am Bundesverwaltungsgericht zu konzentrieren. Zum einen wäre der Rechtsweg auf eine Instanz verkürzt, was das Verfahren beschleunigen würde. Zum anderen könnte - weil immer die gleichen Richter zuständig wären - mit einheitlichem Maßstab und mehr Erfahrung entschieden werden. Derzeit bestimmt sich das zuständige Verwaltungsgericht nach dem Dienstort des klagenden Richters. Es können damit alle VGs in Deutschland mit solchen Klagen befasst sein.
Die Zuständigkeitskonzentration am BVerwG könnte dann auch für die ebenfalls zunehmenden Konkurrentenklagen um Vorsitzendenstellen an Bundesgerichten gelten. Diese sind zwar anders gelagert, denn mit der Auswahl der Vorsitzenden hat der Richterwahlausschuss nichts zu tun. Sie werden vielmehr von der Bundesregierung bestimmt, je nach Gericht auf Vorschlag des Justizministers oder der Sozialministerin. Die Entscheidung fällt dabei auf der Grundlage von Anlass-Beurteilungen der jeweiligen Gerichtspräsidenten. Es geht also um echte Bestenlauslese. Doch auch hier würde nach Auffassung der Präsidenten eine Konzentration der Klagen Sinn machen.
Am bekanntesten wurde die Klage des BGH-Richters Thomas Fischer gegen seine Beurteilung durch den damaligen BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf. Es gab letztlich keine gerichtliche Klärung. Vielmehr beendete die seinerzeitige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) 2013 den Streit, indem sie die Beurteilung Tolksdorfs überging und Fischer einfach als Vorsitzenden vorschlug.
Derzeit sind an den Bundesgerichten fünf Vorsitzendenstellen durch Konkurrentenklagen blockiert, davon drei am Bundessozialgericht und je eine am Bundesfinanzhof und am Bundesgerichtshof.
Skepsis der Politik
Die Zuständigkeitskonzentration würde eine Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung erfordern. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat sich die Idee zwar noch nicht zu eigen gemacht, will das Problem aber im Auge behalten.
In der Politik ist allerdings auch deutliche Skepsis gegen die zunehmenden Klagen im Zusammenhang mit den Richterwahlen zu spüren. Konkurrentenklagen gegen Entscheidungen des Richterwahlausschusses gelten als systemfremd. "Wir sollten uns überlegen, das Verfahren der Präsidialratsvoten zu überdenken", so Elisabeth Winkelmeier-Becker, die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion, "wenn diese das Vehikel für Klagen gegen demokratische Entscheidungen bilden."
Im Richterwahlausschuss haben viele Angst, dass sie bald nur noch die Rankings der Präsidialräte umsetzen können, ohne eigene Entscheidungsbefugnis. Zum einen gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber den Präsidialräten, deren Voten auch nicht immer frei von Interessen sein müssen. So stand im Fall Neskovic der Vorwurf im Raum, dieser sei vom BGH-Präsidialrat nicht wirklich wegen seiner fehlenden OLG-Erfahrung abgelehnt worden, sondern eher wegen seinen drogenpolitischen Positionen. Vor allem aber müsse der Ausschuss das Gesamtergebnis im Auge behalten: den Proporz der Regionen und Geschlechter sowie den weltanschaulichen und politischen Pluralismus der Bundesgerichte. Im Vorfeld der Sitzung des Richterwahlausschusses werden daher von den Unterhändlern der großen Parteien Pakete geschnürt, die dann am Wahltag mit großer Mehrheit durchgewählt werden.
In der Koalition wird derzeit auch eine Änderung des Richterwahlgesetzes diskutiert, die den Wahlakt begrifflich mehr betonen soll, um so den Zugriff von Gerichten zu erschweren. Die Positionen der Politiker sind mit dem Wunsch der Gerichtspräsidenten nach Beschleunigung allerdings durchaus vereinbar. Auch wenn die Paketbildung des Richterwahlausschusses allenfalls auf pure Willkür überprüfbar erscheint, so sollte doch auch der Ausschuss ein Interesse haben, dass solche - in der Regel erfolglose - Klagen schnell abgewickelt werden können und die Gerichte nicht übermäßig belasten. Klagen, die sich vor allem gegen die Voten der Präsidialräte wenden, können dagegen eher sinnvoll sein. Sie stellen aber die Auswahlmöglichkeit des Richterwahlausschusses nicht in Frage. Denn die gerichtliche Überprüfbarkeit der Voten macht sie für die Politik noch lange nicht verbindlich.
Christian Rath, Konkurrentenklagen und Richterwahlausschuss: Richter klagen gegen die Richterwahl . In: Legal Tribune Online, 05.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14863/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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