Müssen Frauen ihre Brüste abdecken und Männer nicht? Nach gescheiterten Vergleichsgesprächen im "Plansche"-Prozess gab das KG einen klaren Hinweis: Das Land Berlin solle prüfen, ob es die Klageforderung nicht teilweise anerkennen will.
Im Streit um möglicherweise diskriminierende Bekleidungsvorschriften auf dem Berliner Wasserspielplatz "Plansche" gab es am Freitag kein Urteil. Nach drei Stunden Verhandlung vor dem Kammergericht in Berlin (KG, Az. 9 U 94/22) sind weitere Beratungen des 9. Zivilsenats erforderlich. Nachdem die Parteien den Streit in der Verhandlung nicht durch einen Vergleich beilegen konnten, verbleibt neben einem streitigen Urteil als weitere Option, dass das Land Berlin die Klageforderung (teilweise) anerkennt.
Wie LTO am Donnerstag berichtet hatte, fordert Gabrielle Lebreton 10.000 Euro dafür, dass Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes der vom Land betriebenen "Plansche" und anschließend auch die Polizei sie aufgefordert hatten, sich "oben rum" zu bekleiden oder das Areal zu verlassen. Die Berlinerin, die zusammen mit ihrem Kind und einem Freund dort verweilte, hatte aber "oben ohne" bleiben wollen und war schließlich unfreiwillig gegangen.
Männer dürfen ihre Brüste in der Sonne brutzeln, aber Frauen müssen Badeanzug oder Bikini (mit Oberteil) tragen – wurde Lebreton wegen ihres Geschlechts diskriminiert? So sieht es die Rechtsanwältin der Klägerin, Leonie Thum: "Es ging um das Frausein", betonte sie. Die Klage wird in der Berufungsinstanz vor dem KG von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt, weiterer Support kam von etwa 20 jungen Frauen, die als Zuschauerinnen im Gerichtssaal Platz nahmen.
KG: unterschiedliche Bekleidung ist Ungleichbehandlung von Frauen
Wenn man eine Diskriminierung bejaht und das Verhalten des Sicherheitsdienstes bzw. der Polizei dem Land Berlin zurechnet, steht Lebreton eine Entschädigung nach dem 2020 verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetz des Landes Berlin (LADG) zu. Voraussetzung ist eine Ungleichbehandlung im Sinne der §§ 2 und 4 LADG, die nicht nach § 5 LADG wegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt ist. Komplizierte Fragen, wie Richterin Cornelia Holldorf am Freitag bemerkte.
"Rein äußerlich betrachtet ist sie als Frau anders behandelt worden als als Mann. Das war schon eine ungleiche Behandlung", stellte sie zu Beginn der Verhandlung am Freitag fest. Man könne schon auch von einer "Schlechterbehandlung" sprechen. Die rechtliche Frage sei aber, ob diese Behandlung gerechtfertigt gewesen sei. Damit gab das Gericht Lebreton in einer ersten entscheidenden Teilfrage Recht.
Das Landgericht (LG) Berlin dagegen hatte noch offengelassen, ob eine Ungleichbehandlung von Gleichem vorliege oder eher eine Ungleichbehandlung von Ungleichem. Zwischen männlichen und weiblichen Brüsten bestünden "geschlechtliche Unterschiede". Welche das sein sollten, hatte das LG aber im Dunkeln gelassen.
Keine Vergleichsgespräche: "Kein Vertrauen mehr in das Land"
Das KG sorgte in diesem Punkt für etwas Klarheit und erkannte jedenfalls eine Ungleichbehandlung an. Ob es für die ungleiche Kleiderordnung im Badebetrieb einen sachlichen Grund gibt, blieb offen. "Wir erkennen an, dass es für die Klägerin eine unangenehme Situation war, die das Land aber nie gewollt hat", sagte der Anwalt des Landes Berlin. Der Wachdienst am Spielplatz sei nur für die Einhaltung der Corona-Bestimmungen zuständig gewesen und nicht für das Verweisen der Frau vom Gelände. Dennoch bleibt er bei der Auffassung, die das LG Berlin in der Vorinstanz geteilt hatte: "Das Land haftet dafür nicht."
Mehrfach musste die Richterin während der Verhandlung spontane Diskussionen der Anwälte unterbrechen und um Zurückhaltung bitten. Dabei versuchte sie, die Beteiligten zu einer Beilegung des Streits durch Vergleich zu bringen. "Es ist ein abgeschlossener Einzelfall aus der Vergangenheit. Die ganze grundsätzliche Bedeutung der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist komplett raus." Aber Lebreton lehnte entsprechende Gespräche ab. "Ich habe nach diesen zwei Jahren kein Vertrauen mehr in das Land."
Auch der Hinweis der Richterin, dass sie bereits mehrere Erfolge erzielt habe, stimmte die Frau nicht um. "Sie haben schon sehr, sehr viel erreicht." Die Nutzungsordnung für den Spielplatz sei geändert worden, das ganze Thema sei öffentlich ausführlich diskutiert worden. Tatsächlich war auch die von Lebreton eingeschaltete LADG-Ombudsstelle von einer Diskriminierung ausgegangen. Auf deren Empfehlung hatte die Senatsverwaltung für alle Bäder Berlins die interne Anweisung gegeben, "oben ohne" zu akzeptieren.
Gericht macht vielsagende Anregung
Letztlich nahm die Richterin dann das Land Berlin, in diesem Fall Senat, Bezirk und Polizei, in die Pflicht und bat darum, zu prüfen, ob nicht ein teilweises Anerkenntnis der Klageforderung in Betracht kommt. Es stelle sich die Frage, wie das Land in diesem Konflikt mit einem Bürger umgehen solle. Die Vertreter des Landes baten um Zeit für die Prüfung, nötig seien mindestens sechs Wochen.
Nimmt das Land die Anregung auf, stellt sich die Frage nach der Höhe des Anerkenntnisses. Dabei machte das Gericht sehr deutlich, dass die geforderte Summe von 10.000 Euro viel zu hoch sei; für angemessenen hielt es eher eine Summe im dreistelligen Bereich. Es gebe deutlich schlimmere Formen von Diskriminierungen. "Wir müssen es ins Verhältnis setzen", so Holldorf.
Entscheiden sich der Vertreter der Senatsverwaltung dagegen, wird das Gericht streitig entscheiden und die Diskriminierungsfrage klären. "Bedenken Sie die Weisheit dieses Vorschlags", appellierte Holldorf mehrfach an den Anwalt und die Vertreter des Landes. Das wirkt wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, wie das Verfahren sonst enden würde. Für Lebreton und die GFF geht es nach all der Zeit womöglich um mehr als ein paar Hundert Euro. Eine streitige Entscheidung zu ihren Gunsten hätte für den hinter dem Konflikt stehenden feministischen Diskurs Signalwirkung. Auch würde ein KG-Urteil Juristen wichtige Erkenntnisse für die Auslegung des LADG liefern.
Mit Material der dpa
"Oben ohne" im Schwimmbad: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52821 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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