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BVerfG: Kein Ver­fas­sungs­gebot zur Parität?

von Pauline Dietrich

18.01.2022

Abgeordnete und Landesregierung sitzen im Plenarsaal des Thüringer Landtags.

Paritätsgesetze sollen die gleiche Verteilung der Geschlechter auf Wahllisten sicherstellen. Das BVerfG äußerte sich nun dazu.  Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Das BVerfG hat zwar die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil zum Thüringer Paritätsgesetz abgewiesen. Einige Aussagen in Sachen Parität und Unterrepräsentanz von Frauen im Parlament finden sich aber in Entscheidung.

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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beschäftigte sich erstmals anlässlich einer Verfassungsbeschwerde aus Thüringen mit einer Paritätsregelung für Wahllisten. Die Variante im Freistaat hatte der dortige Verfassungsgerichtshof (VerfGH) im Jahr 2020 gekippt. Das Paritätsgesetz sah die abwechselnde Besetzung der Landeswahllisten mit Männern und Frauen vor. Das BVerfG überprüfte dieses Urteil nun und ließ die Verfassungsbeschwerde bereits an der Zulässigkeit scheitern (Beschl. v. 6.12.2021 , Az. 2 BvR 1470/20). Sie sei nicht hinreichend begründet. Allerdings ließ es sich die erste Kammer des Zweiten Senats nicht nehmen, ein paar Worte in Sachen Paritätsgesetz und Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu verlieren.

Ziel der Gesetzesnovelle 2019 in Thüringen war es, den Anteil von Frauen im Parlament perspektivisch zu erhöhen. Derzeit liegt er in Thüringen mit 31 Prozent bei weniger als einem Drittel, in anderen Bundesländern ist der Frauenanteil teils noch deutlich geringer. Forderungen nach Quotierungsregeln gab es auch in anderen Ländern immer wieder.

Nachdem die AfD-Landtagsfraktion das Paritätsgesetz im Wege einer abstrakten Normenkontrolle überprüfen ließ, erklärte es der Thüringer VerfGH im Juli 2020 für nichtig. Es schränke die Freiheit und Gleichheit der Wahl ein und verletzte die Chancengleichheit der Parteien.

Zulässigkeit scheitert an Begründung der Grundrechtsverletzung

Gegen dieses Urteil legten 13 Thüringer Verfassungsbeschwerde ein, welche das BVerfG allerdings nun wegen Unzulässigkeit abgewiesen hat. In ihrer Begründung wies die Kammer zunächst darauf hin, dass die Länder unter dem Grundgesetz (GG) über eine weitgehende Verfassungsautonomie verfügten. Entscheidungen von Landesverfassungsgerichten könnten dennoch grundsätzlich gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG per Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.

Im konkreten Fall genügte die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 S. 2, § 92 BVerfGG. Bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen müssten sich die Beschwerdeführenden mit dieser auch inhaltlich auseinandersetzen und deutlich machen, inwieweit durch die Entscheidung Grundrechte verletzt werden. Das sei hier nicht geschehen.

Zunächst stellt das BVerfG fest, dass das Urteil des Thüringer VerfGH nicht gegen Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen kann, weil die Norm nur die Wahl von Abgeordneten des Deutschen Bundestags betreffe und nicht Wahlen auf der Landesebene – Abweichendes hätte näherer Begründung seitens der Beschwerdeführenden bedurft. Nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG gelten die Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl zwar auch bei Wahlen in den Ländern. Der Einzelne könne sich aber nicht darauf berufen - bei der Norm handele es sich um kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht, sondern um eine objektivrechtlich Gewährleistung.

Das Gleiche gelte in Bezug auf die gerügte Verletzung des Demokratiegebots aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG. Die Beschwerdeführenden hätten behauptet, dass daraus ein rügefähiger "Anspruch auf Demokratie" folge. Laut BVerfG hätten sie das aber näher begründen müssen.

Grundsatz der Gesamtrepräsentation verkannt

Im Anschluss daran lässt es sich die Kammer des BVerfG nicht nehmen, einige Aussagen zum Inhalt des Paritätsgesetzes zu machen. Die Beschwerdeführenden hätten – unzureichend – ausgeführt, dass nur die paritätische Vertretung der Bürgerinnen und Bürger den Anforderungen der repräsentativen Demokratie genüge. Sie hätten sich aber nicht ausreichend mit dem Grundsatz der Gesamtrepräsentation auseinandergesetzt. Laut BVerfG beinhalte dieser Grundsatz, dass das freie Mandat jedes Abgeordneten eine Absage an alle Formen einer imperativen, von regionalen oder gesellschaftlichen Gruppen ausgehenden inhaltlichen Bindung des Abgeordneten bei der Wahrnehmung seines Mandats enthält. Wenn Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes sind, komme es gerade nicht darauf an, dass sich das Parlament als verkleinertes Abbild der Wählerschaft darstellt.

Warum in Anbetracht dessen nur die paritätische "Spiegelung" der weiblichen Wahlbevölkerung dem Demokratieverständnis entspricht, erschließt sich dem BVerfG nicht. Es sei "nicht ohne Weiteres ersichtlich", dass eine effektive Einflussnahme auf die parlamentarische Willensbildung die Verteilung der Mandate zwischen Geschlechtern voraussetzt. Der Hinweis, dass Frauen in den Parlamenten faktisch unterrepräsentiert seien, reicht dem BVerfG dabei nicht aus. Ebenso wenig wie das Vorbringen, Frauen könnten nur dann effektiv auf parlamentarische Entscheidungen Einfluss nehmen, wenn das Parlament zur Hälfte aus ihnen besteht.

Unterrepräsentanz von Frauen reiche allein nicht aus

Ob die Beschwerdeführenden eine Verletzung ihres Rechts auf Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 GG überhaupt rügen können, sei ebenfalls unklar. Der Grundsatz der getrennten Verfassungsräume des Bundes und der Länder könnte einer Überprüfung der Entscheidung des Thüringer VerfGH durch das BVerfG entgegen stehen.

Allerdings äußert sich das BVerfG auch an dieser Stelle direkt zur Parität. Man könne aus Art. 3 Abs. 2 GG kein Verfassungsgebot der paritätischen Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts ableiten, gegen das der Thüringer VerfGH mit seiner Entscheidung verstoßen haben könnte. Allein der Verweis auf die Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten reiche auch hier nicht aus, um von einer "strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Politik" ausgehen zu können. Außerdem stehe dem Gesetzgeber bei der Durchsetzung des Gleichstellungsauftrags ein Gestaltungsspielraum zu. Eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Erlass eines paritätischen Wahlvorschlagsrechts trüge dem keine Rechnung – zumindest fehle es wieder einmal an der dazugehörigen ausreichenden Begründung in der Verfassungsbeschwerde. Ähnlich argumentierte das BVerfG bereits im Jahr 2021. Damals wies es eine Wahlprüfungsbeschwerde von zehn Frauen als unzulässig zurück (Beschl. v. 15.12.2021, Az. 2 BvC 46/19). Die Frauen machten geltend, dass der Gesetzgeber dafür sorgen müsste, dass alle Parteien bei der Bundestagswahl ebenso viele weibliche wie männliche Kandidat:innen aufstellen.

Einen Verstoß des Thüringer VerfGH gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG sei ebenfalls nicht hinreichend begründet worden. Dass das Paritätsgesetz in die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie in die Chancengleichheit der Parteien eingreife, sei "jedenfalls nicht von vornherein unhaltbar".

Mit Material der dpa

 

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BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47236 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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