Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Ex-VW-Chef Winterkorn wegen uneidlicher Falschaussage angeklagt. Zudem schloss VW mit ihm und weiteren Ex-Managern um Rupert Stadler einen Rekordvergleich über 280 Millionen Euro.
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Anklage gegen Ex-Volkswagen (VW)-Chef Martin Winterkorn wegen uneidlicher Falschaussage erhoben. Dem 74-Jährigen werde zur Last gelegt, am 19. Januar 2017 als Zeuge vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages falsch ausgesagt zu haben, teilte die Anklagebehörde am Mittwoch mit. Als Vorstandsvorsitzender soll Winterkorn bewusst falsche Angaben gemacht haben, zu welchem Zeitpunkt er über den Einsatz einer Software zur Erkennung und Manipulation der Abgaswerte im Testbetrieb unterrichtet worden sei.
Laut Staatsanwaltschaft soll der Manager ausgesagt haben, erst im September 2015 von solchen Abschalteinrichtungen bei bestimmten VW-Fahrzeugen erfahren zu haben. Tatsächlich soll ihm das bereits seit Mai 2015 bekannt gewesen sein. Auch beim sogenannten Schadenstisch der VW AG, einem Manager-Treffen wenige Wochen vor dem Auffliegen der Affäre, im Juli 2015 soll die Problematik Thema gewesen sein. Zuvor hatte die Bild-Zeitung berichtet.
Personen aus dem Umfeld des Managers bezeichneten die Veröffentlichung der Anklage als Wahlkampfgeplänkel. Alle Punkte seien bereits Bestandteil des Verfahrens in Braunschweig und würden auch dort geklärt, hieß es.
Winterkorn war vor mehr als fünfeinhalb Jahren zurückgetreten, nachdem der Skandal in den USA ans Licht gekommen war. Nach seiner Darstellung erfuhr er von den Manipulationen erst kurz vor dem Bekanntwerden in der Öffentlichkeit. Vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages sagte er 2017: "Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin."
Rekord-Entschädigung für Volkswagen
Außerdem müssen Winterkorn und eine Reihe weiterer ehemalige Topmanager aufgrund des "Dieselgates" insgesamt 288 Millionen Euro an VW zahlen, hieß es am Mittwoch aus dem Unternehmen. Die Grundsatzentscheidung, Winterkorn und einige andere Ex-Manager auch zivilrechtlich zu belangen, war bereits Ende März gefallen. Nun wurden die Details bekannt.
Insgesamt wurde ein Betrag von knapp 288 Millionen Euro vereinbart, hieß es am Mittwoch aus dem Unternehmen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende persönlich zahlt 11,2 Millionen Euro. Ex-Audi-Chef und Ex-VW-Konzernvorstand Rupert Stadler soll 4,1 Millionen Euro überweisen. Bei ihm und Winterkorn geht es um die Verletzung aktienrechtlicher Sorgfaltspflichten. Der frühere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz steuert 1,5 Millionen Euro bei, der ehemalige Audi-Manager Stefan Knirsch eine Million Euro.
Daneben gibt es zusätzliche Versicherungsleistungen, die weit über den privaten Beträgen liegen. Sie summieren sich nach Angaben von VW auf insgesamt 270 Millionen Euro. Mehr als 30 Anbieter sogenannter D&O-Policen ("Directors and Officers"), die auf Haftungsrisiken im Management spezialisiert sind, beteiligen sich, darunter Allianz, Zurich und Axa.
Sowohl die persönlichen Zahlungen als auch die versicherte Abdeckung ergäben "mit Abstand die höchste Summe, die ein solches Konsortium in Deutschland jemals auf den Tisch gelegt hat", hieß es aus Kreisen der Unterhändler.
Die für den 22. Juli angesetzte Hauptversammlung muss die Beschlüsse noch billigen.
Noch viele Fragen offen
VW hatte auch von Ex-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg Schadensersatz verlangt. Dieser sei aber "nicht zu einer Einigung bereit", weshalb nun "gerichtliche Schritte" gegen ihn vorbereitet werden sollen.
Ab September stehen Winterkorn und vier weitere Ex-Manager wegen mutmaßlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs vor dem Landgericht (LG) Braunschweig. Die Staatsanwaltschaft weitete die Vorwürfe nach Angaben der dpa jüngst aus: 15 Führungskräfte des Konzerns und eines Zulieferers wurden wegen Beihilfe zum Betrug in Tateinheit mit Steuerhinterziehung, Beihilfe zu mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung angeklagt.
Stadler übernahm in seinem Prozess vor dem LG München II eine "firmenpolitische Verantwortung" für Schäden durch den Dieselskandal. Laut Anklage habe er es ab September 2015 zumindest für möglich gehalten, dass auch in Europa Dieselwagen mit falschen Abgasdaten verkauft wurden. Doch er habe Produktion und Verkauf gut ein Jahr weiterlaufen lassen, um den Umsatz nicht zu gefährden. Stadler wies das entschieden zurück.
Nach dem Auffliegen der Stickoxid-Manipulationen an Dieselmotoren in den USA im Herbst 2015 kam es weltweit zu Gerichtsverfahren. Der Skandal kostete den VW-Konzern nach Angaben der dpa bisher weit über 30 Milliarden Euro.
Relativ früh räumte Volkswagen gegenüber dem US-Justizministerium seine prinzipielle Schuld an der Täuschung von Kunden und Behörden ein. Der Aufsichtsrat beauftragte jedoch zusätzlich die Kanzlei Gleiss Lutz, um die internen Abläufe in der Zeit vor der Dieselaffäre zu untersuchen. Diese Prüfung dauerte mehr als fünf Jahre. 65 Millionen Gigabyte an Daten wurden gesichert, laut VW die "aufwändigste Untersuchung in einem Unternehmen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte", heißt es in einer Mitteilung der dpa.
Gleiss Lutz beriet die Aufsichtsräte
Ein Gleiss Lutz-Team hat die Aufsichtsräte der Volkswagen AG, der Audi AG sowie der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG bei ihren Entscheidungen über den Abschluss von Vergleichsvereinbarungen über Ansprüche im Zusammenhang mit der Dieselthematik gegen Vorstandsmitglieder und die D&O-Versicherer des Volkswagen-Konzerns begleitet und die entsprechenden Verhandlungen geführt.
Die Verhandlung der Vergleiche sowie die Vorbereitung der Aufsichtsratssitzungen wurde von einem Kernteam bestehend aus den Gleiss Lutz-Partnern Prof. Dr. Michael Arnold (Gesamtverantwortung Volkswagen, Audi, Porsche), Dr. Tobias Harzenetter, Dr. Hansjörg Scheel (Verhandlungen Vergleiche Vorstandsmitglieder und D&O-Versicherungen), Martin Hitzer und Dr. Vera Rothenburg (gemeinsame Federführung Volkswagen), Steffen Carl, Dr. Patrick Mossler und Dr. David Quinke (gemeinsame Federführung Audi) sowie Dr. Adrian Bingel und Dr. Gabriele Roßkopf (gemeinsame Federführung Porsche) geleitet.
dpa/fkr/tap/LTO-Redaktion
Die Verhandlung der Vergleiche sowie die Vorbereitung der Aufsichtsratssitzungen wurde von einem Kernteam bestehend aus den Gleiss Lutz-Partnern Prof. Dr. Michael Arnold (Gesamtverantwortung Volkswagen, Audi, Porsche), Dr. Tobias Harzenetter, Dr. Hansjörg Scheel (Verhandlungen Vergleiche Vorstandsmitglieder und D&O-Versicherungen), Martin Hitzer und Dr. Vera Rothenburg (gemeinsame Federführung Volkswagen), Steffen Carl, Dr. Patrick Mossler und Dr. David Quinke (gemeinsame Federführung Audi) sowie Dr. Adrian Bingel und Dr. Gabriele Roßkopf (gemeinsame Federführung Porsche) geleitet.
Außerdem waren die folgenden Gleiss Lutz-Teams für die Aufsichtsräte der Volkswagen AG, der Audi AG sowie der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
tätig:
Volkswagen: Prof. Dr. Christian Arnold, Dr. Alexander Werder (beide Partner), Dr. Matthias Gärtner, Dr. Thomas Kreuz (beide Counsel), Dr.
Joscha Meyer, Nils Maiwurm, Lukas Neuhaus, Dr. Simon Frye, Dr. Charlotte Evers, Dr. Bettina Sauter, Christian Ditté, Dr. Michael Traub, Dr.
Nikolai Unmuth, Dr. Jan-David Geiger, Daniel Bernhardt, Frank Buchhöcker, Katharina Bein, Anna Gralla, Jonas Hofer.
Audi: Dr. Stephan Dangelmayer, Dr. Christopher Splinter, Dr. Julian Aicher, Dr. Nadja Al-Wraikat, Laura de Leeuw, Dr. Stephan Kreifels.
Porsche: Marie-Theres Lochner, Moritz Stilz, Richard Notz, Dr. Johannes Culmann (Counsel), Maximilian Imre, Julia Schumann, Dr. Christian Bock, Dr. Matthias Schilde, Jan Hinrichs, Matthias Hahn, Silke Hoffmann, Teresa Link.
Rekordvergleich und weitere Anklage im Dieselskandal: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45161 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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