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51504

BAG zur Arbeitszeiterfassung am Gericht: "Der Arbeits­schutz gilt auch für Richter" – oder?

von Tanja Podolski

07.04.2023

Uhr am Handgelenk

Gilt die Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten auch bei Richterinnen und Richtern? Bild: aleksandar milosavljevic/EyeEm - stock.adobe.com

Das BAG soll die Arbeitszeiterfassung für die eigenen Richter ausgeschlossen und sich damit in Widerspruch zum eigenen 1. Senat gesetzt haben. Doch steht das wirklich so in dem entsprechenden Schreiben vom BAG? Und was gilt für Richter?

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Seit den Entscheidungen zur Arbeitszeiterfassung zu einem Bankmitarbeiter ("Stechuhrurteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, Urt. v. 14. 05.2019, Az. C-55/18) und auf Antrag eines Betriebsrats (Bundesarbeitsgericht, BAG, Beschl. v.13.9.2022, Az.: 1 ABR 22/21) reißen die Diskussionen, welche Berufsgruppen von der Pflicht erfasst sind, nicht ab. Jetzt hat die Debatte die Richterinnen und Richter erreicht. Auslöser ist ein Schreiben unter dem Briefkopf der Präsidentin des BAG, Inken Gallner, vom September 2022, über das zuerst am 1. April die FAZ berichtet hatte. Damit antwortete die Verwaltungsleitung des Gerichts auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz, das auf der Website der NGO fragdenstaat veröffentlicht ist. Ein Mann hatte die erfassten Arbeitszeiten der Richterinnen und Richter in den Jahren 2021 und 2022 beim BAG angefragt.  

Die Verwaltung des BAG antwortete: "Die von Ihnen gewünschten Arbeitszeiterfassungen der Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts kann ich Ihnen nicht übersenden, da Richterinnen und Richter nicht an der automatisierten Zeiterfassung im Bundesarbeitsgericht teilnehmen." 

Weiter heißt es in dem Schreiben: "Richterinnen und Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Ein Aspekt dieser Unabhängigkeit ist, dass sich der von einer Richterin/einem Richter zu leistende Arbeitseinsatz nach dem ihr/ihm in der richterlichen Geschäftsverteilung zugewiesenen Aufgaben und ihrem/seinem konkreten Richteramt richtet. Dies bestimmt den Umfang des geschuldeten richterlichen Einsatzes, nicht eine festgelegte Arbeitszeit."

BVerwG: Richter haben Pensen, keine vorgegebenen Arbeitszeiten

Damit verweist das BAG auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG). Dieses Gericht ist für die Entscheidungen über Dienstverhältnisse der Richterinnen und Richter zuständig. Macht ein Richter geltend, dass eine Maßnahme der Dienstaufsicht seine richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG) beeinträchtige, eröffnet das Deutsche Richtergesetz (DRiG) dem betroffenen Richter den Rechtsweg zum Dienstgericht (vgl. § 26 Abs. 3 DRiG). "Es fällt mithin nicht in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte - und damit auch nicht des Bundesarbeitsgerichts - über das Bestehen einer Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten bei Richterinnen und Richtern zu entscheiden", sagt Oliver Klose, Richter am BAG und Sprecher des Gerichts. "Nach § 5 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) sind Beamte keine Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG. Das gilt entsprechend für Soldaten und Richter." 

Das zuständige BVerwG aber hatte erst jüngst wieder entschieden, dass Richter und Richterinnen keine vorgegebene Arbeitszeit haben, die man erfassen könnte (Urt. v. 12.01.2023, Az. 2 C 22.21). In der entsprechenden Pressmitteilung teilte das BVerwG mit: "Richter müssen sich ebenso wie Beamte mit ihrer ganzen Kraft dem Amt widmen. Der Umfang des geschuldeten richterlichen Einsatzes wird aber nach Arbeitspensen bemessen und richtet sich - anders als bei Beamten - nicht nach konkret vorgegebenen Arbeits- bzw. Dienstzeiten."

Auch an anderer Stelle erklärte das BVerwG explizit, aus "Art. 92 und 97 GG [sei…] nach der Rechtsprechung sowohl des BVerwG als auch des Bundesgerichtshofs unmittelbar von Verfassung wegen die Freiheit der Richter von der Geltung arbeitszeitlicher Regelungen als Bestandteil der richterlichen Unabhängigkeit abzuleiten" (BVerwG, Urt. v. 30. 03. 2006, Az. 2 C 41.04). 

Die Tätigkeit von Richterinnen und Richtern richtet sich also statt nach einer vorgegebenen Arbeitszeit nach so genannten Pensen. Dafür ermittelt eine Kommission aus den Justizbehörden von Bund und Ländern, wie lange Richter und Richterinnen für ihre Verfahren benötigen (das sogenannte Personalbedarfberechnungssystem, kurz Pebbsy oder auch Pebb§y, woraus sich auch der Personalbedarf der Justiz ergibt).

(K)ein Widerspruch zwischen BAG und BVerwG

"Das BVerwG geht also nicht von einer vorgegebenen wöchentlichen Arbeitszeit bei Richtern aus", sagt BAG-Sprecher Klose. Das entspreche der Auffassung des Dienstgerichts des Bundes (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.1990, RiZ 2/90), nach der Richterinnen und Richter zur Einhaltung allgemein festgesetzter Dienststunden nicht verpflichtet seien. In dieser Entscheidung heißt es: "Zwar hat er ebenso wie der Beamte seine ganze Kraft dem Amt zu widmen. Aus seiner Unabhängigkeit - Art. 97 GG - folgt jedoch, dass er, soweit nicht bestimmte Tätigkeiten seine Präsenz erfordern (Sitzungen, Beratungen, Abwicklung des Dezernats, Sofort- und Eilsachen), seine Arbeit nicht innerhalb fester Dienstzeiten und nicht an Gerichtsstelle zu erledigen braucht."

Diese Bewertung durch das BVerwG ist in dem Schreiben des BAG dargelegt, indes ohne Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Richter und Richterinnen in Leipzig. Es ist eine Darstellung – dies kann Zustimmung bedeuten, muss es aber nicht. Ein offener Streit über möglicher Weise divergierende Auffassungen hat das BAG damit jedoch – zumindest vorerst – vermieden. 

Auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist das Erfurter Gericht nicht eingegangen. Dabei könnten dessen bisherige Entscheidungen auch ein anderes Ergebnis als das des BVerwG vermuten lassen. Ein Experte etwa verweist auf die Entscheidung des EuGH zur Anwendbarkeit von § 2 Nr 1 Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie EGRL 81 (EuGH, Urt. v. 01.03.2012, Az. C-393/10 „O´Brien“). "Aus jüngerer Zeit enthält auch die Entscheidung des EuGH vom 16. Juli 2020 (Az. C-658/18 - Governo della Repubblica italiana) Aussagen zum Arbeitnehmerbegriff und Richtern", erklärt Klose. So heißt es in Ziff. 2 des dortigen Tenors – wenn auch zu der besonderen Konstellation eines ehrenamtlichen Richters in Italien, einen sog. Friedensrichter – dass dieser unter den Begriff Arbeitnehmer" fallen könne.

Das BVerwG hätte daher, so sehen es einige Stimmen in der Justiz, die nicht namentlich genannt werden wollen, statt den jüngsten Fall zu den Lebensarbeitszeitkonten für Richter selbst direkt zu entscheiden, vielmehr dem EuGH die Fragen zum Status von Richterinnen und Richtern vorlegen müssen. 

BAG gleicher als alle anderen?

So aber richten sich die Vorwürfe von Anwälten allein ans BAG: Das Gericht gebe durch die Entscheidung des 1. Senats zur Arbeitszeiterfassung anderen vor, woran sich die eigenen Richter nicht halten wollten, und setze sich sogar in Widerspruch zur eigenen Rechtsprechung. Der Arbeitsrechtler Dr. Jan Tibor Lelley, Partner bei Buse, fasst es zusammen als "All animals are equal, but…". 

Das BAG hatte seine Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung mit den Schutzpflichten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gegenüber ihren Mitarbeitenden begründet. Seit der Veröffentlichung der Entscheidung hagelt es gleichwohl Kritik von Arbeitgebenden, dass die Erfassung der Arbeitszeit nicht möglich sei und das Gericht mit der Entscheidung zu weit gehe, eine Berufsgruppe nach der anderen soll daher aus der Pflicht zur Erfassung ausgenommen werden, so die Forderungen der Vertreter und Vertreterinnen dieser Gruppen.

Konkret hatte der 1. Senat des BAG seine Entscheidung auf das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) gestützt – und dieses gilt nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 ArbSchG ausdrücklich auch für Richterinnen und Richter. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) hingegen ist gem. § 2 Abs. 2 nur auf Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten anwendbar. Auf das ArbZG hatte sich das BAG in seinem Beschluss aber auch nicht bezogen. 

"Richter fallen unter europäischen Arbeitnehmerbegriff"

"Aus meiner Sicht ist das sehr klar", sagt Dr. Ulrich Sittard, Partner im Arbeitsrecht bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf, gegenüber LTO. "Richter fallen nach der Rechtsprechung des EuGH unter den europäischen Arbeitnehmerbegriff. Eben das Europarecht hat das BAG veranlasst, in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG eine allgemeine Zeiterfassungspflicht hineinzulesen. Das ArbSchG gilt ausdrücklich auch für Beamte und Richter. Und die europarechtskonforme Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist auch bei Richtern und Beamten geboten (wenn man der Rechtsprechung des BAG folgen will), weil sie eben unter den europäischen Arbeitnehmerbegriff fallen."

Deswegen sei die Rechtslage eindeutig: Natürlich gelte die Zeiterfassungspflicht aus der BAG-Entscheidung vom 13. September 2022 auch für Richterinnen und Richter. Sittard weiter: "Die Stellungnahme der BAG-Verwaltung steht daher klar in Widerspruch zur eigenen Entscheidung des Ersten Senats."

Buse-Partner Jan Tibor Lelley stimmt zu: "Der Arbeitsschutz gilt auch für Richter, da muss sich das BAG am eigenen Maßstab messen lassen."

Ausnahmen bei "Arbeitszeitautonomie" 

Die Zuständigkeit des BVerwG ändert für die Anwälte an der Stelle nichts: "Das BVerwG sagt, der Umfang des richterlichen Einsatzes werde nach Arbeitspensen bemessen und nicht wie bei Beamten nach konkret vorgegebenen Arbeits- bzw. Dienstzeiten" sagt Freshfields-Partner Sittard. "Das mag stimmen. Aber warum erlaubt das keine Arbeitszeiterfassung? Eine Sonderbehandlung von Richtern ist aus meiner Sicht nicht konsequent", so der Anwalt. Und weiter: Wenn das europäische Recht eine Zeiterfassung für Arbeitnehmer verlange – wie das BAG meint – dann müsse das für Richter genauso gelten.

Die Lösung indes sieht er - wie andere Arbeitgebervertreter - in Ausnahmeregelungen: "Aus meiner Sicht ist die Stellungnahme des BAG der letzte Beweis dafür, dass es großflächige Ausnahmen von der Zeiterfassungspflicht geben muss. Denkbar und auch europarechtskonform wären Ausnahmen für Mitarbeiter mit Arbeitszeitautonomie und z.B. einem Jahresgehalt über der Beitragsbemessungsgrenze", so Sittard. Wichtig sei, dass die Ausnahmen an die Tätigkeit und die weitgehend autonome Arbeitszeitgestaltung anknüpfen. Solche Arbeitnehmergruppen könne der Gesetzgeber sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft von der Zeiterfassung ausnehmen – "ich würde sogar sagen, er muss das tun". Eine pauschale Unterscheidung zwischen öffentlichem Dienst und Privatsektor wäre nicht europarechtskonform.

Und was sagen die Richter und Richterinnen?

Tanja Keller, Sprecherin des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung und Richterin am Arbeitsgericht Regensburg, sieht eine weiter Problematik: "Die Argumentation, für Richter seien Pensen vorgesehen, eine Arbeitszeiterfassung somit entbehrlich, kann wohl nur zutreffen, wenn entsprechend der diesen Pensen zugrundeliegenden Berechnung Personal vorhanden ist."Das sei in den meisten Gerichtsbarkeiten nicht der Fall, so Keller. "Damit muss deutlich mehr gearbeitet werden, als dieser Berechnung zugrunde liegt." Der mitgliederstärkste Verband der Richterinnen und Richter, der Deutsche Richterbund, reagierte bis zum Erscheinen dieses Beitrags nicht auf die LTO-Anfrage zu dem Thema.

Keller jedoch weiter: "Die EuGH-Rechtsprechung und auch das BAG halten insoweit den Gesetzgeber für zuständig, entsprechende Regelungen zu erlassen, derzeit fühlt sich da nur das Bundesarbeitsministerium angesprochen, soweit ich das sehe." Und das allein wäre wiederum für Maßnahmen in Bezug auf Richterinnen und Richter nicht zuständig. Sie meint zudem: "Als Träger und Trägerinnen der dritten Gewalt gemäß Art. 92 GG sind wir Richter und Richterinnen für die zu treffenden Entscheidungen in der Letztverantwortung. Das hat zur Folge, dass sich ein Eingriff von außen in Bezug auf eine Festlegung der Arbeitszeit verbietet."

Gesetzlich zuständig für die Anliegen von Richterinnen und Richtern wäre hingegen das Bundesjustizministerium. Der für die sonstigen Beschäftigten zu der Frage zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte zwar für das – abgelaufene –– erste Quartal dieses Jahres zumindest Eckpunkte angekündigt, vorgelegt ist noch nichts. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilte auf LTO-Anfrage mit: "Die regierungsinternen Gespräche hierzu dauern an und bleiben abzuwarten." Das Bundesjustizministerium konnte zu diesem Zeitpunkt nichts Konkretes sagen, nur: "Das ist natürlich ein Thema, das wir beobachten."

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BAG zur Arbeitszeiterfassung am Gericht: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51504 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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