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Russland und der Europarat: Bereit zum Kom­pro­miss? Nein.

von Claudia Kornmeier

01.03.2022

Flaggen vor dem Gebäude des Europarats

Nur einen Tag nach dem Beginn des Angriffs entbindet der Europarat Russland mit sofortiger Wirkung vorläufig von seinen Repräsentationsrechten in der Staatenorganisation. Foto: ifeelstock - stock.adobe.com

Russland marschiert in die Ukraine ein – beide Länder sind Mitglied im Europarat. Sie zwingen die Staatenorganisation zu einer klaren Reaktion. Nun ist der EGMR am Zug.

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Vor fast zweieinhalb Jahren begann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine juristische Aufarbeitung des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland. Bis jetzt ist nur wenig Bewegung in die Verfahren gekommen. Gleichzeitig ist aus dem Konflikt zwischen den beiden Staaten ein Krieg geworden. Und der EGMR könnte absehbar seine Zuständigkeit verlieren.

Sind Sie bereit zum Kompromiss?

Rückblick: September 2019. Die Große Kammer des EGMR verhandelt eine erste Staatenbeschwerde der Ukraine gegen Russland. Es geht dabei um den Vorwurf zahlreicher Menschenrechtsverletzungen auf der ukrainischen Halbinsel Krim seit der Annexion durch Russland. (Beschwerde-Nr. 20958/14)

Die erste Frage an die Parteivertreter stellt damals der tschechische Richter Aleš Pejchal: "Sind Sie bereit, der anderen Seite einen Kompromiss anzubieten?" Er appelliert dabei an die Verantwortung gegenüber den Bürgern der beiden Konfliktparteien, aber auch gegenüber den Bürgern aller anderen Staaten Europas, die auch von dem Konflikt betroffen seien. "Wir wissen aus der Geschichte der Menschheit, dass jeder Konflikt zwischen Staaten mit einem Kompromiss enden muss", sagt er mit Blick auf den "tiefen Konflikt" zwischen den beiden Ländern.

Auf den Vorschlag reagieren am Ende der Verhandlung beide Seiten sehr zurückhaltend.

Europarat reagiert mit historischem Schritt

Februar 2022: Aus dem "tiefen Konflikt" ist ein Krieg geworden. Die Frage nach der Kompromiss-Bereitschaft hat Russlands Präsident Wladimir Putin klar mit "Nein" beantwortet.

Der Europarat reagiert schnell auf den russischen Einmarsch in die Ukraine und das mit einem historischen Schritt: Nur einen Tag nach dem Beginn des Angriffs entbindet er Russland mit sofortiger Wirkung vorläufig von seinen Repräsentationsrechten in der Staatenorganisation – sowohl in der Vertretung der Regierungschefs, dem Ministerkomitee, als auch in der Parlamentarischen Versammlung, in der Abgeordnete der Mitgliedstaaten zusammenkommen.

Eine solche Suspendierung erlaubt Artikel 8 des Statuts des Europarats, wenn ein Mitgliedstaat die für den Europarat grundlegenden Prinzipen der Rechtsstaatlichkeit, des Respekts der Menschenrechte und der Grundfreiheiten schwerwiegend verletzt. Bisher hat der Europarat in seiner Geschichte erst einmal zu diesem Mittel gegriffen – gegenüber der griechischen Militärjunta.

Nächste Eskalationsstufe: Austritt

Die Entscheidung ist vorläufig. "Kommunikationskanäle" sollen ausdrücklich offen gehalten werden. Das heißt, Russland bleibt zunächst Mitglied im Europarat, dem es 1996 beitrat. Vor dem EGMR können weiter Beschwerden gegen das Land eingereicht werden und auch der dortige russische Richter verliert seinen Posten erst einmal nicht. Zur Erklärung: Wer Mitglied im Europarat ist, unterfällt der Gerichtsbarkeit des EGMR, der die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) überprüft.

Doch in einer nächsten Eskalationsstufe kann das Ministerkomitee – also die Vertretung der Mitgliedstaaten – Russland zum Austritt auffordern oder ausschließen. Ein solcher kompletter Ausschluss des Landes hätte dann auch zur Folge, dass Menschenrechtsverletzungen durch Russland nicht mehr vor den EGMR gebracht werden könnten.

Reaktion nach Krim-Annexion zögerlicher

Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und den Kämpfen in der Ostukraine hatte die Staatenorganisation wesentlich zögerlicher reagiert. Lediglich in der Parlamentarischen Versammlung war den russischen Abgeordneten unter anderem das Stimmrecht entzogen worden.

Die russische Delegation nahm daraufhin nicht mehr an den Sitzungen teil. Anfang 2015 probierten sie noch erfolglos, für das anstehende Jahr ohne Sanktionen zugelassen zu werden. 2016 ließen sie es gleich bleiben.

Um die Russen zur Rückkehr zu bewegen, war lange im Hintergrund über eine Abschwächung der Sanktionsmöglichkeiten diskutiert und eine solche schließlich auch beschlossen worden – unter heftigem Protest der Ukraine. Der Konflikt hatte die Staatenorganisation über Jahre insgesamt ins Wanken gebracht.

Die russische Eskalation hat den Europarat nun zu einer klareren Reaktion gezwungen.

Finanzielle Folgen

Dabei könnte ein Austritt oder ein Ausschluss Russlands auch finanziell eine Herausforderung werden. Mit rund 33 Millionen Euro pro Jahr zählt Russland zu den großen Beitragszahlern und trägt etwa zehn Prozent des Gesamtbudget bei.

Als Moskau 2017 seine Zahlungen einstellte aus Protest gegen Sanktionen in der Parlamentarischen Versammlungen wegen der Annexion der Krim und den Kämpfen der Ostukraine, brachte das den Europarat kurzfristig in Schwierigkeiten.

Bau- und IT-Maßnahmen mussten zeitweise gestoppt werden, befristete Verträge von Mitarbeitern wurden nur noch monatsweise verlängert. Auch der Gerichtshof musste sparen und setzte auf Spenden anderer Mitgliedstaaten.

Der Präsident der Parlamentarischen Versammlung, der Niederländer Tiny Cox, rief die restlichen Mitgliedstaaten bereits zur "finanziellen Solidarität" auf, falls russische Gelder ausfallen sollten.

Gerichtshof sollte zügig über Krim-Konflikt entscheiden

Der Gerichtshof sollte nun zügig über die zahlreichen Beschwerden im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland entscheiden. Insbesondere die Individualbeschwerden sind viele – über 8500 – aber sie liegen dort nun auch schon seit einigen Jahren.

Und eine wichtige Vorentscheidung hatte der Gerichtshof bereits Ende 2020 getroffen. In der Staatenbeschwerde, über die 2019 verhandelt wurde, sowie einer weiteren entschieden die Richterinnen und Richter: Der Gerichtshof geht davon aus, dass Russland ab Ende Februar 2014 die "effektive Kontrolle" auf der Krim inne hatte. Die Ukraine hat auch ausreichend Beweise für die meisten ihrer Vorwürfe vorgetragen. Russland hatte das während der Verhandlung vehement bestritten.

Damit kann Russland jedenfalls zwischen Februar 2014 und August 2015 für Menschenrechtsverletzungen auf der Krim verantwortlich gemacht werden. (Entsch. v. 16.12.2020, Beschwerde-Nr. 20958/14 und 38334/18)

Der Gerichtshof sollte dazu möglichst bald eine Entscheidung in der Sache treffen, auch wenn sich Putin wenig um ein solches Urteil scheren wird. Gerade in Zeiten, in denen die Menschenrechte so eklatant missachtet werden, ist es wichtig, dass der Rest der Staatengemeinschaft und seine Institutionen klar daran erinnern, worauf sie sich zu Recht nach dem Zweiten Weltkrieg geeinigt haben, und diese Grundsätze hochhalten

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Russland und der Europarat: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47675 (abgerufen am: 14.06.2025 )

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