Das Jahr 2018 hatte diverse Entgleisungen zu bieten. Selbst wenn einige der Sprechenden keine Juristen waren, so hatten sie doch Positionen inne, von denen man erwarten könnte, dass sie es besser wissen. Gelohnt hat es sich für sie nicht.
Die "Anti-Abschiebe-Industrie"
Im Mai hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eine großartige Einigkeit zwischen Juristen unterschiedlicher Profession bewirkt: Deutscher Anwaltverein, Bundesrechtsanwaltskammer, Deutsche Strafverteidiger e.V. – alle liefen Sturm gegen die Äußerung des Politikers, es sei "nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert werden."
Die Äußerung tätigte er im Kontext des Polizeieinsatzes in einer Flüchtlingsunterkunft in Elwangen. Die Bewohner hatten dort die Abschiebung eines Mannes aus Togo verhindert.
Das kann man nun so sagen – von Erfolg gekrönt war das aber nicht: Die CSU fuhr bei der Landtagswahl nur noch ein Ergebnis von 35,6 Prozent ein. Um weiter regieren zu können, musste sie eine Koalition mit den Freien Wähler eingehen. Ob das nicht auch mit solchen Aussagen zu tun haben könnte?
Das "Rechtsempfinden der Bevölkerung"
In der nächsten Eskalationsstufe wären wir dann wohl beim "gesunden Volksemfinden" angelangt, doch ganz so weit ging NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nicht. Er sagte im August: "Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen." Reul sagte das im Kontext der Debatte um Sami A., der rechtswidrig nach Tunesien abgeschoben worden war.
Was macht man als Jurist nun mit so einer Aussage eines ehemaligen Gymnasiallehrers (Sozialwissenschaft und Erziehungswissenschaft)? Mindestens darauf hinweisen, dass Urteile zwar "Im Namen des Volkes" gesprochen werden, sie mit den Empfindungen der Bürger hingegen nichts zu tun haben sollten.
Die "Abmahnwelle"
Bisher ist sie ausgeblieben: die "Abmahnwelle". Schon bevor die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 direkt anwendbar wurde, befürchteten Experten, dass Abmahnanwälte das neue Recht für sich als neue Geschäftsgrundlage entdecken könnten.
Diese Sorge umtrieb vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, gemeinnützige Organisationen, Vereine und Selbstständige. Tatsächlich gab es solche Fälle, häufig werden wettbewerbsrechtliche Abmahnungen aber nur deshalb verschickt, weil sie dem Versender die Einnahmen aus Kostenerstattung und Vertragsstrafe bringen.
Das Bundesjustizministerium hat daher im September einen Gesetzentwurf zur Eindämmung des Abmahnmissbrauchs vorgelegt. Gegen eine Abmahnwelle muss das allerdings wohl nicht helfen.
Das "Dilemma" der Stadt Wetzlar
Staats- und Verwaltungsrechtler werden das Wort "Dilemma" wohl nicht mehr hören können, ohne sich an den Streit der NPD mit der Stadt Wetzlar um die Öffnung der Stadthalle für eine Veranstaltung zu erinnern. Es gab diverse Urteile und Zwangsgelder – doch die Halle blieb für die NPD geschlossen.
Die Stadtoberen ließen sich nicht einmal von einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts irritieren, nachdem die Stadt die Halle an die Partei hätte vermieten müssen. Der Regierungspräsident Gießen musste sich der Sache im Nachgang als Kommunalaufsicht annehmen. Das Ergebnis: Die Stadt habe sich in einem "Dilemma" befunden. Na, dann wird man ja die eine oder andere Gerichtsentscheidung wohl noch getrost ignorieren dürfen.
"Völlig absurd" – zum Dieselfahrverbot auf der Autobahn
Ein Ausruf, der ebenso exemplarisch für den fehlenden Respekt für Urteile unabhängiger Richter herhalten kann, kam es aus den Reihen der FDP: Bundestagsfraktionsvize Frank Sitta nannte die Entscheidung des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts zu den Fahrverboten für Dieselfahrzeuge auf der Autobahn gegenüber der dpa "völlig absurd".
Alleine war er mit seiner Entrüstung nicht. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte der Bild, es stehe ihm zwar nicht zu, die Justiz zu kritisieren. Aber: "Wenn eine Richterin ein Diesel-Fahrverbot für eine Autobahn anordnet, halte ich das für unverhältnismäßig. Das gibt es nirgendwo anders auf der Welt." Urteile wie diese gefährdeten die Mobilität Hunderttausender Bürger, niemand verstehe "diese selbstzerstörerische Debatte."
Dabei haben verschiedenste Richter bundesweit inzwischen über Dieselfahrverbote geurteilt. Nicht selten mit dem Ergebnis, dass es an der Politik liege, effektive Luftreinhaltepläne aufzusetzen. Macht sie ihre Hausaufgaben nicht, könnten Fahrverbote eben unvermeidlich sein. Ist das wirklich "völlig absurd"?
Unwörter mit juristischem Bezug 2018: Verbale Fehltritte in der Rechtsstaatsdebatte . In: Legal Tribune Online, 29.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32945/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag