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Strafanzeige gegen Bundesregierung wegen Überwachung: 57 Seiten Druck auf die Bundesanwaltschaft

von Constantin Baron van Lijnden

04.02.2014

Gesetze und Internet

© fotogestoeber - Fotolia.com

Es ist nicht die erste Strafanzeige, die im Zusammenhang mit der NSA-Affäre erstattet wurde, aber allemal die umfangreichste. Auf 57 Seiten, die der LTO vorliegen, machen die Internationale Liga für Menschenrechte, der Chaos Computer Club, der Digitalcourage e.V. sowie mehrere Einzelpersonen einen Rundumschlag gegen hohe und höchste Amtsträger. Wenn nötig, wollen sie ein Ermittlungsverfahren erzwingen.

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Die Idee der Strafanzeige ist eine simple: Da Polizei und Staatsanwaltschaft nicht jede verübte Straftat mitbekommen, hat der Bürger die Möglichkeit, die Behörden über Vorgänge zu informieren, die ihre Aufmerksamkeit erfordern. Nach diesem Verständnis ist eine Strafanzeige wegen der im Zuge der NSA-Affäre bekanntgewordenen Massenüberwachung eigentlich überflüssig. Denn diese Vorgänge sind hinlänglich bekannt, sowohl den Behörden als auch dem Rest der Welt, so dass ein etwaiges Ermittlungsverfahren auch ohne Hinweise aus der Bevölkerung betrieben werden könnte.

Wohlgemerkt: könnte. Tatsächlich zeichnet sich die zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bei dem Thema durch ausgesprochene Zurückhaltung aus. Einen Anfangsverdacht für ein strafrechtlich relevantes Verhalten will man dort auch heute, mehr als ein halbes Jahr nach dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe aus den Snowden-Dokumenten, nicht bejahen. Und so muss man die am Montag von diversen Bürgerrechtsorganisationen und Privatpersonen erstattete Strafanzeige wohl weniger als Information denn als Appell verstehen: Die Fakten liegen auf dem Tisch, nun tut doch endlich etwas!

Der deutsche Staatsapparat auf der Anklagebank

Um diesem Appell Nachdruck zu verleihen, ordnet die Anzeige die Fakten in ein 57-seitiges Gutachten. Sie resümiert, was bekannt ist, subsumiert, welche Tatbestände erfüllt wurden und in wessen Verantwortung diese fallen. Dabei gehen die Verfasser, die Rechtsanwälte Schultz & Förster in Berlin, allemal großzügig vor: Die Liste der Verdächtigten liest sich wie ein Who-is-who des deutschen Staatsapparates.

Neben der gesamten Bundesregierung finden sich dort etwa auch die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie des Militärischen Abschirmdienstes, die Leiter der Landesämter für Verfassungsschutz, britische und deutsche Geheimdienstagenten und deren Vorgesetzte sowie die Amtsvorgänger sämtlicher genannten Personen wieder.

Auch die rechtliche Begutachtung fällt üppig aus. Neben der vielfach zitierten Geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Strafgesetzbuch (StGB) sehen die Anwälte zahlreiche weitere Delikte verwirklicht: Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB), die Verletzung der Vertraulichkeit des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB), das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), die Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) sowie die des Fernmeldegeheimnisses (§ 206 StGB) und die Strafvereitelung (§ 258 StGB).

Politischer Wille ausschlaggebend

Brisant und in der bisherigen Debatte oft vernachlässigt: Nur für einen dieser Tatbestände (den des § 99 StGB) ist in § 153d der Strafprozessordnung die Möglichkeit einer Einstellung wegen diplomatischer Erwägungen vorgesehen. Da dessen Verwirklichung jedoch mit den übrigen Tatbeständen zusammenfalle und der Schwerpunkt der Tat bei letzteren liege, komme eine Einstellung nach § 153d hier nicht in Betracht, argumentieren die Berliner Anwälte.

Hinsichtlich der Wirkung seiner Argumente macht Hans-Eberhard Schultz sich indes keine Illusionen: "Ob ich auf 57 oder 570 Seiten darlege, warum hier in massiver Weise gegen geltendes Recht verstoßen wurde und wird, macht letztlich keinen Unterschied, wenn der politische Wille zur Durchführung von Ermittlungen fehlt. Je größer der öffentliche Druck in dieser Sache wird, desto eher wird man im Justizministerium grünes Licht geben."

Doch auf Stimmungsmache allein will man sich nicht verlassen, und hat daher zugleich auch die Weichen für weitere juristische Schritte gestellt: "Wir legen in der Anzeige dar, warum die Erstatter und Erstatterinnen höchstwahrscheinlich auch persönlich von der Überwachung betroffen sind. Wenn die Bundesanwaltschaft also erklären sollte, die Vorermittlungen einzustellen, werden wir im nächsten Schritt ein Klageerzwingungsverfahren einleiten."

Andauernde Vorermittlungen kaum justiziabel

Derzeit sieht es allerdings weder nach einer Einstellung noch nach dem Beginn von Ermittlungen aus, sondern nach der Perpetuierung des aktuellen Schwebezustandes. "Dieses sich endlos hinziehende Vorermittlungsverfahren ist äußerst problematisch", meint Schultz, "weil es in dieser Phase keine Rechtsmittel gibt, um die Staatsanwaltschaft zum Handeln zu bewegen. In Betracht kommt nur eine Beschwerde bei dem zuständigen Oberlandesgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer, was juristisch aber Neuland wäre."

Bei dem Gericht in Straßburg ist bereits eine andere Beschwerde anhängig, welche von Bürgerrechtsorganisationen gegen die Überwachungspraxis des britischen Geheimdienstes lanciert worden ist. Jenem Verfahren hat der Gerichtshof Ende Januar höchste Priorität zugesprochen und die britische Regierung zur Beantwortung eines Fragenkatalogs aufgefordert. "Es ist bedauerlich, wenn die nationalen Regierungen erst durch Zuruf aus Europa ihrer Verantwortung nachkommen", meint Schultz, "aber wenn nötig, werden auch wir diesen Weg gehen".

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Constantin Baron van Lijnden, Strafanzeige gegen Bundesregierung wegen Überwachung: 57 Seiten Druck auf die Bundesanwaltschaft . In: Legal Tribune Online, 04.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10873/ (abgerufen am: 25.09.2023 )

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