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Nazi-Datei von Polizei und Geheimdiensten: Getrennt sammeln, gemeinsam nutzen

von Dr. Christian Rath

23.05.2012

Neonazi bei einer Kundgebung in Hof (01.05.2012)

Neonazi bei einer Kundgebung in Hof (01.05.2012), Foto: Timm Schamberger/dapd

Die "Lex Zwickau" kommt voran. An Mittwoch werden in Berlin die Fraktionsexperten des Innenausschusses über die "Datei zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus" beraten. Schon im Juni soll dann der Bundestag die Einführung der Rechtsextremisten-Datei beschließen. Ob diese Datei ein neues Zwickauer Trio verhindern kann, ist aber fraglich, meint Christian Rath.

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Als die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) und Ermittlungspannen der Sicherheitsbehörden bekannt wurden, brachte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sofort eine Neonazi-Datei auf den Weg. Die geplante Rechtsextremismus-Datei (RED) soll dabei helfen, rechte Gewalttaten in Zukunft zu verhindern und aufzuklären. In der RED werden zwar keine neuen Namen erfasst. Sie soll aber den Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten (insbesondere dem Verfassungsschutz) verbessern.

Im Kern handelt es sich bei der RED deshalb um eine Indexdatei. Ermittler, die Informationen zu gewaltbezogenen Rechtsradikalen und ihren Kontaktpersonen suchen, sehen sofort, welche der vielen Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern weiterhelfen kann. Bisher gab es einen solchen Informationsverbund nur jeweils innerhalb der Polizei und innerhalb des Verfassungsschutzes.

Zu jedem in der RED erfassten Rechtsextremisten enthält die Datei elf Grunddaten, die eine Identifizierung ermöglichen. Dazu gehören Name, Geburtstag, besondere körperliche Merkmale und ein Lichtbild. Diese Grunddaten sind für die abrufende Behörde sofort ersichtlich. Außerdem werden 21 "erweiterte Grunddaten" gespeichert, die einer genauen Einschätzung des Extremisten dienen, zum Beispiel Mitgliedschaften, besuchte Veranstaltungen, Sprachkenntnisse, Waffenbesitz. In einem Freitextfeld können außerdem zusätzliche Vermerke aufgenommen werden. Auf diese erweiterten Grunddaten darf in der Regel nur mit Zustimmung der einstellenden Behörde zugegriffen werden.

Schulterschluss mit der Opposition

Um die Neonazi-Datei möglichst schnell auf den Weg zu bringen, hat die Bundesregierung  einen entsprechenden Gesetzentwurf (BT Drucksache 17/8672) bereits im Februar eingebracht. Anfang März wurde er in Bundestag und Bundesrat debattiert, Mitte März fand im Innenausschuss des Bundestags eine erste Anhörung statt. Seitdem haben CDU/CSU und FDP noch kleinere Änderungen ausgehandelt. Nun suchen sie den Schulterschluss mit der Opposition, vor allem mit der SPD, die das Projekt ebenfalls befürwortet. Nur die Linke lehnt gemeinsame Dateien von Polizei und Geheimdiensten generell ab. Die Grünen halten die Einführung zumindest für übereilt.

Denn die RED hat ein Vorbild: die Ende 2006 beschlossene Anti-Terror-Datei (ATD), deren Effizienz noch nicht verifiziert ist. Sie wurde zunächst als "Islamistendatei" diskutiert, dann auf den gesamten "internationalen Terrorismus" erweitert. Faktisch wird sie bislang aber nur zur Speicherung von Islamisten benutzt. Sie enthält derzeit die Namen von rund 18.600 Personen, von denen nur rund 3.400 von in Deutschland leben.

Die ATD ist laut Gemeinsame-Dateien-Gesetz "fünf Jahre nach dem Inkrafttreten" zu evaluieren. Das Innenministerium hat die Auswertung  gerade erst begonnen und will diese Ende 2012 abschließen. Die Nazidatei wird also beschlossen, ohne auf die Ergebnisse der ATD-Evaluation zurückgreifen zu können. Innenminister Friedrich betont jedoch schon jetzt, dass die ATD "sehr gute Ergebnisse" bringe. Wie sein Ministerium erläutert, sind damit zwar keine konkreten Aufklärungserfolge gemeint, aber viele Abfrage-"Treffer", die einen weiteren Informationsaustausch von Polizei und Geheimdiensten zur Folge hatten.

Die Regierung will eine juristische Prüfung der ATD nicht abwarten

Auch auf die juristische Prüfung der ATD wollen Bundesregierung und schwarz-gelbe Koalition nicht warten. Gegen das Gesetz zur Anti-Terror-Datei wurde 2007 eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in diesem Jahr entscheiden will. Es geht dabei um die - auch für die RED relevante - Frage, ob die ATD das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten verletzt. Der Beschwerdeführer moniert, dass die Polizei in der ATD auf Dateien zugreifen kann, die sie selbst nicht erheben darf, sondern nur der Verfassungsschutz mit seiner Vorfeld-Kompetenz. Bisher hat das BVerfG offen gelassen, ob dem Grundgesetz ein solches Trennungsgebot zu entnehmen ist. Jedenfalls der bloße Informationsaustausch wurde bislang nicht als Problem gesehen. Dies könnte sich aber ändern, denn die Klage wird in Karlsruhe sehr ernst genommen.

Doch welche Personen aus dem rechtsextremen Umfeld sollen nun konkret in der Nazi-Datei gespeichert werden? Im Vergleich zur ATD sind die Maßstäbe - zumindest auf den ersten Blick - strenger geworden. So genügt es nicht mehr, dass jemand die Anwendung von Gewalt bloß "befürwortet". Erforderlich ist zum Beispiel, dass zur Gewalt "aufgerufen" oder diese "unterstützt" wird. Als gewaltbezogen gilt ein Rechtsextremer außerdem, wenn er wegen einer Gewalttat oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde oder verdächtigt wird.

Außerdem sollen Kontaktpersonen in der neuen Datei gespeichert werden. Und auch hier sind die Regeln strenger als bei der ATD. Denn nur "Angehörige der rechtsextremistischen Szene" sollen als Kontakte registriert werden. Freunde oder Mitbewohner von militanten Nazis hätten in der RED also nichts zu suchen. Das reduziert Stigmatisierungsrisiken. Da viele der rechten Militanten aber gut vernetzt sind, dürfte trotzdem ein Großteil der rechten Szene in der neuen Datei landen. Unter der Hand entsteht so eine große Gesinnungsdatei. Mit Blick auf die NSU-Zelle lässt sich dies allerdings gut rechtfertigen. Schließlich waren einige ihrer Helfer vorher nicht als gewalttätig aufgefallen.

Erweiterte Datennutzung gefährdet das Trennungsgebot

Um einen weitgehenden Informationsaustausch zu ermöglichen, sollen mindestens 36 Sicherheitsbehörden auf die RED zugreifen können: Die Kriminalämter des Bundes und der Länder, die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder, die Bundespolizei und der Militärische Abschirmdienst. Hinzu kommen spezielle Polizeieinheiten zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus. Sie bekommen in der Regel aber nur die Grunddaten zu sehen. Auf die erweiterten Grunddaten kann eine Behörde nur in Eilfällen ohne Absprache direkt zugreifen. Diese Eilfälle sind politisch noch umstritten. Nach Einschätzung von BKA und Bundes-Verfassungsschutz sollen sie aber nur "äußerst selten" vorkommen. Das ist auch plausibel: bei der ATD gab es in fünf Jahren erst einen derartigen Eilfall.

Viel relevanter dürfte dagegen die "erweiterte Datennutzung" nach § 7 RED-Gesetz sein, für die es in der ATD noch kein Vorbild gab. Hier können die Behörden den gesamten Datenbestand für Analysezwecke im Stile einer Rasterfahndung durchforsten. Ursprünglich sollte diese Nutzung generell und ständig möglich sein. Auf Druck von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist sie nun aber nur in zeitlich und räumlich begrenzten Projekten zulässig. So könnte zum Beispiel nach dem Untertauchen eines gewaltbereiten Nazis ein schneller Überblick über "verlorene" Ausweispapiere bei anderen Nazis der Region gewonnen werden. Oder es könnte nachgewiesen werden, dass sich bestimmte Personen kennen, weil sie immer wieder gemeinsam bei Konzerten, Demonstrationen und Veranstaltungen gesehen wurden. Ein derartiges Analyseprojekt kann auf bis zu vier Jahre verlängert werden. Bei dieser gemeinsamen Nutzung von Polizei- und Verfassungsschutzdaten dürften sich wohl am ehesten Probleme mit dem Trennungsgebot ergeben.

Verdeckte Speicherung hemmt den Informationsaustausch

Mit der RED sind große Hoffnung verbunden. Der Thüringer Innenminister Jörg Geipert (CDU) will mit der Datei "auch bislang unbekannte rechtsextreme Täterverbindungen und Strukturen erkennen". Die SPD-Abgeordnete Kirsten Lühmann will mit Hilfe der Datei "erkennen, wann aus einem Rechtsextremen ein Rechtsterrorist wird." Hinter allem steht die Hoffnung, dass eine Terror-Gruppe wie die NSU nicht mehr unerkannt abtauchen kann und Nazi-Morde künftig als solche identifiziert werden.

Letzteres dürfte aber kaum möglich sein. Wenn schon bei Gewalttaten der rechtsradikale Hintergrund nicht erkannt wird, hilft bei der Aufklärung auch eine Nazidatei nicht weiter.

Fraglich ist außerdem, ob die Datei den Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdienst wirklich spürbar verändert. Die Gefahr, dass vor allem die Nachrichtendienste versuchen, ihr Wissen abzuschotten, um ihre Quellen nicht zu gefährden, besteht auch künftig. Der Gesetzentwurf räumt den Diensten deshalb die Möglichkeit der verdeckten Speicherung ein. Das heißt: Wenn die Polizei anfragt, bekommt sie keinen Treffer angezeigt, der einstellende Dienst sieht aber die Anfrage und kann antworten - oder nicht. Wenn er nicht antwortet, wird dies zumindest protokolliert und damit später kontrollierbar. Allerdings können die Dienste bei den erweiterten Grunddaten auch ganz auf eine Speicherung verzichten. Das heißt: bei einer "erweiterten Datennutzung" gibt es keine Suchergebnisse und eine nachträgliche Kontrolle fällt weg.

Auch nach Einführung einer gemeinsamen Nazi-Datei dürfte die informationelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutz deshalb weitgehend bestehen bleiben - mehr jedenfalls als Sicherheitspolitiker erhoffen und Datenschützer befürchten.

Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent verschiedener Tageszeitungen, unter anderem der taz.

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Christian Rath, Nazi-Datei von Polizei und Geheimdiensten: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6253 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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