Zwei deutsche Anwälte werfen Fotografen Beihilfe zu den Taten der Hamas vor. Wann wird Kriegsberichterstattung strafbar? Eine Strafrechtsprofessorin beschreibt, auf was es ankommt.
Die ersten Fotos tauchten am 7. Oktober schon kurz nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel auf. Bei dem Angriff starben nach Angaben der israelischen Regierung 1.200 Menschen und 240 wurden als Geiseln genommen. So entstanden Fotos von brennenden Panzern und entführten und misshandelten israelischen Zivilisten. Eine Aufnahme zeigt auch, wie die Entführer der getöteten Deutsch-Israelin Shani Louk auf einem Pick-Up mit ihrer Geisel posieren. Aufgenommen hatten solche Bilder nicht nur die Terroristen selbst, sondern auch sechs freie Fotografen, die unter anderem für die renommierten Nachrichtenagenturen Associated Press (AP) und Reuters sowie die New York Times und CNN arbeiteten.
Die Fotografen waren offenbar dicht dran an den Geschehnissen – womöglich zu dicht? Und in welcher Rolle fotografierten sie?
Ihr Vorgehen werfe "ernsthafte ethische Fragen auf", so die Nicht-Regierungsorganisation (NGO) "HonestReporting", die zuerst Vorwürfe gegen die Fotografen veröffentlichte. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, "Ungenauigkeiten, Falschmeldungen und Voreingenommenheit in Medien über Israel nachzugehen und zu dokumentieren". Die NGO fragt sich etwa, warum die Journalisten schon so früh die Angriffe begleiteten.
"Das sind unglaubliche Vorwürfe von immenser Tragweite, die umfassend aufgeklärt werden müssen", äußerte sich der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes Mika Beuster kurz nach Veröffentlichung des NGO-Berichts.
Ein Fall für den Generalbundesanwalt
Die Rechtsanwälte Hans-Jürgen Förster und Thomas Walther halten das Verhalten der Fotografen sogar für strafrechtlich relevant. Sie haben Strafanzeige beim Generalbundesanwalt erstattet. Damit wollen sie erreichen, dass die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen auch auf die Fotojournalisten ausweitet.
Förster hat früher selbst bei der Bundesanwaltschaft gearbeitet, wurde dort Oberstaatsanwalt, später Bundesanwalt, war Ankläger in Spionageverfahren. Seine frühere Behörde ermittelt bereits wenige Tagen nach dem Angriff gegen unbekannte Mitglieder der Hamas wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung wegen Geiselnahme und Mord (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1, § 211 Abs. 2, § 239b StGB) deutscher Staatsangehöriger. Der Vorwurf in der Strafanzeige der Anwälte, die LTO vorliegt, lautet auf Beihilfe zu diesen Taten. Die Journalisten hätten mit ihrem Verhalten die weltweit dokumentierte Verbreitung dieser Straftaten gefördert.
Was spricht dafür, das Vorgehen der Journalisten als strafbar einzustufen?
Wie nah waren die Fotoreporter an der Hamas dran?
Vieles, was am Morgen des 7. Oktober passierte, ist noch unklar. "HonestReporting" nennt die Namen Hassan Eslaiah, Yousef Masoud, Ali Mahmud und Hatem Ali. Die Agentur AP hat Aufnahmen der vier Fotografen von diesem Tag veröffentlicht. Insbesondere Eslaiah steht dabei im Fokus: Er machte Fotos eines brennenden israelischen Panzers und soll dann sich selbst vor dem Panzer abgelichtet haben – ohne Presseweste oder Helm. "HonestReporting" hat einen Screenshot seines – mittlerweile gelöschten – Tweets auf X veröffentlicht, der das Bild mit der Unterschrift "Live aus den Siedlungen des Gazastreifens" zeigt. Später tauchte noch ein Bild von Eslaiah neben dem Hamas-Führer Yahya Sinwar auf, das aus dem Jahr 2020 stammen soll. Mahmud nahm unter anderem das Bild des Pick-Ups auf, auf dem der Körper der entführten und getöteten Deutsch-Israelin Shani Louk lag.
Auch Reuters veröffentlichte Fotos von zwei Fotografen vom 7. Oktober: Mohammed Fayq Abu Mostafa und Yasser Qudih. Eine Aufnahme von Abu Mostafa zeigt einen Mob, der die Leiche eines israelischen Soldaten brutal misshandelt.
AP, CNN, die New York Times und Reuters veröffentlichten Statements und erklärten, sie hätten im Vorfeld nicht von dem geplanten Überfall auf Israel gewusst. Auf Fragen nach strafrechtlichen oder ethischen Grenzen lassen sich die Statements nicht ein. AP und CNN bekundeten allerdings, sie hätten die Zusammenarbeit mit Eslaiah beendet. Laut AP sind die ersten Bilder mehr als eine Stunde nach Beginn des Angriffs aufgenommen worden. Reuters sprach von zwei Stunden, nachdem die Hamas den Raketenangriff auf den Süden Israels begonnen hatte und mehr als 45 Minuten nach Israels Erklärung, Bewaffnete hätten die Grenze überschritten. Die Ausführungen sollen offenbar untermauern, dass die Journalisten nicht "embedded", also als Berichterstatter gezielt in den Angriff eingebunden waren.
Zu einer anderen Einschätzung kommt mit Blick auf die angefertigten Fotos im Interview mit tagesschau.de die Kriegsfotografin Ursula Meissner: "Das [das Selfie mit dem brennenden Panzer und das Foto mit dem Hamasführer, Red.] sagt mir, dass das keine professionellen Journalisten waren, sondern Verbündete, Freunde, die die Hamas mitgenommen hat. Andere würde die Hamas gar nicht akzeptieren. Für mich sind das Mittäter und keine Journalisten."
Strafbare Beihilfe durch Berichterstattung?
Von Mittäterschaft im strafrechtlichen Sinne geht die Strafanzeige an den Generalbundesanwalt dagegen nicht aus. Die Anwälte Förster und Walther wollen aber für Beihilfe zu Mord und Geiselnahme der Terrorgruppe Hamas einen hinreichenden Anfangsverdacht erkennen. Wegen Beihilfe kann bestraft werden, wer zu einer Straftat Hilfe leistet (§ 27 StGB).
Dabei müssen die Gehilfen nicht unbedingt Tatwerkzeuge beschaffen oder "Schmiere stehen". Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht auch "psychische Beihilfe" aus, wenn der oder die Täter sich durch das Verhalten des Gehilfen bestärkt fühlen darf.
Dass das Fotografieren vor Ort und das Bereitstellen der Fotos für Veröffentlichungen dafür ausreicht, hält die Völkerstrafrechtlerin Prof. Dr. Stefanie Bock von der Universität Marburg aus mehreren Gründen für zweifelhaft. "Die Berichterstattung verstärkt vor allem Nachtateffekte. Der Vorwurf der Beihilfe wäre aber nur dann begründet, wenn sie die Tatausführung selbst gefördert hätte“, ordnet Bock ein.
Eine Förderung bei der Tat selbst ließe sich dann bejahen, wenn die Täter durch die Anwesenheit der Fotografen in ihrem Tatentschluss bestärkt oder von ihnen angefeuert worden wären. Zusätzlich müssten die Fotografen vorsätzlich gehandelt haben, es also zumindest für möglich gehalten haben, dass völkerrechtliche Verbrechen begangen werden und dass sie diese durch die Berichterstattung fördern – alles Umstände, die schwierig zu beweisen sind.
Strafbar, wenn Journalisten sich mit Tätern solidarisieren
Hinzu kommt, dass die journalistische Tätigkeit durch die Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz geschützt ist.
Das betont auch der ARD-Korrespondent für Israel und die palästinensischen Gebiete Jan-Christoph Kitzler: "Journalisten werden nicht zu Mittätern, wenn sie schreckliche Verbrechen dokumentieren, im Gegenteil: Sie sind dazu verpflichtet. Dieser Vorwurf offenbart ein schräges Verständnis von der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten", so Kitzler im Interview mit tagesschau.de. Aber wann wechselt ein Journalist die Seiten, wann wird er vom Berichterstatter zum Anheizer und Propagandisten des Terrors?
Auch Strafrechtlerin Bock weist auf die Pressefreiheit hin: "Insgesamt muss auch berücksichtigt werden, dass die Bevölkerung ein Informationsinteresse hat. Die Grenzen des rechtlich Zulässigen wären wohl dann erreicht, wenn sich der Berichterstattende mit den Tätern solidarisiert." Wann dies genau der Fall ist, müsse im Einzelfall geprüft werden, so Bock. "Im Übrigen ist es eine ethische und moralische Frage, inwiefern man solche Bilder anfertigen und verbreiten und so unter Umständen die Hamas unterstützen möchte."
Auf Anfrage wollte sich die Bundesanwaltschaft derzeit nicht zu dem Vorfall und der Strafanzeige äußern und verwies auf die laufenden Ermittlungen.
Strafanzeige gegen Fotografen bei Hamas-Überfall: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53188 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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