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54002

"Die Partei" scheitert vorm BVerfG: Weg für Sperr­klausel im Euro­pa­wahl­recht ist frei

von Helena Schroeter

29.02.2024

Wahlplakat von "Die Partei"

Bei der Europawahl 2019 erreichte "Die Partei" ein Ergebnis von 2,4 Prozent. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Sonneborn und seine Partei wollten erreichen, dass kleine Parteien weiterhin in das Europaparlament einziehen können. Das BVerfG verwarf ihre Begehren nun als unzulässig. Damit ist der Weg für die Sperrklausel bei der Europawahl frei.

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Die Partei "Die Partei" und ihr Vorsitzender, der Satiriker und Europaparlamentsabgeordnete Martin Sonneborn, haben vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine juristische Niederlage erlitten. Sie wollten erreichen, dass das höchste Gericht Deutschlands die Einführung einer Sperrklausel bei der Europawahl verhindert. Den Begehren erteilte das BVerfG mit seinem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss (v. 06.02.2024, Az. 2 BvE 6/23, 2 BvR 994/23) eine Absage und verwarf den Antrag der Partei und die Verfassungsbeschwerde ihres Vorsitzenden als unzulässig.

Der Rat der Europäischen Union hatte 2018 einen Beschluss zur Einführung einer Sperrklausel in Höhe von mindestens zwei und höchstens fünf Prozent bei der Europawahl gefasst. Durch Inkrafttreten des Beschlusses ist Deutschland verpflichtet, mindestens eine zwei-Prozent-Hürde im nationalen Recht umzusetzen. Ein dementsprechendes Zustimmungsgesetz wurde bereits vom Bundestag und Bundesrat beschlossen. Es ist allerdings noch nicht in Kraft getreten.

Gegen dieses Zustimmungsgesetz richteten sich der Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens von "Die Partei" und die Verfassungsbeschwerde ihres Vorsitzenden Sonneborn. Sie argumentieren, das Gesetz verstoße gegen das Recht der Partei auf Chancengleichheit und das Recht Sonneborns auf Gleichheit der Wahl. Der EU-Beschluss verstoße gegen den Subsidiaritätsgrundsatz in Art. 5 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und überschreite deshalb die Kompetenzen der EU. Außerdem berühre es das in Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützte Demokratieprinzip und damit die Verfassungsidentität Deutschlands.

Beschränkter Prüfungsmaßstab des BVerfG

Das BVerfG verwarf die Begehren nun als unzulässig und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass "Die Partei" und Sonneborn nicht ausreichend begründet hätten, inwieweit das Zustimmungsgesetz ihre verfassungsmäßigen Rechte verletze.

Das BVerfG geht dabei insbesondere auf seine eigene Prüfungskompetenz ein was Gesetze angeht, die eine Mitwirkung Deutschlands an einem Rechtsakt der EU darstellen (Art. 23 Abs. 1 GG). Denn Das von "Die Partei" und Sonneborn angegriffene Zustimmungsgesetz sei eine solche Mitwirkung. Der Prüfungsmaßstab sei in solchen Fällen – im Gegensatz zu Entscheidungen über nationale Gesetze – auf eine Ultra-vires- bzw. Identitätskontrolle beschränkt.

"Ultra vires" ist lateinisch und bedeutet "über die Kräfte hinaus". Im Zusammenhang mit EU-Recht wird der Ausdruck für Akte verwendet, mit denen die Europäische Union ihre Kompetenzen überschreitet. Eine solche (bisher sehr seltene) Überschreitung nahm das BVerfG zum Beispiel in seiner Entscheidung zu dem EZB-Anleihenkaufprogramm aus dem Jahr 2020 an, das bundesweit tagelang Schlagzeilen machte.

Im Rahmen der Identitätskontrolle überwacht das BVerfG die Wahrung der nach Art. 1, 20 und 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Es prüft, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze durch eine Maßnahme der Europäischen Union berührt werden. "Beide Kontrollvorbehalte sind zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben", schreibt das BVerfG in seiner am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung zu seinem Beschluss.

EU-Parlament muss handlungsfähige Mehrheiten bilden können

Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs haben "Die Partei" und Sonneborn nach Auffassung des BVerfG nicht ausreichend begründet, inwieweit die Festlegung der Sperrklausel die Kompetenz der EU überschreiten oder die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berühren soll.

Durch den Beschluss des Rates würden keine Hoheitsrechte Deutschlands auf die EU übertragen, so die Verfassungsrichter. Die Kompetenz zur Vereinheitlichung des Wahlverfahrens zum Europäischen Parlament liege gem. Art. 223 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) klar bei der EU.

Sonneborn und "Die Partei" haben nach Auffassung des BVerfG auch nicht ausreichend dargelegt, wie die Identität des GG, insbesondere das Demokratieprinzip, durch das beschlossene Zustimmungsgesetz berührt werden sollen. Die Europäische Union sei selbst dem Grundsatz der Demokratie verpflichtet, so das BVerfG. Nach Art. 223 Abs. 1 AEUV könne sie das Wahlrecht zum EU-Parlament in Übereinstimmung mit den in allen Mitgliedstaaten anerkannten Grundsätzen regeln. Sperrklauseln seien dabei als Gestaltungsmittel grundsätzlich anerkannt.

Das BVerfG argumentierte weiter, dem Unionsgesetzgeber stehe bei der Abwägung der Belange der demokratischen Gleichheit und der Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Europäischen Parlaments ein Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Das EU-Parlament nehme wichtige Aufgaben wahr, es sei etwa an der Wahl der EU-Kommission und der Gesetzgebung und der Aufstellung des Haushaltsplans der Union beteiligt. Dafür müsse es handlungsfähige Mehrheiten bilden können, was durch eine wachsende Zersplitterung des Parlaments, speziell durch den Einzug von Kleinstparteien mit ein oder zwei Abgeordneten, erschwert werde.

Nationale Sperrklauseln verfassungswidrig – Umweg über EU-Beschluss gelingt

2011 hatte das BVerfG die Einführung einer Fünf-Prozent-Hürde im Europawahlgesetz für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin führte der Gesetzgeber eine Drei-Prozent-Hürde ein, die das BVerfG ebenfalls für verfassungswidrig erklärte. Das Argument: Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, wie es damals aus Karlsruhe hieß. Im Gegensatz zum Bundestag komme es im Europaparlament nicht so auf stabile Mehrheitsverhältnisse an.

Auf Initiative von CDU, CSU und SPD ("Große Koalition") hin einigten sich die EU-Staaten im Rat der Europäischen Union 2018 auf die Einführung einer Sperrklausel durch den Beschluss auf EU-Ebene. Dadurch wurde der Prüfungsmaßstab auf die oben genannten Ultra-vires- bzw. Identitätskontrollen beschränkt. Über den EU-Beschluss findet eine Sperrklausel nun trotzdem ihren Weg ins deutsche Europawahlgesetz.

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"Die Partei" scheitert vorm BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 29.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54002 (abgerufen am: 19.11.2025 )

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