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Sollte man kennen: Sechs wich­tige BGH-Ent­schei­dungen aus 2022

von Katharina Uharek

28.12.2022

Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

In Karlsruhe ging's auch 2022 wieder rund. Foto: picture alliance/dpa | Uli Deck

Das hat Potential für BGHSt und BGHZ: Der BGH traf auch 2022 wieder bedeutsame Entscheidungen. Unter anderem zu Encrochat, dem "Judensau"-Relief und zur Strafbarkeit einer Frau, die ihrem Mann den Wunsch selbstbestimmten Sterbens erfüllte.

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Bedeutsame Entscheidungen 2022

Das Jahr 2022 in Karlsruhe und Leipzig war geprägt von strafrechtlich relevanten Entscheidungen. Neben der verworfenen Revision des Mörders des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke entschied der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Jahr, dass die u.a. durch französische Behörden gehackten Encrochat-Daten im Strafprozess verwertbar sind und nahm eine viel kritisierte Abgrenzung im Zusammenhang mit selbstbestimmtem Sterben vor.

Zivilrechtlich mussten die Richter:innen in Karlsruhe sich auch in diesem Jahr mit enttäuschten Verbraucher:innen und gefrusteten Gewerbetreibenden beschäftigen, die über Ansprüche im Zusammenhang mit pandemiebedingten Ausfällen stritten. Dazu ist es dem BGH natürlich auch in diesem Jahr nebenbei gelungen, mit einer Entscheidung zum gutgläubigen Gebrauchtwagenkauf einen absoluten Examenstreffer zu produzieren.

1/6: Verwertbarkeit von Encrochat-Daten

1/6: Verwertbarkeit von Encrochat-Daten

Mit den Daten der angeblich abhörsicheren Mobiltelefone, die u.a. durch französische Behörden im Jahr 2020 gehackt wurden, gab es eine plötzliche Flut an Informationen, die auch durch deutsche Ermittlungsbehörden zu sichten und einzuordnen waren. Darauf folgten erste Strafprozesse, vorrangig basierend auf einem Beweismittel: den umfassenden Encrochat-Protokollen.

Im März 2022 äußerte der 6. Strafsenat in Leipzig sich erstmals zu der Verwertbarkeit der Encrochat Erkenntnisse in Strafprozessen. Entgegen der Bedenken, die beispielsweise das Landgericht Berlin äußerte, entschied der Senat sich für die Verwertbarkeit des Datenschatzes.

Ganz abgeschlossen ist die Sache damit allerdings noch nicht. Im März waren beim BGH noch zahlreiche Verfahren anhängig gewesen, in denen sich auch andere Senate zur Verwertbarkeit werden positionieren müssen.

 

2/6: Ein Relief sorgt für Aufregung

 

 

2/6: Ein Relief sorgt für Aufregung

Noch immer befindet sich an der Stadtkirche Wittenberg die "Judensau"-Plastik aus dem 13. Jahrhundert. Daran wird sich auch vorerst nichts ändern. Denn der BGH entschied, dass das antisemitische Schmährelief nicht entfernt werden muss.

Geklagt hatte der konvertierte Bonner Jude Michael Düllmann, der sich von der Schmähung persönlich beleidigt sieht. Neben der relevanten Entscheidung darüber, ob die Parteien überhaupt aktiv- und passivlegitimiert waren, traf der BGH auch eine Entscheidung in der Sache. Genau wie die Stadt war der BGH der Ansicht, dass sich gemeinsam mit der vorhandenen Bodenplatte das "Schandmal" in ein "Mahnmal" zum Zwecke des Erinnerns gewandelt habe.

Der Kläger möchte sich mit dieser Entscheidung aus Karlsruhe nicht zufriedengeben. Er hat bereits Verfassungsbeschwerde erhoben und kämpft weiter für die Entfernung der Plastik. Auch Ex-BGH-Richter und LTO-Kolumnist Thomas Fischer meint, das beleidigende Relief sei in einem Museum besser aufgehoben.

 

3/6: Der Mord an Walter Lübcke

 

 

3/6: Der Mord an Walter Lübcke

Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der 2019 von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst verübt wurde, sorgte für Fassungslosigkeit. Dieses Jahr hatte der BGH sich im Revisionsverfahren des Verurteilten mit der Beweiswürdigung des Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main auseinanderzusetzen und befand diese für fehlerfrei. Die wasserdichte Beweiswürdigung des OLG war, ebenso wie das Verfahren, durch den Vorsitzenden OLG-Richter Thomas Sagebiel geprägt, der für anfängliche Äußerungen im Prozess stark kritisiert worden war.

Der Rechtsextremist Ernst hatte mit seiner Revision keinen Erfolg. Die Verurteilung wegen Mordes zu lebenslanger Haft bestätigte der BGH ebenso wie den Freispruch des wegen Beihilfe angeklagten Markus H.

 

4/6: Insulin-Beschluss des BGH

 

 

4/6: Insulin-Beschluss des BGH

Auch in diesem Jahr findet sich das gesellschaftlich bedeutsame Thema der Sterbehilfe und der damit verbundene Wunsch des selbstbestimmten Sterbens in einer Entscheidung des BGH wieder. Der 6. Strafsenat nahm unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine Abgrenzung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Beihilfe zum Suizid vor. 

Eine Frau hatte ihrem Ehemann auf seinen Wunsch hin eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt und ihm so einen selbstbestimmten Tod ermöglicht. Nach Ansicht des Senats machte die Frau sich nicht strafbar - er sprach sie frei. Warum der Beschluss des BGH für ihn eine lebensgefährliche Entscheidung für Alte und Kranke darstellt, erklärte Tonio Walter bei LTO.

Die strafrechtliche und verfassungsrechtliche Debatte um selbstbestimmtes Sterben beschäftigte auch 2022 wieder den Bundestag. Seit das BVerG die im Jahr 2015 geschaffene Norm zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB a.F.) für verfassungswidrig erklärt hat, diskutieren Sachverständige und Abgeordnete im Rechtsausschuss über eine mögliche Neuregelung des assistierten Suizids.

 

5/6: Examensstoff vom BGH

 

 

5/6: Examensstoff vom BGH

Selbst diejenigen, die schon lange mit der Examensvorbereitung durch sind, erinnern sich höchstwahrscheinlich noch an diesen Dauerbrenner: den gutgläubigen Erwerb eines Gebrauchtwagens. Wer trägt die Beweislast dafür, dass ein gefälschter Fahrzeugbrief vorgelegt wurde?

Nach Ansicht des BGH eindeutig der bisherige Eigentümer und nicht etwa der Käufer des Fahrzeuges, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Der Verkäufer muss beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung nicht hat vorlegen lassen oder diese nicht geprüft hat.

Auch im nächsten Jahr wird sich die Begeisterung der Justizprüfungsämter für Pferde und Fahrzeuge in den Klausurinhalten widerspiegeln. Examenskandidat:innen sind sicherlich gut beraten, sich dieses Urteil einmal näher anzuschauen.

 

6/6: Zivilrechtliche Abarbeitung der Pandemie

 

 

6/6: Zivilrechtliche Abarbeitung der Pandemie

Die pandemiebedingten Einschränkungen hatten selbstverständlich auch Auswirkungen auf das Vertragsrecht. So hatte der BGH in diesem Jahr über abgesagte Konzerte, geschlossene Fitnessstudios und ungenutzte Gewerberäume zu entscheiden. Auch die wiederholten Lockdowns hatten rechtliche Folgen, führten aber nicht immer zur rechtlichen Unmöglichkeit (§ 275 BGB). Ein Hochzeitspaar, das wegen der geltenden Coronaschutzverordnung ihre Feier absagen musste, verurteilte der BGH zur vollständigen Mietzahlung für die Räumlichkeiten.

Enttäuschte Verbraucher, gefrustete Gewerbetreibende und die Sache mit der Geschäftsgrundlage. Die Pandemie hat dem im Regelfall subsidiären Rechtsinstitut, der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), zu neuer Berühmtheit verholfen. In nahezu jedem der BGH-Urteile findet sich eine umfassende Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Norm, da zumindest eine Partei davon ausging, Vertragsanpassung oder Rücktritt fordern zu können.

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Sollte man kennen: Sechs wichtige BGH-Entscheidungen aus 2022 . In: Legal Tribune Online, 28.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50548/ (abgerufen am: 31.03.2023 )

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