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BAG zu mutmaßlichem AGG-Hopper: Bewerber als "Sek­re­tärin" hält Richter für befangen

von Tanja Podolski

26.02.2024

Vertragsschluss per Handschlag

Erfolglos bei den Bewerbungen als "Sekretärin". Nun hagelte es am LAG in Berlin Befangenheitsanträge (Symbolbild). Foto: Ralf Geithe - stock.adobe.com

Ein Mann bewirbt sich erfolglos auf Stellen als "Sekretärin" und unterliegt in der ersten von vielen AGG-Klagen am LAG in Berlin. Kurzerhand stellte er gegen alle Vorsitzenden dort Befangenheitsanträge. Jetzt hat das BAG entschieden.

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Können Richter:innen noch neutral und distanziert sein, wenn sie wissen, dass ein nicht in Berlin oder Umgebung lebender Mann allein in der Hauptstadt innerhalb von 15 Monaten elf Klagen auf Entschädigung wegen Geschlechtsdiskriminierung eingereicht hat? Ja, sagt das Bundesarbeitsgericht (BAG) und hat Ablehnungsgesuche eines angehenden Wirtschaftsjuristen gegen Vorsitzende Richter:innen am Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin Brandenburg zurückgewiesen (Beschl. v. 24.01.2024, Az. 8 AS 17/23). Dies zumindest, soweit sich die Anträge gegen die Vorsitzenden gerichtet haben, die bisher noch keine Fälle des Mannes bearbeitet haben. Das sind immerhin noch die Kammern 6, 8, 10, 12 und 14. Diese dürfen nach dem Geschäftsverteilungsplan nun über eine mögliche Befangenheit entscheiden. Und das dürfte spannender werden, als man auf den ersten Blick denken mag.

Das LAG in Berlin hat mit diversen Fällen des angehenden Wirtschaftsjuristen zu tun. Erst ein Verfahren ist durch die 3. Kammer rechtskräftig abgeschlossen (Urt. v. 20.01.2023, Az. 3 Sa 898/22). Vier weitere Verfahren sind noch nicht beendet. 

Viele Fälle, ein Ergebnis 

Der Sachverhalt im Urteil der 3. Kammer klingt vertraut. Der gelernte Industriekaufmann studiert Wirtschaftsrecht im Fernstudium und ist auf Jobsuche. Er bewirbt sich auf eine Stellenanzeige bei Ebay Kleinanzeigen (inzwischen nur noch Kleinanzeigen), in der explizit eine Frau als Sekretärin gesucht wird. Schon über die Nachrichtenfunktion des Portals stellt er konkrete Nachfragen an die Arbeitgebenden und fordert nach Ablehnung der Bewerbung eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Einen fast identischen Fall dieses Mannes hatte kürzlich das LAG Hamm als rechtsmissbräuchlich bewertet. In dem Urteil ist nachzulesen, dass der Student bundesweit ähnliche Klagen erhoben hat.

Auch in Berlin stuften das Arbeitsgericht und die 3. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg seine Klage als rechtsmissbräuchlich ein und wiesen sie ab.

Fehlerhafte Amtsermittlung oder offenkundige Tatsachen?

Zudem hat die 4. Kammer des LAG in Berlin mit einem ähnlichen Fall zu tun, sie wies die Berufung des Klägers vom 6. September 2023 zurück (Az. 4 Sa 900/22). Die Kammer befand schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Mannes, dass sein Entschädigungsbegehren rechtsmissbräuchlich sei. Er habe sich nur beworben, um Ansprüche auf eine Entschädigung geltend zu machen.

Der angehende Wirtschaftsjurist will das nicht hinnehmen und stellte Befangenheitsanträge gegen alle Vorsitzenden Richter:innen am LAG. Seine Begründung ist gleichermaßen kreativ wie rechtlich spannend: Der Vorwurf des angehenden Wirtschaftsjuristen an die Richter:innen in Berlin ist, dass sie die anderen Verfahren nicht berücksichtigen dürfen. Denn sie hätten die Klagen von Amts wegen in den Prozess eingeführt. Die Arbeitsgerichtsbarkeit zählt aber zu den Zivilgerichtsbarkeiten – und hier herrscht der Beibringungsgrundsatz, gegen den damit verstoßen worden sei. Denn im Zivilprozess ermittelt das Gericht den Sachverhalt nicht von sich aus. Richter:innen dürfen also grundsätzlich nur Tatsachen berücksichtigen, die die Parteien selbst vorgetragen haben.

Darüber hinaus dürfen Gerichte unstreitig rechtskräftige, veröffentlichte Entscheidungen eigenständig beiziehen. Veröffentlichungen über ähnliche Entscheidungen machen es also anderen Richter:innen leichter, mit diesen Klagen umzugehen bzw. konkret Rechtsmissbrauch festzustellen.

Doch was ist mit Verfahren, die womöglich sogar am selben Gericht anhängig sind und von denen Richter:innen auf sonstige Weise Kenntnis erlangt haben? Diese Tatsachen könnte das Gericht berücksichtigen, wenn sie offenkundig im Sinne des § 291 Zivilprozessordnung (ZPO) sind. Dazu gehören auch allgemeinbekannte und gerichtskundige Tatsachen, also solche, die dem jeweiligen Gericht bekannt sind. Dann müssen die Parteien nur die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Doch gehört eine irgendwie gewonnene Kenntnis von anderen Verfahren zu den offenkundigen Tatsachen?

Für den Studenten nicht, für ihn liegt hierin der Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz – doch vom BAG entschieden ist diese Konstellation bisher nicht. Es hat allerdings die Befangenheitsanträge in weiten Teilen zurückgewiesen und sieht das LAG Berlin-Brandenburg nicht als umfassend befangen und damit handlungsunfähig an. Das könnte indes als Indiz gewertet werden, dass das BAG die Verwertung der Kenntnis von anderen anhängigen Verfahren am eigenen Gericht für zulässig hält.

BAG muss für inhaltliche Entscheidung noch warten

Inhaltlich entschieden hat das BAG über diese Frage damit allerdings nicht. Es hat lediglich einige Befangenheitsanträge gem. § 46 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) iVm § 45 Abs. 3 ZPO selbst als unbegründet zurückgewiesen. Zudem hat das BAG entschieden, dass das LAG über weitere Anträge in Bezug auf Richter:innen, die bislang noch nichts mit dem Kläger zu tun hatten, selbst befinden darf.

Inhaltlich entscheiden wird das BAG demnächst in einem anderen Fall des Studenten. Denn dort ist das Verfahren aus Hamm inzwischen anhängig, der Student hat Revision eingelegt. Terminiert ist dieses Verfahren bisher nicht. Dieser Fall wird aber vermutlich keine klare Lösung bringen zur Frage, ob ein Gericht Kenntnisse über sonstige Verfahren eigenständig beiziehen darf. Denn in diesem Verfahren hatte – so steht es im Urteil – das beklagte Unternehmen selbst die weiteren Verfahren des Studenten ermittelt und die Erkenntnisse in den Prozess eingebracht.

In Berlin werden die Richter:innen nun über die offenen Befangenheitsanträge entscheiden und sukzessive ihre Verfahren abschließen. Dass auch diese Fälle dann im Instanzenzug beim BAG in Erfurt ankommen, ist anzunehmen. Dann bleibt es – wie schon in einem früheren Fall eines Münchner Anwalts, der ebenfalls AGG-Klagen angestrengt hatte, auch hier rechtlich spannend.

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BAG zu mutmaßlichem AGG-Hopper: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53967 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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