Die Corona-Impfungen gelten als wirksam – dennoch gibt es Nebenwirkungen. Etliche Betroffene verlangen nun Schadensersatz. In Bamberg und Rottweil wurde am Montag über diverse mögliche, teilweise schwerwiegende Impffolgen verhandelt.
Zwei Gerichte verhandelten am Montag über Schadensersatzklagen gegen Hersteller von Corona-Impfstoffen wegen möglicher Impfschäden. Es geht nicht nur um viel Geld, sondern auch um grundsätzliche Fragen zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Pharmaunternehmen, die als Gefährdungshaftung in § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) spezialgesetzlich geregelt ist.
Vor dem Landgericht (LG) Rottweil begann die Verhandlung über die Schadensersatzklage eines 58-Jährigen gegen Biontech. Seine erste Impfdosis hatte der Mann im Mai 2021 erhalten, die zweite im Juni. Schon einen Tag darauf habe er Wortfindungsstörungen und Konzentrationsprobleme gehabt, schilderte er vor Gericht. Später habe man einen Augeninfarkt bei ihm diagnostiziert. Dadurch liege seine Sehkraft inzwischen bei nur noch drei Prozent. Er verlangt 150.000 Euro Schmerzensgeld.
Zulassungen und Stiko-Empfehlungen im Fokus
Der Vorsitzende Richter sagte, es dürfte schwierig für den Kläger werden, Erfolg zu haben. Unter anderem wies er darauf hin, dass eine behördliche Zulassung für den Impfstoff vorlag. Die Klägerseite argumentierte unter anderem, es habe zu dem Zeitpunkt jedoch nur eine vorläufige Zulassung gegeben. Eine gütliche Einigung lehnt das Mainzer Unternehmen dem Richter zufolge bislang ab. Biontech hält die Klage nach "sorgfältiger Prüfung" der "vom Kläger dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen" für unbegründet, wie eine Sprecherin vor der Verhandlung mitteilte. Eine Entscheidung könnte das Gericht Ende September verkünden.
Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg verhandelte den Fall einer 32-Jährigen, die den Impfstoffhersteller AstraZeneca verklagt hatte und in erster Instanz gescheitert war. Sie hatte sich im März 2021 mit dem Covid-19-Vakzin des britisch-schwedischen Unternehmens AstraZeneca impfen lassen und danach eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten. Sie war in ein Koma gekommen, und letztlich musste ihr ein Teil des Darms entfernt werden. Die Frau fordert von AstraZeneca mindestens 250.000 Euro Schmerzensgeld und bis zu 600.000 Euro für künftige Beeinträchtigungen.
Am Tag nach der Impfung der Klägerin seien erste Berichte über Thrombosen nach einer Impfung mit dem Stoff von AstraZeneca bekannt geworden, erläuterte das Gericht. Am 19. März 2021 wurden Impfungen deshalb zeitweise ausgesetzt. Später empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko) sie in Deutschland nur noch für Menschen über 60 Jahren. Aus Sicht des Anwalts hätte der Impfstoff schon zum Zeitpunkt der Impfung seiner Mandantin nicht zugelassen werden dürfen. Die Anwälte des Unternehmens schlossen am Montag einen Vergleich mit der Klägerin aus. Ein Urteil des OLG soll nun am 14. August verkündet werden.
Voraussichtlich Sachverständigengutachten nötig
In beiden Verfahren gibt es einige gemeinsame rechtliche Hürden. So wird – wie stets in Schadensersatzprozessen – ein Schwerpunkt auf der Prüfung liegen, ob die erlittenen Gesundheitsschäden – hier: der überwiegende Verlust des Sehvermögens im Fall Biontech und die Darmvenenthrombose im Fall AstraZeneca – kausal auf den Impfstoff zurückzuführen sind. Eine zeitliche Korrelation legt zwar eine Ursächlichkeit nahe, beweist diese allein aber noch nicht.
Das muss sie aber auch gar nicht, denn im Bereich der Arzneimittelhaftung hilft den Geschädigten § 84 Abs. 2 AMG. Demnach wird – in Abweichung von allgemeinen Haftungsregeln – gesetzlich "vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist". Voraussetzung für das Eingreifen dieser Regel ist, dass "das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet [ist], den Schaden zu verursachen".
Ob dies in Bezug auf die Krankheitssymptome der vorliegend Geschädigten zutrifft, hängt gemäß Abs. 2 Satz 3 der Norm von einer Vielzahl zu berücksichtigender Einzelfaktoren ab, etwa "der Zusammensetzung und der Dosierung" des Impfstoffs, "Art und Dauer seiner […] Anwendung", der zeitlichen Nähe zwischen Impfung und Schadenseintritt und "dem Schadensbild". Hierzu werden die Richter in Bamberg und Rottweil voraussichtlich Sachverständigengutachten einholen.
Gesamtgesellschaftliche Risiko-Nutzen-Analyse wichtig
Eine weitere Schwierigkeit besteht in beiden Fällen darin, dass § 84 Abs. 1 AMG Ausnahmen von der Pflicht zur Leistung von Schadensersatz vorsieht. In den vorliegenden Fällen wird es um die Einschränkung gehen, ob der jeweilige Corona-Impfstoff "schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen". Es findet also eine dem Schadensrecht eigentlich fremde Bewertung der Schäden auf "Vertretbarkeit" statt. Anders gewendet: Es gibt Impfschäden, die Betroffene hinnehmen müssen.
Hintergrund der Regelung ist eine Überlegung, die öffentlich breit diskutiert wurde, als die ersten Covid19-Impfstoffe die Marktzulassung erhielten: Natürlich können Impfstoffe – wie alle anderen Arzneimittel auch – Nebenwirkungen haben, aber bei der Frage, ob die Impfstoffe zuzulassen sind, muss abgewogen werden – zwischen den Risiken und Nebenwirkungen einerseits und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen einer Breitenimpfung andererseits.
Das kommt in § 1 AMG auch zum Ausdruck, wonach es Zweck des Gesetzes, "für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit […] zu sorgen", dies aber eben "im Interesse einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln".
Um diese Interessen abzuwägen, hat der Gesetzgeber es Geschädigten einerseits leicht gemacht und ihnen in § 84 AMG eine verschuldensunabhängige Haftung des Arzneimittelherstellers zur Verfügung gestellt, die – wie beschrieben – zudem eine Vermutungsregel für die Kausalität bereithält. Er hat aber andererseits die Haftung begrenzt, damit Hersteller Anreize genug haben, breitenwirksame Impfstoffe zu entwickeln. Laut Medienberichten unterfallen nach einem Urteil des OLG Karlsruhe daher solche Schäden nicht der Ersatzpflicht, "die nach der Nutzen-Risiko-Bewertung als sozialadäquat eingeordnet werden, weil und soweit sie beim Gebrauch von Arzneimitteln vom Verkehr hingenommen werden". Insbesondere zum Zulassungszeitpunkt bereits bekannte Nebenwirkungen seien regelmäßig nicht ersatzfähig.
Auch Bundesrepublik könnte verklagt werden
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum am Montag in beiden Fällen darüber gestritten wurde, zu welchem Zeitpunkt der jeweilige Impfstoff eine – ggf. nur eingeschränkte – Zulassung erhalten hatte und welche Risiken damals bereits bekannt gewesen waren.
Derzeit sind laut einem Bericht der Welt am Sonntag, der sich auf das Bundesgesundheitsministerium beruft, mehr als 200 Schadenersatzklagen gegen Produzenten von Corona-Impfstoffen bei Gerichten in Deutschland anhängig. Eine rechtskräftige Entscheidung wurde bisher nicht bekannt. Bei der Corona-Impfstoffbeschaffung über die EU war mit den Herstellern vereinbart worden, dass bei erfolgreichen Klagen – außer in besonderen Fällen – die jeweiligen Mitgliedstaaten die Entschädigungen sowie die Prozesskosten des Herstellers übernehmen.
Daher droht auch die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz wegen Impfschäden in Haftung genommen zu werden.
Mit Material der dpa
Schadensersatzprozesse gegen AstraZeneca und Biontech: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52144 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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