Das BVerfG hat am Dienstag die Kommunalverfassungsbeschwerde von Leverkusen in Nordrhein-Westfalen und 15 Landkreisen, die gern Optionskommunen gewesen wären, überwiegend abgewiesen. Nur einen verfassungswidrigen Eingriff in die interne Willensbilderung der Kommunen sehen die Karlsruher Richter. Doch ein kleiner Hinweis am Rande lässt aufhorchen: Ist das gesamte Verteilungsverfahren rechtswidrig?
Die 15 Landkreise sowie die Stadt Leverkusen, die sich mit ihren Kommunalverfassungsbeschwerden gegen die im Jahr 2010 eingeführten Regelungen zur Rechtsstellung der sogenannten Optionskommunen wandten, sind in Karlsruhe überwiegend unterlegen. Der 2. Senat hat an der Auswahl der Optionskommunen im Grundsatz nichts auszusetzen. Auch mehr kommunale Jobcenter sahen die Verfassungsrichter, die sich schon bei der Verhandlung im Februar skeptisch geäußert hatten, als nicht grundsätzlich erforderlich an (BVerfG, Urt. v. 07.10.14, Az. 2 BvR 1641/11).
Damit bleibt es bis auf weiteres bei den derzeit bundesweit zugelassenen 108 Kommunen, welche Langzeitarbeitslose in Eigenregie - also unabhängig von der Arbeitsagentur - betreuen. Die 15 der insgesamt 16 Kläger in Karlsruhe, welche nicht zum Zuge gekommen waren, als sie sich bei der Jobcenter-Reform 2011 als Optionskommune beworben hatten, werden nicht zusätzlich ernannt. Ihrem Wunsch nach mehr Eigenverantwortung, um vor Ort schneller und flexibler agieren zu können, erteilte das BVerfG eine Absage.
Die Karlsruher Richter erklärten die im Jahr 2010 eingeführten Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) II, für überwiegend verfassungsgemäß. Lediglich die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung des § 6a Abs. 2 S. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) II, welche für einen Zulassungsantrag als eigenständige Optionskommune eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der zuständigen Vertretungskörperschaft vorsieht, fehle dem Bund. Für die Vergangenheit erklärten die Richter die Vorschrift jedoch ausdrücklich nicht für nichtig.
Umfassender Gesetzgebungsauftrag für den Bund
Die Regelungen im SGB II, welche die Kommunen mit ihren Kommunalverfassungsbeschwerden hauptsächlich angriffen, datieren aus dem Jahr 2010. Sie wurden parallel zur Einfügung von Art. 91e GG beschlossen. Diese Änderung des Grundgesetzes, die ihrerseits infolge einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2007 erforderlich geworden war, regelt das Zusammenwirken der Bundesagentur für Arbeit (BfA) und der kommunalen Träger bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Der Gesetzgeber habe damit unmittelbare Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen begründet und in diesem Rahmen auch eine Finanzkontrolle ermöglicht, befand der 2. Senat. Der Bund könne aufgrund seines umfassenden Gesetzgebungsauftrags das Zulassungsverfahren für die Optionskommunen weitgehend frei ausgestalten.
Einen Verstoß gegen die Ewigeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sieht der Senat nicht. Zwar durchbreche Art. 91e Abs. 1 GG das grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung. Dieses sei aber kein absolutes Verbot, denn ein solches lasse sich weder aus dem Demokratie- noch aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten. Die Vorschrift, mit welcher der Gesetzgeber die bestehende Verwaltungspraxis zwischen den Kommunen, Ländern und dem Bund habe absichern wollen, unterbreche punktuell die Zweistufigkeit des Staatsaufaufbaus, indem sie eine Finanz- und Verwaltungsbeziehung unmittelbar zwischen den Kommunen und dem Bund aufbaue. Die Kann-Formulierung des Absatzes 2 begründet keinen Anspruch der Kommunen darauf, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende eigenständig wahrzunehmen.
2/2: Verfassungswidrig: Zwei-Drittel-Mehrheit in der Kommunalvertretung
Nur die Vorschrift des § 6a Abs. 2 S. 3 SGB II verkürzt nach Ansicht der Karlsruher Richter die Organisationshoheit der Gemeinden und greift dadurch in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein.
Die Regelung bestimmt, dass der Antrag auf Zulassung als Optionskommune einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder in der zuständigen Vertretungskörperschaft bedarf. Die interne Willensbildung in den Kommunen und das Zusammenwirken zwischen ihren Organen ist aber Teil des Kommunalrechts. Andernfalls könnte der Bund in allen Bereichen, in denen er eine Gesetzgebungskompetenz besitzt, auch Vorgaben zur Willensbildung erlassen, so dass die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Kommunalrecht leerliefe.
Die Vorschrift darf ab sofort nicht mehr angewendet werden, bestehende Zulassungen bleiben jedoch in Kraft. Die Karlsruher Richter begründen das damit, dass die zugelassenen Optionskommunen sonst ihre Aufgaben ab sofort nicht mehr einheitlich wahrnehmen könnten, was viele Leistungsempfänger und Mitarbeiter der Kommunen betreffen würde.
Obiter dictum: Verteilungsverordnung eventuell unzureichend
Gegen die übrigen bundesgesetzlichen Vorschriften haben die Verfassungsrichter nichts einzuwenden. Insbesondere die Beschränkung auf bundesweit maximal 110 Kommunen, welche Hartz-IV-Empfänger eigenständig betreuen dürfen, halten sie für verfassungsgemäß. Die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung solle nach Art. 91e Abs. 1 und 2 GG die Regel sein, die alleinige durch die Optionskommunen die Ausnahme. Das reicht dem Senat mit Hinweis auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebersals, um die 25-Prozent-Regelung des § 6a Abs. 2 S. 4 SGB II zu rechtfertigen.
Einmal mehr lässt der Karlsruher Senat sich aber ein kleines obiter dictum nicht nehmen. Die Richter weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie nicht darüber entscheiden konnten, ob das durch Rechtsverordnung geregelte Verfahren zur Verteilung der Optionskommunen selbst den Anforderungen an ein willkürfreies, transparentes und nachvollziehbares Zulassungsverfahren genügt und "ob es insbesondere nicht bundesrechtlicher Regelungen über die Verteilung der möglichen Optionskommunen auf die Länderkontingente bedarf". Aber schließlich war "die insoweit möglicherweise unzureichende Verordnung" nicht Gegenstand des Verfahrens.
Die Bundesagentur für Arbeit wird hoffen, dass niemand das zum Anlass nehmen wird, erneut gegen die derzeitige Aufteilung vorzugehen. Dort befürchtete man vor dem Karlsruher Urteil, dass bei einem Erfolg der Klage weitere Städte und Landkreise die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur in Jobcentern aufkündigen würden. Damit würde die Betreuung von Langzeitarbeitslosen in Deutschland weiter zersplittert und intransparent. Schon jetzt habe der Bund, der die Betreuung von Hartz-IV-Empfängern jährlich mit Milliardenbeträgen finanziert, nur unzureichend Überblick über die Verwendung der Gelder.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Gemeinden scheitern vor BVerfG: Kein neues Zulassungsverfahren für kommunale Jobcenter . In: Legal Tribune Online, 07.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13405/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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