Nachdem § 217 StGB für nichtig erklärt und damit die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen wieder legalisiert wurde, besteht womöglich kein Anlass mehr, tödliche Betäubungsmittel zum Suizid selbst zu erwerben, findet das BVerfG.
Es ist bereits die dritte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2020 betreffend Menschen, die sterben wollen - genauer gesagt: die mit Unterstützung sterben wollen. Mit nun veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats die Verfassungsbeschwerde eines Ehepaares zurückgewiesen, das vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Erlaubnis zum Erwerb eines tödlichen Betäubungsmittels begehrte (Beschl. v. 10.12.2020, Az. 1 BvR 1837/19).
Das Ehepaar (geb. 1937 und 1944) hatte bereits 2014 beim BfArM die Erlaubnis zum Erwerb von jeweils 15 Gramm Natrium-Pentobarbital für eine gemeinsame Selbsttötung beantragt. Das besondere an ihrem Ansinnen: Beide waren keineswegs schwer krank, von Altersgebrechen abgesehen, und wollten sich auch nicht gleich das Leben nehmen. Sie wollten das tödliche Medikament vielmehr vorsorglich haben, gewissermaßen als Versicherung gegen das, was da im Alter noch kommen könnte.
Natrium-Pentobarbital gehört aber zu jenen Betäubungsmitteln, deren Erwerb ohne ärztliche Verschreibung oder behördliche Erlaubnis verboten ist. Das BfArM kann eine Erlaubnis zum Erwerb solcher Medikamente erteilen, wenn dies nicht dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zuwiderläuft, "die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen" (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Die Behörde lehnte den Antrag der Eheleute ab, da der Erwerb von Medikamenten zum Suizid demnach nicht erlaubnisfähig sei.
Grundsatzentscheidungen aus Leipzig und Karlsruhe
Dagegen zogen sie vor Gericht, bis hin zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), welches zwischenzeitlich die Grundsatzentscheidung gefällt hatte, dass Sterbewillige in extremen Notlagen ausnahmsweise doch einen Anspruch auf die Erlaubnis zum Erwerb eines solchen Suizidpräparats haben können. Infolge dessen gingen beim BfArM zahlreiche Anträge ein, die aber bis heute allesamt abgelehnt wurden, trotz der höchstrichterlichen Entscheidung. 2019 fanden sich die Eheleute schließlich selbst in Leipzig vor dem BVerwG wieder, hatten hier aber keinen Erfolg: In seiner ersten Entscheidung 2017 hatte das Gericht gerade eine Ausnahme für schwer kranke Menschen schaffen wollen, deren Leiden nicht anders zu lindern sind. Ein solcher Fall lag bei dem klagenden Ehepaar nun aber nicht vor, weshalb die Klage abgewiesen wurde.
In das BVerfG hatten die Eheleute wohl noch einmal große Hoffnungen gesetzt, auch weil dessen Zweiter Senat im vergangenen Jahr eine noch weitreichendere Entscheidung zur Autonomie Suizidwilliger getroffen hatte. Im Februar entschied das Gericht, dass § 217 des Strafgesetzbuches (StGB), der bis dahin die Tätigkeit privater Sterbehilfeorganisationen unter Strafe gestellt hatte, gegen das Recht auf einen selbstbestimmten Tod verstoße und damit nichtig sei. Dabei merkte der Senat auch an, dass dieses Recht nicht davon abhänge, ob ein Mensch schwer erkrankt oder kerngesund sei.
Ist "nach 217" Suizidhilfe zu bekommen?
Doch in dieser Entscheidung lag paradoxerweise auch der Grund für das Unterliegen der Beschwerdeführer. Denn nun, so die Kammer, sei der Weg doch wieder offen für einen Betäubungsmittelsuizid. Zwar nicht mittels eines Erwerbs mit Erlaubnis des BfArM, womöglich aber doch über private Sterbehelfer, die nach der Entscheidung ihre Tätigkeit in Deutschland wieder aufgenommen haben.
Die Eheleute hatten ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BVerwG zwar schon vor dem Urteil zu § 217 StGB eingereicht, danach jedoch eine zusätzliche Begründung nachgeschoben: Der Zugang zu Sterbehilfeangeboten sei in Deutschland auch nach dem Urteil faktisch kaum vorhanden. Eine Umgehung des BfArM durch eine ärztliche Verschreibung sei zudem nicht realistisch, da ärztliches Standesrecht die Unterstützung beim Suizid untersage und somit kaum ein Mediziner dazu bereit sei. Somit seien sie trotz allem nicht in der Lage, ihr verfassungsgerichtlich anerkanntes Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu realisieren.
Die Kammer verwarf die Beschwerde dennoch, da sie infolge des Urteils zu § 217 StGB unzulässig geworden sei. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität seien Bürger gehalten, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde und auch noch während des Verfahrens sämtliche zumutbaren Möglichkeiten und Rechtsbehelfe auszuschöpfen. Dies sei hier nicht geschehen. Nach der Entscheidung aus dem vergangenen Jahr liege es "nicht mehr auf der Hand", so die Kammer, dass Suizidhilfe anderweitig für die Eheleute nicht zu erhalten sei. Sollte dem nicht so sein, hätte die gegenwärtige Sach- und Rechtslage zunächst im fachgerichtlichen Verfahren geklärt werden müssen. Erst dann sei absehbar, ob ihnen ausreichende praktische und zumutbare Möglichkeiten zur Verfügung stünden, ihren Suizidwunsch zu realisieren. Mit ähnlicher Begründung hatte das BVerfG im Juni vergangenen Jahres auch eine Vorlage des Verwaltungsgerichts (VG) Köln zurückgewiesen, welches das betäubungsmittelrechtliche Erwerbsverbot für verfassungswidrig hielt und deshalb vorgelegt hatte.
Und noch eine weitere Hürde sahen die Karlsruher Richterinnen und Richter durch das Urteil des Zweiten Senats für die nun entschiedene Sache aufgestellt: Damals hatte der Senat ausdrücklich auf die Möglichkeit des Staates verwiesen, Konzepte zur Regulierung von Sterbehilfe zu erarbeiten, die ggf. auch das Betäubungsmittelrecht in den Blick nehmen. Dafür, so die Ansicht der Kammer, müsse man dem Gesetzgeber aber auch die nötige Zeit lassen. Eine Entscheidung in der Sache würde nun den damals anerkannten Gestaltungsspielraum beschränken.
Das Thema Sterbehilfe war erst kürzlich wieder in der Debatte, als mehrere Abgeordnete Gesetzentwürfe für eine Neuregelung der Suizidassistenz vorgelegt hatten. Die Bundesregierung hingegen hat sich in der Sache noch nicht klar positioniert.
mam/LTO-Redaktion
BVerfG zum Erwerb von Suizidpräparaten: . In: Legal Tribune Online, 05.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44200 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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