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BGH präzisiert Anforderungen: Ent­schei­dungs­dop­pel­pack zur Siche­rungs­ver­wah­rung

von Maximilian Amos

29.06.2017

Handschellen

© merydolla - stock.adobe.com

Der BGH hat gleich in zwei Urteilen seine Anforderungen an die Sicherungsverwahrung präzisiert. Ihre Verhängung ist neben der lebenslangen Freiheitsstrafe möglich und die Anforderungen sind nicht so hoch, wie manches Gericht meint.

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Die Vorteile der Sicherungsverwahrung

Selten genug dürfte es vorkommen, dass sich gleich zwei Senate des Bundesgerichtshofs (BGH) am gleichen Tag mit dem Thema Sicherungsverwahrung befassen. Noch seltener wohl, dass es dabei um die gleiche Rechtsfrage geht. So war es am Mittwoch, als der 2. und der 5. Strafsenat ihre Entscheidungen verkündeten. Im Mittelpunkt stand jeweils die Frage: Kann die Sicherungsverwahrung in ihrer aktuellen Ausgestaltung neben der lebenslangen Freiheitsstrafe verhängt werden? Die Senate waren sich einig, die Antwort lautet ja (Urt. v. 28.06.2017, Az. 2 StR 178/16; 5 StR 8/17).

Der erste verhandelte Fall war der des Silvio S. Der 34-Jährige hatte am 8. Juli 2015 in Potsdam einen sechsjährigen Jungen entführt, vergewaltigt und erstickt. Am 1. Oktober 2015 hatte er dann auf dem Gelände des Landesamts für Gesundheit und Soziales ("LaGeSo") in Berlin-Moabit einen vierjährigen Jungen entführt. In seiner Wohnung hatte er sich an ihm vergangen und ihn anschließend erwürgt.

Für seine Taten war er vom Landgericht (LG) Potsdam (Az. 21 Ks 2/16) wegen Mordes in zwei Fällen, u. a. in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und Vergewaltigung, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Besondere Betreuung rechtfertigt Sicherungsverwahrung

In der Entscheidung hatten die Richter in Potsdam zwar die besondere Schwere der Schuld festgestellt, die von der Staatsanwaltschaft beantragte Sicherungsverwahrung aber nicht verhängt. Gegen das Urteil legten beide Parteien Revision ein. Der Verurteilte scheiterte bereits früher mit seinem Rechtsmittel, dem Einwand der Staatsanwaltschaft wurde dagegen vom BGH nun entsprochen.

Zunächst führte der Leipziger Senat aus, die Sicherungsverwahrung könne durchaus neben der lebenslangen Freiheitsstrafe angeordnet werden. Dies ergebe sich bereits aus den Gesetzesmaterialien von 2002 und sei durch die inzwischen geänderte Rechtslage nur bestärkt worden. Gemäß § 66c Abs. 2, 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) werde dem Verurteilten bei zusätzlicher Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits im Strafvollzug besondere Betreuung gewährt. Es liege nahe, so die Richter, dass der Gesetzgeber diese den zu lebenslanger Haft Verurteilten nicht habe vorenthalten wollen.

Die Sicherungsverwahrung ist in Deutschland 2013 neu geregelt worden. Nötig geworden war dies aufgrund der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) 2009 und anschließend des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Jahr 2011, wonach die frühere Regelung völkerrechts- und verfassungswidrig war. Infolge dessen wurde der Behandlungsaspekt bei der Sicherungsverwahrung stärker betont, um ihr so den Strafcharakter zu nehmen.

"Die Sicherungsverwahrung bietet viele Vorteile", erklärte dazu BGH-Pressesprecherin Dietlind Weinland gegenüber LTO. "Der Betroffene erhält ein besonderes Betreuungsangebot und Therapiemaßnahmen. Somit wird auch die Allgemeinheit besser geschützt." Gleichwohl stelle sie natürlich eine Beschwer für den Verurteilten dar. Dieser bleibt dann in Haft, wenn auch mit einigen Erleichterungen gegenüber der Strafhaft.

Gesamtwürdigung bei Prüfung eines Hangs zu Straftaten

2/2: BGH: Gefährlichkeit für Allgemeinheit erfordert keine pathologische Ursache

Eine weitere Kernfrage betraf die Voraussetzung, unter der die Sicherungsverwahrung hätte verhängt werden können. In Betracht zog das LG die Vorschrift des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Dieser ordnet die Verhängung an, wenn der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. Das LG war dabei allerdings davon ausgegangen, dass hierfür eine pathologische Ursache vorliegen müsse.

Dem trat der 5. Senat nun entgegen. Es brauche gerade keinen "symptomatischen Zusammenhang zwischen einer bei dem Angeklagten vorliegenden Persönlichkeitsstörung und den von ihm begangenen Straftaten". 

Eine Entscheidung sei dann anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände zu finden, erläuterte Weinland: "Hier hat der Verurteilte innerhalb kurzer Zeit zwei schwere Straftaten begangen. Diese sind zudem minutiös geplant worden". Überdies sei auch das Nachtatverhalten in die Würdigung mit einzubeziehen. Ob aber tatsächlich ausreichend Gründe für die Annahme der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit gegeben sind, muss nun das LG prüfen. Der BGH hat die Sache zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Intensivere Überwachung möglich

Der zweite Fall betraf einen Mann, der sein 18-jähriges Opfer mit Tötungsvorsatz von einer Staudammmauer gestoßen hatte, nachdem dieses ihn wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs angezeigt hatte. Er hatte versucht, einen Selbstmord des Opfers vorzutäuschen und wollte so die gegen ihn laufenden Ermittlungen beenden. Hierfür wurde er unter anderem wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Auch hier wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Mit seiner Revision machte der Angeklagte vor dem BGH geltend, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch das LG Köln (Az. 111 Ks 6/15 – 90 Js 56/14) sei neben der lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig.

Der 2. Strafsenat folgte dieser Ansicht nicht und bestätigte damit das Urteil des LG. Zwar werde es regelmäßig nicht zum anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung kommen, da die lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt werde, solange der Verurteilte gefährlich sei. Im Falle der Aussetzung der weiteren Strafhaft trete aber bei gleichzeitiger Anordnung der Sicherungsverwahrung zusätzlich Führungsaufsicht ein.

Gegenüber der Bewährungsüberwachung ermögliche diese eine intensivere und ggf. längere Überwachung des dann in Freiheit befindlichen Verurteilten. Da die Strafkammer eine solche intensivere Überwachung für erforderlich gehalten habe, sei die Anordnung ermessensfehlerfrei und im Hinblick auf die Gefährlichkeit des Angeklagten verhältnismäßig, so der Senat.

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Maximilian Amos, BGH präzisiert Anforderungen: Entscheidungsdoppelpack zur Sicherungsverwahrung . In: Legal Tribune Online, 29.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23313/ (abgerufen am: 29.09.2023 )

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