Seit über 20 Jahren beschäftigt ein Ausschnitt aus dem Song "Metall-auf-Metall" von Kraftwerk die Gerichte. Nun hat der BGH zum fünften Mal eine Entscheidung getroffen: Das Verfahren wird ausgesetzt, die Fragen werden dem EuGH vorgelegt.
Der Klang von Metallstücken, die rhythmisch aufeinanderschlagen – dieser Ausschnitt aus dem Musikstück "Metall-auf-Metall" von Kraftwerk hat das Urheberrecht verändert. In der inzwischen elften Gerichtsentscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag beschlossen, das Verfahren auszusetzen und erneut Fragen zu dem so genannten Sample dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen (Beschl. v. 14.09.2023, Az. I ZR 74/22).
Beim Sampling wird ein Teil eines fremden Songs entnommen und in ein eigenes Musikstück eingefügt. Diese Art der Komposition ist in der elektronischen Musik weit verbreitet. Genau das hat der Hip-Hop-Produzent Moses Pelham im Jahr 1997 getan – und zwar ohne zuvor Kraftwerk zu fragen. Aus dem zwei Sekunden-Ausschnitt bastelte er einen durchlaufenden Beat für den Song "Nur mir" der Rapperin Sabrina Setlur. Die beiden Kraftwerk-Gründer verklagten den Produzenten daraufhin.
Ob ein solches Sampling rechtlich zulässig ist oder eine zustimmungspflichtige Vervielfältigung oder Verbreitung darstellt, ist seit Klageerhebung im Jahr 1999 Gegenstand von bislang elf Gerichtsentscheidungen, davon stammten fünf vom BGH, eine vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und auch eine bereits vom jetzt erneut einbezogenen EuGH.
Genau genommen geht es der Band Kraftwerk um das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller gemäß 85 Urheberrechtsgesetz (UrhG), eine Art Nebenrecht des Urheberrechts. "Für dieses Tonträgerherstellerrecht gilt keine Schöpfungshöhe. Es umfasst daher auch kleinste Teile einer Musikaufnahme", erklärt Dr. Till Kreutzer von iRightsLaw Rechtsanwälte gegenüber LTO. Urheberrechtsschutz im engeren Sinne genieße das Sample hingegen nicht, so der Urheberrechtler, dafür erreiche es nicht die nötige so genannte Schöpfungshöhe.
Rechtsstreit führte zu Gesetzesänderung
Das Besondere an dem Fall: Die Rechtslage hat sich über die Zeit geändert – auch getrieben von diesem Verfahren. Die rechtliche Bewertung des Sampling muss deshalb inzwischen in drei Abschnitte eingeteilt werden: Vor dem 22. Dezember 2002 galt nur nationales Urheberrecht, danach spielte das Unionsrecht in Form der InfoSoc-Richtlinie hinein. Seit dem 7. Juni 2021 gibt es in Deutschland mit § 51a UrhG eine neue Ausnahme-Regelung, nämlich eine Schranke für so genanntes "Pastiche". Diese Norm wurde im Hinblick auf die "Metall-auf-Metall"-Verfahren im Gesetz geschaffen.
In dem von Kraftwerk angestrengten aktuellen fünften Revisionsverfahren auf ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg geht es nur um den dritten Zeitraum ab dem 7. Juni 2021. Da der Song "Nur mir" nach wie vor angeboten und genutzt wird, ist dafür die Rechtslage seit Juni 2021 zugrundezulegen. Der BGH muss also entscheiden, ob das Sampling unter den Rechtsbegriff des "Pastiche" aus § 51a UrhG fällt, der so ohne weitere Erläuterungen im Gesetz steht. Weil die Norm auf eine EU-Richtlinie zurückzuführen ist und aus sich heraus nicht verständlich ist, fragt der BGH nun zur Auslegung beim EuGH nach.
"Die Vorlage an den EuGH wird endlich rechtliche Klarheit bringen, was ein Pastiche im Sinne des Urheberrechts ist", stellt Dr. Susanne Grimm von Rödl & Partner, Stuttgart fest und ergänzt: "Nachdem die Regelung zur sogenannten freien Benutzung in § 24 UrhG aF gestrichen wurde, besteht aktuell große Unsicherheit für Werkschaffende, die sich mit älteren Werken künstlerisch oder intellektuell auseinandersetzen."
Muss es ein bisschen Humor sein?
Nach Ansicht des BGH stellt sich zunächst die Frage, ob die Pastiche-Regelung im Sinne der Richtlinie ein Auffangtatbestand für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk einschließlich des Sampling ist. Die Frage sei, ob für den Begriff des Pastiches einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten, so der BGH.
Sodann stelle sich nach Ansicht der Richter:innen die weitere Frage, ob die Nutzung "zum Zwecke" eines Pastiches eine Absicht des Nutzers erfordert, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand zum Zwecke eines Pastiches zu nutzen oder ob die Erkennbarkeit als Pastiche ausreicht.
Weil die Norm des § 51a UrhG n.F. aber auf der EU-InfoSoc-Richlinie beruht, entscheidet der BGH über diese Fragen nicht selbst, sondern hat sie per Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt.
Was ist ein "Pastiche"?
Was ist denn überhaupt ein "Pastiche"? Das hat der EuGH zu entscheiden, aber man kann Annäherungsversuche unternehmen. Laut deutscher Gesetzesbegründung kommt es darauf an, dass sich zwei Werken wahrnehmbar unterscheiden, wobei es eine künstlerische oder wertschätzende Nachahmung oder Imitation gibt.
Der Urheberrechtsanwalt Dr. Till Kreutzer liefert ebenfalls eine Definition: "Ein Pastiche ist ein eigenständiges kulturelles und/oder kommunikatives Artefakt, das sich an die eigenschöpferischen Elemente veröffentlichter Werke Dritter anlehnt und sie erkennbar übernimmt.“ Auch die jüngste Rechtsprechung zum Pastiche, beispielsweise vom LG Berlin (LG Berlin, Urt. v. 2.11.2021, Az. 15 O 551/19), stellt auf eine "anlehnende Nutzung" ab, fordert aber auch ein Mindestmaß an eigener Kreativität, wie Rechtsanwältin Dr. Susanne Grimm hervorhebt.
Aus der Sicht von Dr. Kreutzer liegt deshalb im Fall von Metall-auf-Metall ein Pastiche vor, damit wäre das Sampling zulässig: "Der Song "Nur mir" ist eine eigene kreative Leistung. Sie besteht nicht ausschließlich oder überwiegend aus dem Sample. Der Song klingt deutlich anders als "Metall auf Metall", spricht vermutlich andere Zielgruppen und Geschmäcker an. Und schließlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Verwertbarkeit von "Metall auf Metall" unter der Nutzung des Samples leidet. Niemand wird m.E. davon absehen, Kraftwerk zu hören, zu streamen, zu kaufen, weil er "Nur Mir" gehört, gestreamt oder gekauft hat. Ein Eingriff in die Primärverwertung ist daher nicht zu erwarten, wenn überhaupt ein Einfluss auf die Verwertung des Kraftwerk-Songs zu erwarten ist, dann eher ein werblicher Effekt."
Es wird also eine weitere Runde im Dauerrechtsstreit "Metall auf Metall" geben. Inzwischen stellt sich die Frage, was die Parteien motiviert, immer weiterzumachen. "Letztlich vermute ich, dass der Konflikt schon so lange schwelt, dass niemand mehr klein beigeben kann, ohne sein Gesicht zu verlieren", so Kreutzer, und weiter: "Ich denke aber auch, dass es den Parteien daneben um die Klärung dieser Rechtsfrage geht." Das ist nun Aufgabe des EuGH.
Sampling von "Metall-auf-Metall": . In: Legal Tribune Online, 14.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52700 (abgerufen am: 02.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag