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Diversity in Kanzleien: "Wer es nicht ver­steht, ist Teil des Pro­b­lems"

von Dr. Anja Hall

24.06.2020

Frau im Anzug mit Regenbogen T-shirt

(c) michaklootwijk/stock.adobe.com

Kanzleien wollen divers und inklusiv sein, aber es gelingt ihnen nicht so recht. Woran das liegt und wie sich das ändern kann, thematisierte eine Diskussionsrunde beim virtuellen Deutschen Anwaltstag.

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Ausgerechnet der einzige weiße, mittelalte Mann in der Runde hielt die Keynote bei der Gesprächsrunde "Raus aus der Monokultur – Wirtschaftsfaktor Diversity" beim virtuellen Deutschen Anwaltstag. Der Diversity-Berater Robert Franken räumte allerdings selbstkritisch ein, dass er sich damit auf dünnes Eis begebe und es vielleicht auch wünschenswert wäre, wenn er dabei einbreche.

Das allerdings ist nicht passiert, seine Ausführungen haben viel Zustimmung erfahren von Armaghan Naghipour, der stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins Deutschplus, und Nina Katrin Staßner, Head of Diversity & Inclusion bei SAP.

Franken erinnerte in seiner Einführung daran, dass viele Organisationen – Kanzleien wie Unternehmen - divers und inklusiv sein wollen. Aber das spiegele sich nicht in den Strukturen, hier sehe er regelrechte Abgründe –"verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre", zitierte er den Soziologen Ulrich Beck. "Dabei wäre doch die Anforderung: Stehe zu dem, was Du vorgibst tun zu wollen!"

Inklusion kann nicht delegiert werden

Der Umgang mit Andersartigkeit sei anstrengend, so Franken, daher werde er institutionalisiert: Die Zuständigkeit werde auf Gleichstellungsbeauftragte, in Gremien, Arbeitskreise oder Personalabteilungen verschoben. "Wer es so macht, wird aber scheitern", ist der Berater überzeugt. Denn Inklusion, verstanden als die faire Teilhabe aller, können nicht delegiert werden. Die Entscheider in den Organisationen tun sich seiner Erfahrung nach aber genau damit schwer, das zu begreifen. "Wer das aber nicht versteht, ist Teil des Problems".

In puncto Diversity und Inklusion geht es Franken zufolge auch darum, den Überhang an weißen Männern in der Führung abzubauen – und das berge Zündstoff. Ein großes Problem sieht er in dem, was er als "Masculinity Contest Culture" bezeichnet, ein Wettbewerbsverhalten, das dazu führe, das alle Gruppierungen gegeneinander kämpften, was letztlich nur das bestehende Systeme stärke. "Eigentlich könnten alle ins Boot, aber wir finden immer Ausreden, warum die Asymmetrien in unserer Organisation nicht beseitigt werden."

Der Gendergap beginnt schon beim Examen

Armaghan Naghipour nannte als einen wichtigen Grund für den Gendergap in Kanzleien die Besetzung der Prüfungskommissionen: Frauen seien dabei so gut wie nicht vertreten. Die überwiegend männlichen Prüfer repräsentierten nicht die hohe Anzahl an Studentinnen. Eine Studie aus dem Jahr 2017 für das Land Nordrhein-Westfalen belegte diese Schieflage, und zeigte auch eine Folge auf: Frauen werden schlechter benotet, wenn sie von Männern geprüft werden.

In der Folge habe es viele Initiativen gegeben, so Naghipour, um Frauen dazu zu bewegen Prüferin zu werden, gerade auch Anwältinnen. Aber hier sei man nur in Minischritten vorangekommen, weil es für Frauen oft nicht lohne. Denn sie seien meist die "Caretakerin" zuhause, daher sei es für sie leichter, Klausuren zu korrigieren, als den ganzen Tag Prüfungen abzuhalten.

Eine Kanzlei sollte die Vielfalt der Gesellschaft abbilden

Die Juristin findet, dass es auch nicht genüge, weiße Frauen zu fördern, wenn man Vielfalt erreichen wolle. Personen mit Migrationshintergrund und Transgender seien eine Bereicherung für ein Unternehmen, nicht im wirtschaftlichen Sinne, sondern weil sie die Gesellschaft in ihrer Vielfalt spiegeln. "Anwälte befassen sich mit Problemen, die in der Gesellschaft entstehen. Wenn wir diese Gesellschaft nicht repräsentieren, können wir kein Recht schaffen", so Naghipour.

Nina Straßner sieht Unternehmen in der ethisch-moralischen Pflicht, Diversität und Inklusion zu schaffen. Sie verweist aber auch darauf, dass Teams, die divers besetzt sind, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich erfolgreicher sind. Allerdings bringe es nichts, einfach nur divers einzustellen. Organisationen sollten sich genau überlegen: Wo setzen wir Diversität gezielt ein? "Durch Diversity entsteht Reibung", sagt sie. In der Monokultur laufe die Lösungsfindung dagegen rasant schnell ab. "Aber es ist nicht unbedingt die beste Lösung, die gefunden wird. Denn in der Monokultur werden Dinge übersehen." Gute Lösungen ergäben sich durch verschiedene Blickwinkel.

Auf einen wirtschaftlichen Aspekt von Diversity wies Robert Franke hin: "Bestimmte Mandate werden in Zukunft gar nicht vergeben, wenn in den Teams nicht auf Diversity geachtet wird", sagt er. Und der Versuch, sich durch halbseidene Initiativen in Bezug auf die eigene Marke retten wollen, sei sehr leicht durchschaubar, ist er überzeugt.

Wie sieht denn eine "echte Anwältin" aus?

Sowohl Straßner als auch Naghipour berichteten sehr offen von Momenten, in denen sie sexistische und rassistische Diskriminierung erfahren haben. Beide schilderten etwa, dass sie vor Gericht nicht ernst genommen worden seien: Straßner sei gefragt worden, ob ihr Anwalt noch komme, Naghipour habe man in Prozessen oft für die Dolmetscherin gehalten.

Das sei nicht böse gemeint, sagt Straßner, aber es habe Auswirkungen. Denn der Mandant frage sich in einem solchen Moment schon, ob es schlau war, eine Frau zu mandatieren. Und ob er beim nächsten Mal nicht lieber einen Anwalt beauftragen sollte. Für sie sei die Frage hängengeblieben: Was muss ich mich verhalten und wie muss ich mich kleiden, um wie eine "echte Anwältin" auszusehen?

Dieses Gefühl hätten junge Männer beim Berufseintritt auch, und es lege sich irgendwann. Wenn Männer verstehen wollten, wie sich Frauen in solchen Situationen fühlten, sollten sie versuchen, sich an diese Momente zu erinnern, in denen es ihnen ähnlich gegangen sei, rät Straßner.

Ausprobieren, faire Stellenausschreibungen und Quoten

Die Diskussionsrunde auf dem Anwaltstag war schließlich auch gefordert, Wege aus der Monokultur aufzuweisen. Keine leichte Aufgabe: Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass es nicht die eine Lösung gibt, sondern es auf die jeweilige Situation ankommt. Straßner riet zum Ausprobieren. "Wir operieren am offenen Herzen", berichtete sie von ihrer Arbeit beim Softwareunternehmen SAP. Initiativen werden entwickelt und umgesetzt – und notfalls müsse man sie eben rückgängig machen.

Wichtig sei außerdem, Jobausschreibungen so offen zu formulieren, dass sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen. Dies erhöhe die Chance auf einen vielfältigen Bewerberpool. Naghipour sprach sich außerdem für Quoten aus, etwa für Personen mit Rassismus-Erfahrung. Franken unterstützte dies, denn so ändere sich die Kultur in der Organisation. Denn Diversity und Inklusion sollte man nicht einfach an das Recruiting delegieren, gab er auch zu Bedenken.

Zum Ende der Gesprächsrunde durften Straßner, Naghipour und Franken Wünsche an eine "Diversity-Fee" formulieren. Straßner äußerte die Hoffnung, dass irgendwann keine Diversity-Beauftragten mehr nötig sind, weil Diversity und Inklusion in der Gesellschaft kein Thema mehr sein werden. Naghipour verwies auf das neue Antidiskriminierungsgesetz in Berlin, das "bar jeder rechtlichen Kenntnis" einen riesigen Shitstorm abbekommen habe. "Jedes Bundesland sollte so ein Gesetz bekommen", sagte sie.

Franken wünschte sich, dass Menschen, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, lernen, sich in ihre Affekte hineinzufühlen: "Fragen Sie sich, warum Sie sich angegriffen fühlen, wenn über eine Quote diskutiert wird. Und überlegen Sie, wie Sie Teil der Lösung werden."

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Diversity in Kanzleien: "Wer es nicht versteht, ist Teil des Problems" . In: Legal Tribune Online, 24.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41994/ (abgerufen am: 26.09.2023 )

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