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Jeder kennt jeden in Frankfurt am Main?: Richter im Justiz-Kor­rup­ti­ons­fall hält sich für nicht befangen

von Katharina Uharek

07.10.2022

Das Gerichtsgebäude in Frankfurt am Main

Befangenheit im hessischen Justizskandal? picture alliance/dpa | Boris Roessler

Mittagessen mit dem Angeklagten, mit der Pressesprecherin der anklagenden Staatsanwaltschaft verheiratet – der Richter in einem hessischen Justizskandal-Verfahren soll nicht befangen sein. Ein Befangenheitsantrag wurde vom LG abgelehnt.

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In der knapp 260 Seiten umfassenden Anklageschrift werden B. 101 Fälle der fortgesetzten und gewerbsmäßigen Bestechlichkeit, 55 Fälle der schweren Untreue sowie Steuerhinterziehung in neun Fällen zur Last gelegt. Wegen Beihilfe zur Untreue, Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen ihn im Juni 2022 Anklage erhoben. 

B. war bei der Generalstaatsanwaltschaft spezialisiert für die Aufklärung von Abrechnungsbetrug im Medizinbereich. Ein Bereich, der von der Einschätzung durch externe Gutachten abhängig ist. Der Vorwurf: Dabei soll er selbst betrogen haben. Über zwei Firmen eines Bekannten soll er mit überteuerten Aufträgen aus der Justiz Geld gemacht haben. Der Schaden beläuft sich laut Anklage insgesamt auf mehr als zehn Millionen Euro. Bei dem Oberstaatsanwalt sollen 280.000 Euro aus dem Geschäft hängen geblieben sein. Die Ermittlungen hatte seine damalige Lebensgefährtin ins Rollen gebracht. Der Prozess wird ohne die Hauptbelastungszeugin stattfinden müssen, sie ist im Sommer 2022 verstorben. 

B. soll mit einem mitangeschuldigten Unternehmer im Jahr 2005 eine Gesellschaft gegründet und geleitet haben, deren Geschäftszweck auf die Erstellung von Gutachten für Justizbehörden gerichtet war.  

Daneben laufen auch noch Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte in dem Komplex, darunter auch zwei Justizbeamte. Die Angeschuldigten des Verfahrens rund um B. befanden sich nach ihrer Festnahme im Juli 2020 bis zu ihrer Verschonung Mitte September 2020 in Untersuchungshaft. Oberstaatsanwalt B. wurde nach seiner zwischenzeitlichen Haftentlassung aufgrund eines neuen Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main Ende Januar 2022 ein weiteres Mal festgenommen und befindet sich seitdem erneut in Untersuchungshaft. 

Befangenheitsantrag verzögerte Verfahren, nun abgelehnt 

Seit mehreren Monaten steckt das Strafverfahren im Zwischenverfahren, also zwischen Anklageerhebung und Zulassung der Anklage. Grund für die Verzörgerung war auch ein von der Verteidigung gestellter Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter am Landgerichts (LG) Frankfurt am Main Werner Gröschel, über den im Juli bereits entschieden wurde. Über den Befangenheitsantrag hat die Kammer des Landgerichts ohne Mitwirkung des Vorsitzenden Richters entschieden und zwar unter Hinzuziehung des nach der Geschäftsverteilung des Landgerichts zuständigen gesetzlichen Richters einer anderen Kammer des Landgerichts. Der Vorsitzende hatte zuvor mehrere dienstliche Erklärung zu dem Befangenheitsgesuch abgegeben.*

Der Verteidiger von B., Rechtsanwalt Dr. Andreas Hohnel, hat mehrere Gründe vorgebracht, die aus seiner Sicht für die Befangenheit sprechen. Gröschel sei derzeit Pressesprecher des Landgerichts Frankfurt für Fragen des Strafprozesses und bei dem Angeklagten handle es sich um den ehemaligen Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft, so Hohnel. Nach Angaben des Angeklagten hätten in der Vergangenheit regelmäßige Treffen zwischen den beiden stattgefunden. Laut Bild-Zeitung sollen die beiden regelmäßig zusammen bei einem Italiener in der Nähe des LG gegessen haben, B. soll Gröschel auch in privaten Fragen beraten haben. Ob diese Treffen ausschließlich beruflich oder nicht auch dem privaten Kontext zuzuordnen sind, beurteilen die Beteiligten nach Aussage von Hohnel unterschiedlich. Auf LTO-Anfrage beim LG Frankfurt am Main wollte der stellvertretende Pressesprecher zu dem abgelehnten Befangenheitsantrag und der Begründung keinerlei Angaben machen. 

Vorsitzender Richter könnte über Pressearbeit seiner Ehefrau urteilen 

Es gibt aber noch eine weitere Verbindung, die Hohnel kritisch sieht. Denn in einem medienwirksamen Strafverfahren wie zu diesem Justizskandal findet oft auch die Presseberichterstattung über einen Angeklagten Berücksichtigung. Im Rahmen der Strafzumessung kann sie sich sogar strafmildernd auswirken. Die Pressearbeit der anklagenden Staatsanwaltschaft im Fall B. übernahm die Oberstaatsanwältin Nadja Niesen, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Bei der Oberstaatsanwältin handelt es sich – wie es der Zufall will – um die Ehefrau des Vorsitzenden Richters Gröschel.  

Auf Nachfrage, ob man sich am LG Frankfurt am Main zu der Verbindung zwischen dem Vorsitzenden und der Pressesprecherin äußern wolle, entgegnete der Pressesprecher lediglich, dass sie zu privaten Angelegenheiten keine Angaben machen würden. Zu der Verbindung zwischen ihr und ihrem Ehemann als Vorsitzenden wollte die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Niesen keine Auskunft geben - Fragen zu diesem Kontext würde ausschließlich ihre Stellvertreterin beantworten. Auch die wollte sich auf Anfrage nicht äußern. 

Bei so vielen Verbindungen, mag man sich unweigerlich fragen, wer kennt hier eigentlich noch alles wen besser? 

Trotz allem hält Gröschel sich selbst nach Angaben der Verteidigung für nicht befangen und wird den Fall, nachdem die Kammer den Befangenheitsantrag ohne seine Mitwirkung abgewiesen hat, Stand jetzt verhandeln. Im Oktober könnte mit Entscheidung über die Anklagezulassung und anschließenden Verhandlungsterminen zu rechnen sein. 

 

*Artikelversion vom 08.10.2022, 10:37 Uhr: In einer vorherigen Version hieß es, der Vorsitzende Richter sei selbst an der Entscheidung beteiligt gewesen. Es handelte sich dabei jedoch lediglich um eine dienstliche Stellungnahme und nicht um die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch (geändert am 7.10). Entfernt wurden im Artikel Bemerkungen zum möglichen Revisionsgrund. Entgegen der vorherigen Darstellung ist das Rechtsmittel von vornherein nicht erfolgsversprechend, da bei Nichteinlegung der sofortigen Beschwerde zum OLG der Weg zum BGH wohl nicht mehr möglich sein dürfte. (8.10).

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Jeder kennt jeden in Frankfurt am Main?: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49820 (abgerufen am: 11.11.2025 )

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