Druckversion
Samstag, 27.05.2023, 01:53 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/justiz/j/eugh-c272-19-deutsche-gerichte-unabhaengig-gewaltenteilung-vg-wiesbaden/
Fenster schließen
Artikel drucken
42158

EuGH teilt Bedenken des VG Wiesbaden nicht: Deut­sche Gerichte sind unab­hängig

09.07.2020

Justitia

© travelview - stock.adobe.com

Ein deutsches Gericht hielt sich selbst nicht für unabhängig und legt diese Frage dem EuGH vor - ein durchaus bemerkenswerter Vorgang. Die Europarichter reagierten nun ganz kühl: Solange kein Druck ausgeübt werde, seien Richter unabhängig.

Anzeige

Es war eine fast schon ungeheuerliche, wenngleich natürlich wichtige Frage, die ein Wiesbadener Verwaltungsrichter da an die Kollegen in Luxemburg hatte: Bin ich eigentlich unabhängig? Eine Frage, deren Beantwortung möglicherweise weitreichende Konsequenzen gehabt hätte. Doch nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) der deutschen Justiz bescheinigt: Ja, sie ist unabhängig (Urt. v. 09.07.2020, Az. C-272/19).

Der Einzelrichter am Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hatte dem EuGH im Rahmen eines Rechtsstreits u. a. die Vorlagefrage übermittelt: "Handelt es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht"? Hintergrund war ein Verfahren, das für den nicht involvierten Leser wenig Spannendes bereits zu halten versprach. 

Ein Bürger, der eine Petition beim Petitionsausschuss des hessischen Landtags eingereicht hatte, verlangte vom Ausschuss Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten, die dieser im Rahmen der Behandlung seiner Petition gespeichert hatte. Deutsches Recht könne einen solchen Anspruch nicht stützen, fand der mit der Sache befasste Wiesbadener Verwaltungsrichter, aber vielleicht das Europarecht. So ging es dann um die ebenfalls dem EuGH vorgelegte Frage, ob ein solcher Aussschuss der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) unterliege.

EuGH schickte Fragenkatalog nach Hessen

Wäre es dabei geblieben, hätte dieses Verfahren wohl nicht viel Aufmerksamkeit geerntet. Doch die Frage nach der Unabhängigkeit deutscher Gerichte hatte es in sich. Der Richter zweifelte aus mehreren Gründen an seiner eigenen Unabhängigkeit. Zum einen würden Richter vom Justizministerium ernannt und befördert und ihre Beurteilung durch das Justizministerium richte sich nach denselben Bestimmungen, die für Beamte gälten. Außerdem würden die personenbezogenen Daten und dienstlichen Kontaktdaten der Richter vom Justizministerium verwaltet, das damit Zugriff auf diese Daten habe. Beamte könnten zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs als Richter auf Zeit ernannt werden dürften und das Justizministerium gebe die externe und die interne Organisation der Gerichte vor und bestimme die Personalzuweisung, die Kommunikationsmittel und die EDV-Ausstattung sowie über Auslandsdienstreisen der Richter.

Wirklich viel Aufmerksamkeit widmete der Gerichtshof dieser Vorlagefrage allerdings nicht. Es gab dazu keine mündliche Verhandlung und auch keine Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts. Nach Informationen von LTO schickte der EuGH lediglich einen Fragenkatalog zur Einflussnahme der Politik auf die Justiz an das Land Hessen, in dem es insbesondere um das Ernennungs- und Beförderungsverfahren für hessische Richter ging.

Nun entschied der Gerichtshof über die Vorlage und stellte knapp fest, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zum Begriff "Gericht" im Sinne des Unionsrechts und insbesondere zur erforderlichen Unabhängigkeit keine Gesichtspunkte vorgetragen worden seien, die ausreichten, um zu dem Schluss zu gelangen, dass das betreffende VG nicht unabhängig sei. Der bloße Umstand, dass die Legislative oder die Exekutive im Verfahren der Ernennung eines Richters tätig werden, sei nicht geeignet, an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters Zweifel zu wecken, wenn der Betroffene nach seiner Ernennung keinerlei Druck ausgesetzt sei und bei der Ausübung seines Amtes keinen Weisungen unterliege.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Die Vorlagefrage zur DSGVO-Gebundenheit des Petitionsausschusses wurde positiv beantwortet: Der Ausschuss sei als "Verantwortlicher" im Sinne der DSGVO einzustufen, befand der Gerichtshof.

mam/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

EuGH teilt Bedenken des VG Wiesbaden nicht: Deutsche Gerichte sind unabhängig . In: Legal Tribune Online, 09.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42158/ (abgerufen am: 30.05.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Gerichte
    • Justiz
    • Rechtsstaat
    • Richter
  • Gerichte
    • Europäischer Gerichtshof (EuGH)
26.05.2023
Justiz

Justizministerkonferenz Frühjahr 2023 in Berlin:

Die wich­tigsten Beschlüsse im Über­blick

Juristenausbildung ohne Verfassungsfeinde, dafür vielleicht doch mit Ruhetagen, höhere Streitwertgrenzen an Amtsgerichten und E-Scooter ohne Haftungsprivilegierung: Die Justizministerinnen und Justizminister hatten viel zu besprechen.

Artikel lesen
26.05.2023
Richter

Bund Deutscher Verwaltungsrichter kritisiert Politik:

Deut­sch­land soll seine Richter end­lich besser bezahlen

Mit einer Besoldung, die sich nur an den verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen orientiert, wird die Justiz nicht zukunftsfähig sein, bemängelt der BDVR und fordert deshalb schnelle Maßnahmen des Gesetzgebers.

Artikel lesen
29.05.2023
Jurastudium

Videobericht zu Demonstration vor Justizministerkonferenz:

"Die juris­ti­sche Aus­bil­dung darf nicht krank machen!"

Empörte Nachwuchsjuristen gewappnet mit Megaphon und Schildern richten ihre Reform-Forderungen an die in Berlin tagenden Justizminister. Angesichts sinkender Studentenzahlen liegt der Handlungsbedarf auf der Hand. Wie reagiert die Politik? 

Artikel lesen
29.05.2023
Arbeitszeit

Arbeitszeitmodelle in Kanzleien:

Mit Teil­zeit in die Part­ner­schaft?

60 Stunden die Woche, am Wochenende erreichbar: Für einige Anwälte ist das normal, andere wollen mehr Zeit für Familie und Hobbys. Ist Teilzeitarbeit in Großkanzleien überhaupt realistisch? Und wie sieht es mit der Partnerschaft aus?

Artikel lesen
27.05.2023
BVerfG

Abschied von Baer und Britz am BVerfG:

"Diver­sität ist berei­chernd"

In einer bewegenden Abschiedsrede reflektierte Susanne Baer ihre Rolle als erste offen lesbische Verfassungsrichterin. Sie und Gabriele Britz warnten vor populistischen Angriffen auf das BVerfG. Christian Rath hat zugehört.

Artikel lesen
28.05.2023
Referendariat

Gestrichene Prüfungsorte in Bayern:

Laptop und Land­straße

Bayern streicht Prüfungsstandorte, um das E-Examen einzuführen. Das schafft Ungleichheit und macht nicht nur die Juristenausbildung unattraktiver, sondern wird auch zum übergeordneten Glaubwürdigkeitsproblem für die Politik, meint Holm Putzke.

Artikel lesen
TopJOBS
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für ver­schie­de­ne Rechts­ge­bie­te

Görg , Ham­burg

Füh­rungs­kraft (m/w/d) in der Lauf­bahn­grup­pe 2.2

LAFP NRW (Polizei) , Düs­sel­dorf

Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Sach­be­ar­bei­ter*in (w/m/d) Jus­ti­zia­riat

SPD-Parteivorstand , Ber­lin

Rich­ter/in auf Pro­be (m/w/d)

Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt , Mag­de­burg

Schu­lungs­re­fe­rent ju­ris­ti­sche Soft­wa­re­lö­sun­gen / Cli­ent Trai­ner (m/w/d) -...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Han­no­ver

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder Frei­be­ruf­ler

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Schu­lungs­re­fe­rent ju­ris­ti­sche Soft­wa­re­lö­sun­gen / Cli­ent Trai­ner (m/w/d) -...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Frank­furt am Main

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Fortbildung IT-Recht im Selbststudium/online

30.05.2023

Frühlingsmarkt bei Gleiss Lutz in Hamburg

08.06.2023, Hamburg

Online Infoabend «Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften» 30. Mai 2023

30.05.2023

LEGAL ENGLISH FOR NEGOTIATIONS - ONE-DAY CRASH COURSE

12.06.2023

«ChatGPT & Co. - Digitale AI-Avatare als Jurist*innen?»

31.05.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH