Seit 2007 verhandeln die EU und Indien über ein Freihandelsabkommen. Manche der indischen Ängste vor einem FTA sind den europäischen vor TTIP ganz ähnlich. Und der Weg ist noch weit, meinen Daniel H. Sharma und Benjamin Parameswaran.
Die EU und Indien sind schon jetzt wichtige Handelspartner füreinander. Auch politisch setzt die EU auf Indien als stabilitätssichernde Macht in Asien.
Mit einer Wachstumsrate von 7 bis 10 Prozent pro Jahr ist die Republik eine der am schnellsten expandierenden Volkswirtschaften weltweit und überholt bei den Wachstumsraten nun sogar China. Seit 1990 hat sich das indische Pro-Kopf- Einkommen der heute ca. 1,2 Mrd. Einwohner weit mehr als verdoppelt. Auch der Handel zwischen der EU und Indien ist in den vergangenen zehn Jahren um 100 Prozent gestiegen.
Entsprechend versuchen die Verhandlungsparteien des Free Trade Agreement (FTA), den Marktzugang für Unternehmen und Personen weiter zu erleichtern. Das Abkommen soll unter anderem Kapitel über Dienstleistungen, Investitionen, das öffentliche Beschaffungswesen und geistige Eigentumsrechte enthalten.
Hohe Zölle und andere Barrieren
Tatsächlich könnte ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien bestehende Hemmnisse für den Handelsaustausch beseitigen und die bilaterale Kooperation fördern.
Solche Hemmnisse bestehen derzeit noch in vielerlei Hinsicht. Die aktuelle Entwicklung des Handels zwischen der EU und Indien bleibt weit unter ihren Möglichkeiten.
In erster Linie sind es hohe Zölle, die den Warenverkehr erschweren, komplizierte und langwierige Zollverfahren verlangsamen ihn zusätzlich.
Aber auch nichttarifäre Handelshemmnisse bremsen die Wirtschaft. Mengenmäßige Beschränkungen, Einfuhrlizenzverfahren, aufwändige Prüf- und Zertifizierungsvorschriften für Waren hemmen den Handelsaustausch.
Was Indien fürchtet
Anders als bei den multilateralen Verhandlungsrunden in der WTO, an denen Indien als überstimmbares Entwicklungsland teilnahm, agiert es im Rahmen des FTA als gleichberechtigter Verhandlungspartner.
Die indische Regierung spricht sich auch grundsätzlich für das FTA aus, denn ein Abkommen mit der EU bietet die Möglichkeit zur Erschließung neuer Märkte und der Erweiterung der Geschäftstätigkeit indischer Unternehmen in der EU. Eine wichtige Rolle spielt für Indien dabei traditionell der Technologie- und Outsourcingbereich.
In Teilen der indischen Bevölkerung stößt das FTA allerdings auf große Ablehnung. Insbesondere die geplante Öffnung des indischen Marktes für ausländische Supermarktketten wird kritisiert. Der Einzelhandel ist mit rund 40 Mio. Beschäftigten der zweitgrößte Wirtschaftssektor der Republik. Die Aufnahme eines liberalisierten Einzelhandels in das FTA würde europäischen Supermarktketten die Möglichkeit eröffnen, nach Indien zu expandieren. Dadurch entstünde ein Wettbewerb zwischen den Supermärkten und den heimischen Einzelhändlern, welcher sich zu deren Lasten auswirken könnte.
Auch die indische Agrarwirtschaft hat Bedenken. Das FTA könnte sich nach dortiger Einschätzung vor allem negativ auf die heimische Milch- und Geflügelwirtschaft auswirken. Schätzungen zufolge könnte die Einfuhr subventionierten Milchpulvers und von Butterfetten aus Europa rund 80 Mio. Beschäftigte im indischen Milchsektor bedrohen.
Allerdings, und das ist das Hauptargument der indischen Regierung für das Abkommen, würde eine gemeinsame Freihandelszone indischen Unternehmen bedeutende wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen. Zum Beispiel erhofft sich Indien durch das FTA einen größeren Transfer zukunftsweisender Technologien ins Land.
2/2: Was Deutschland sich wünscht
Die Verhandlungen zum FTA führt im Rahmen ihrer außenhandelsrechtlichen Kompetenz für alle EU-Mitgliedstaaten die Europäische Kommission. Deren Position teilt die Bundesregierung in allen wesentlichen Punkten.
Besonders die von der EU-Kommission geforderten Zollsenkungen in der Automobileindustrie sind für die deutsche Wirtschaft sehr wichtig. Exportiert z.B. ein europäischer Autobauer nach Indien, betragen die Zollgebühren knapp 60 Prozent des Produktwerts. Bei einem Export in die EU fallen für einen indischen Autobauer jedoch lediglich 6,5 Prozent Zollgebühren an.
Im Bereich der Dienstleistungen hat die Bundesregierung ebenfalls an einer Reihe von Sektoren besonderes Interesse. Relevant sind etwa die Bereiche der Finanzdienstleistungen oder der Logistik- und Kurierdienste. Deutsche und europäische Versicherungsunternehmen wollen endlich ungehinderten Zugang zum riesigen indischen Markt erhalten. Logistikunternehmen, die etwa das Geschäft der Brief- und Paketbeförderung betreiben, unterliegen ebenfalls immer noch Restriktionen, deren Abbau Europa fordert. Dem stehen indische Interessen zur Dienstleistungserbringung durch den vorübergehenden Aufenthalt natürlicher Personen in der EU gegenüber, welche vor allem für die indische IT-Industrie wichtig sind. Indische IT-Unternehmen fordern seit langem, dass sie indische Arbeitnehmer für kürzere, aber auch längere Zeiträume nach Europa schicken dürfen. Die Hürden für die Erlangung von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen sind immer noch hoch.
Deutsche Unternehmen erhoffen sich darüber hinaus auch eine deutliche Erleichterung bei den Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen in Indien (Foreign Direct Investment; FDI). Derzeit machen bürokratische Hindernisse, Infrastrukturprobleme und Verzögerungen bei Genehmigungsverfahren Indien zu einem berüchtigten internationalen Investitionsstandort.
Im Zuge des FTA, das auch für europäische Investitionen neue Regelungen festlegen will, könnte sich die Bedeutung Indiens allerdings ändern. Die dortige Regierung arbeitet - unabhängig vom FTA - bereits an der weiteren Öffnung von bestimmten Sektoren für FDI, etwa in der Versicherungs- oder Verteidigungsindustrie. Deutsche Unternehmen würden also deutlich überdurchschnittlich von einem FTA profitieren.
Geduld bleibt eine wichtige Tugend
Derzeit ist die Lage aber kritisch. Die 12. und bislang letzte Verhandlungsrunde fand im Mai 2013 statt. Nach dieser Sitzung wurden die Verhandlungen vorerst unterbrochen. Von Seiten der EU heißt es, dass die Parteien mit zu unterschiedlichen Erwartungen und Ambitionen in die Verhandlungen gegangen seien, insbesondere was die Zölle in der Automobilindustrie sowie die Freizügigkeit von Arbeitskräften angeht.
Aber auch im Hinblick auf die indische Zurückhaltung bei der Öffnung des öffentlichen Vergaberechts und die Zurückhaltung der EU im Hinblick auf die Akzeptanz des indischen Rechts zum Schutz geistigen Eigentums (Data Secure Nation-Status für Indien) war nach der 12. Runde nur wenig Übereinstimmung erkennbar.
Zwar hatte das seit 2014 regierende neue Kabinett signalisiert, dass es bereit wäre, an den alten Verhandlungsstand anzuknüpfen. Allerdings hat die indische Seite ein für den 20. August 2015 geplantes Treffen der FTA-Verhandlungsführer formal gestoppt. Auslöser ist das Handelsverbot von ca. 700 Arzneimitteln, welches die Europäische Kommission im August 2015 verhängt hat, da ein indischer Dienstleister bei der Durchführung von Medikamententests die erforderlichen Standards nicht eingehalten habe.
Ein neuer Termin ist bisher noch nicht angesetzt. Am grundsätzlichen Interesse beider Seiten an einem umfassenden FTA hat sich nichts geändert. Geduld bleibt aber eine wichtige Tugend in diesem Verhandlungsprozess.
Dr. Daniel H. Sharma, LL.M. (Durham) ist Partner und Co-Chair der Global India Group bei DLA Piper. Dr. Benjamin Parameswaran ist Partner und Managing Partner Germany bei DLA Piper.
Daniel H. Sharma und Benjamin Parameswaran, Freihandelsabkommen mit Indien: Kein Ende der Verhandlungen in Sicht . In: Legal Tribune Online, 25.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16976/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag