Großbritannien darf Asylbewerber nicht nach Ruanda ausfliegen. Das Vorhaben sei rechtswidrig, urteilte der Supreme Court in London. Die Pläne scheiterten an der fehlenden individuellen Prüfung des Rechts auf Asyl.
Die britische Regierung ist mit ihrem Vorhaben gescheitert, Flüchtlinge nach Ruanda auszufliegen, um dort das Asylverfahren durchzuführen. Das hat am Mittwoch der Supreme Court in London entschieden und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz vom Juni dieses Jahres. Geklagt hatten Flüchtlinge aus Iran, Irak und Syrien. Für den Premierminister Rushi Sunak, der weniger Flüchtlinge im Land will, ist die Entscheidung eine herbe Niederlage.
London hatte im Frühjahr 2022 mit der Regierung in Kigali ein Abkommen abgeschlossen. Danach wollte Großbritannien illegal eingereiste Menschen gegen Geldzahlungen in das afrikanische Land verbringen können. Erst dort sollten die Menschen einen Asylantrag stellen können, den die afrikanischen Behörden prüfen sollten. Würde das Recht auf Asyl bestehen, sollen die Menschen in Ruanda bleiben können. Eine Rückkehr nach Großbritannien war nicht vorgesehen.
Es bestehe die Gefahr, dass Asylbewerber in dem ostafrikanischen Land kein faires Verfahren erhielten, betonte nun der Supreme Court. Das Gericht berief sich unter anderem auf Erfahrungsberichte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.
Schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der als Organ des Europarats auch für Großbritannien zuständig ist, hielt diese Pläne für rechtswidrig. Das Gericht stoppte daher im einstweiligen Verfügungsverfahren den ersten geplanten Abschiebeflug im Sommer 2022. Nur in der ersten Instanz hielt der High Court in London die Pläne in der Folge für rechtmäßig.
Verfahren in Albanien oder Papua-Neuguinea
Großbritannien ist nicht das erste Land, das Asylverfahren auf ausländischem Boden abhalten möchte, um der großen Anzahl von Flüchtlingen zu begegnen. Italien arbeitet an einem Abkommen mit Albanien, Australien verfrachtet die Menschen nach Papua-Neuguinea und Nauru, die USA verhandeln mit Kolumbien und Panama über ein Abkommen.. Auch in Deutschland wird die Idee seit Jahren immer wieder diskutiert. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ein Abkommen mit afrikanischen Ländern in Betracht gezogen, daraus wurde jedoch nichts. Zuletzt war das Thema vor dem Bund-Länder-Gipfel zur Migration wieder aufgekommen.
Und auch wenn die Urteile aus Großbritannien dies zunächst annehmen lassen: Völlig abwegig ist die Idee nicht. Rechtlich betrachtet halten einige Asylrechtler eine solche Externalisierung – also die Verlagerung der Asylverfahren ins Ausland – für möglich.
Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) äußere sich im Grunde nicht zu den Verfahren selbst, sondern beinhaltet nur die Definition und die Rechte von Flüchtlingen, erklärt Constantin Hruschka, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, auf Anfrage von LTO. Ein Asylverfahren sei daher nach der GFK nicht verpflichtend, es könnten auch prima facie Anerkennungen gemacht werden. Nur Abschiebungen oder Zurückweisungen ohne eine individuelle Prüfung einer möglichen Gefahr, seien ausgeschlossen.
Denn Menschen dürfen nicht zur Durchführung des Asylverfahrens in ein anderes Land werden, wenn ihnen dort Menschenrechtsverletzungen oder eine Abschiebung ins Herkunftsland ohne vorherige Prüfung des Schutzbedarfs drohen. Ob dies der Fall ist, lässt sich aber erst nach einer Prüfung der individuellen Situation der Person sagen.
"Der Kern des Asylrechts"
"Dieses Refoulmentverbot ist der Kern des Asylrechts", sagt Professor Dr. Daniel Thym, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Es verpflichte die Staaten, jemanden nicht in ein Land zurückzuschicken, wo Verfolgung oder schwerste Menschenrechtsverletzungen drohen.
"Wenn Ruanda diese Sicherheit bietet, erlaubt die Genfer Flüchtlingskonvention externe Asylverfahren", meint Thym, und weiter: Das gleiche gilt für die Europäische Menschenrechtskonvention, die noch konkreter vorgibt, was Ruanda gewährleisten müsste." Es gehe nicht um die Grundsatzfrage, ob ausgelagerte Asylverfahren theoretisch möglich seien, "das sind sie". Stattdessen gehe es um das "wie" der Ausgestaltung und ob Ruanda die menschenrechtlichen Vorgaben tatsächlich erfüllt.
Verantwortung bleibt beim Land der ersten Einreise
Auch Hruschka betont, dass "die Mindestvoraussetzung bei externen Asylverfahren ist, dass das Refoulement-Verbot vor einer Überstellung in einen anderen Staat individuell und mit Rechtschutz-Verfahren geprüft wird, Art. 33 Abs. 1 GFK.
Hinzu kommt: Das auslagernde Land muss sicherstellen, dass die Rechte der Schutzsuchenden umfassend gewahrt werden – dort läge die primäre Verantwortung für die umfassende Anwendung der GFK. Das gelte nicht nur für die Anerkennungsverfahren, sondern auch für die Gewährung der Rechtstellung danach, sagt Hruschka.
Das betont auch das Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf Nachfrage gegenüber LTO: "Nach dem Flüchtlingsvölkerrecht liegt die primäre Verantwortung für die Prüfung von Asylanträgen und die Gewährung von internationalem Schutz bei dem Staat, in dem ein Asylsuchender an den Land- oder Seegrenzen ankommt und um diesen Schutz ersucht", so ein Sprecher. Diese Verpflichtung werde durch die Überstellung von Asylbewerbern oder die extraterritoriale Bearbeitung nicht berührt. Zwar könnten zwischen den Staaten Vereinbarungen zu Überstellungen bei der Zusammenarbeit im Asylbereich getroffen werden, doch müssen solche Maßnahmen den Schutz von Flüchtlingen sicherstellen und insgesamt erweitern.
Verfahren sind möglich, aber wenig zielführend
Die Auslagerung der Verfahren halten Asylrechtler für wenig zielführend: "Schon das Dublin Verfahren, mit dem die Menschen auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollen, funktioniert nicht", so Hruschka gegenüber LTO. Wie also sollte eine Verteilung nach einer Auslagerung der Verfahren funktionieren? Beim London-Ruanda Deal war vorgesehen, dass in Ruanda anerkannte Flüchtlinge dort auch bleiben sollten.
Sein Fazit: "Da ohnehin eine individuelle Prüfung erforderlich ist, ist die Verlagerung der Verfahren ins Ausland ineffizient", sagt Hruschka. Auch Thym erwähnte an anderer Stelle bereits die enormen logistischen Herausforderungen bei so einer Vorgehensweise – von den Organisation der Zentren, über die Wahl der Asylverfahren bis hin zum Rechtschutz.
ProAsyl merkt für die Asylpolitik in Deutschland noch etwas anderes an: "Völlig aus dem Blick gerät, dass weiterhin 70 Prozent der in Deutschland schutzsuchenden Menschen bei inhaltlicher Prüfung ihres Asylantrags einen Schutzstatus erhalten.". Die Maßnahmen richten sich also auch klar gegen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und schweren Menschenrechtsverletzungen fliehen – etwa aus Syrien, Afghanistan und der Türkei als Hauptherkunftsländern.
Großbritannien scheitert mit Plänen gegen illegal Eingereiste: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53175 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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