Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen ein journalistisches Portal – wegen "Landesverrats". Das ist ein historischer Vorgang, und eine deutliche Botschaft. Die Anklage wird folgen, meint Constantin Baron van Lijnden.
Deutschlands oberste Anklagebehörde ermittelt, wohl auf Anzeige des Präsidenten des Verfassungsschutzes, gegen eine inländische Redaktion wegen des Verdachts des Landesverrats. Die Norm bedroht unter anderem jenen mit Strafe, der Staatsgeheimnisse öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, sofern hierdurch tatsächlich die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird.
Das soll netzpolitik.org getan haben, indem es aus als vertraulich* eingestuften Papieren des Verfassungsschutzes zitierte und diese, den eigenen Grundsätzen folgend, auch online stellte. Die Dokumente waren von wirtschaftlicher Natur; es ergab sich daraus insbesondere die geplante Errichtung einer Spionageeinheit mit 75 Mitarbeitern beim Verfassungsschutz, die soziale Netzwerke, Chats u.ä. überwachen sollte. Bei einer nicht bereits seit Jahren weit über die Belastungs- und Wahrnehmungsgrenzen hinaus mit Schreckensmeldungen über geheimdienstliches Treiben überfrachteten Leserschaft hätte dies womöglich für einen Aufschrei gesorgt; so ging die Meldung nach Veröffentlichung im April zunächst sang- und klanglos unter.
Mitte Juli wurde sodann bekannt, dass der Generalbundesanwalt gegen den unbekannten Informanten ermittelt, der netzpolitik die Papiere zugespielt hatte; am Donnerstag meldete netzpolitik, dass sich die Ermittlungen auch auf zwei der Betreiber selbst erstrecken.
Versuch einer Subsumption – was ist ein "Nachteil" für die Bundesrepublik?
Dass aus der Veröffentlichung der Unterlagen, die lediglich einen groben Plan für die Spionageeinheit skizzieren, tatsächlich "die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" droht, erscheint nicht zwingend – ganz von der Hand zu weisen ist es aber nicht: Wer weiß, wo der Verfassungsschutz seine Ressourcen bündelt, wird um eben jene Kommunikationswege gewiss einen Bogen machen.
Dass netzpolitik.org, das seit Jahren der unangefochtene Informationsführer zu seinem namensgebenden Thema ist, dies auch in der Absicht getan hätte, "die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen", ist auf Grundlage des Verständnisses der Betreiber natürlich absurd: Sie wollen der Bundesrepublik Deutschland nicht schaden, sondern im Gegenteil dienen, indem sie (Überwachungs-)Praktiken aufdecken, die sie für rechtlich fragwürdig halten. Allerdings nehmen sie dadurch in Kauf, dass die Interessen der Bundesrepublik – so, wie der Verfassungsschutz sie auffasst – negativ berührt werden können.
Der Generalbundesanwalt weiß, was er tut…
All das wird der Generalbundesanwalt sich zweifellos überlegt haben, bevor er beschloss, das Ermittlungsverfahren zu eröffnen. Dass netzpolitik auch hierüber berichten, und dass ein medialer Sturm der Entrüstung folgen würde, war abzusehen – umso mehr, als sein Vorgehen in schmerzlichem Kontrast zu seiner Untätigkeit bei der Aufklärung der NSA-Affäre steht, und die letzten Ermittlungen wegen Landesverrats gegen ein deutsches Medium – vor über 50 Jahren – nicht nur scheiterten, sondern einen Politik-Skandal ersten Ranges nach sich zogen.
Gewiss: Imagepflege ist nicht Aufgabe einer Strafverfolgungsbehörde – dass die medialen, gesellschaftlichen und politischen Implikationen des eigenen Handelns in Karlsruhe aber völlig außer Betracht blieben, glaubt niemand, der die echte Welt nicht mit einem Strafrechts-Skript verwechselt.
… und er tut es trotzdem
Wenn nun also Ermittlungen laufen, dann wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Anklage folgen. Welche tatsächlichen Umstände sollte der Generalbundesanwalt denn im Ermittlungsverfahren aufklären, die nicht ohnehin bekannt sind?
Die Veröffentlichung der als geheim eingestuften Dokumente, ihr Inhalt, die Beweggründe von netzpolitik, all das ist seit Monaten bestens dokumentiert – offen bleibt vor allem das Tatbestandsmerkmal der "Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik", aber auch hier konnte die Ermittlungsbehörde bereits im Vorermittlungsverfahren alles zusammentragen, was nach ihrer Ansicht für einen solchen Nachteil spricht. Dass im Ermittlungsverfahren tatsächliche Gesichtspunkte offenbar werden, die nicht bereits zuvor bekannt waren, und diese den einmal gefassten Verdacht sodann entkräften, wirkt unwahrscheinlich.
Und selbst, wenn man der Behörde unterstellen wollte, ihr sei es in erster Linie um das abschreckende Signal des Ermittlungsverfahrens gegangen, bleibt der Gang vor Gericht unausweichlich: Denn eine Verfahrenseinstellung würde dieses Signal gerade in sein Gegenteil verkehren.
Eine demokratische Grundsatzfrage
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird also die Justiz die Sache klären müssen, und dabei einen Fall entscheiden, der mit verfassungsrechtlichen Fragen kaum schwerer beladen sein könnte. Denn ein Journalismus, der vor keinem Geheimnis Halt macht, macht sich mit gutem Grund strafbar - aber ein Journalismus, der kein Geheimnis offenbart, vernachlässigt seine Aufgabe als vierte Gewalt sträflich.
Droht der Bundesrepublik ein Nachteil durch Ermittlungsbehörden, die im Geheimen walten und die Bevölkerung überwachen, oder durch Journalisten, die jene Aktivitäten auch um den Preis, eine effektive Strafverfolgung zu behindern, ans Licht bringen? Die Antwort auf diese Frage wird sehr viel mehr als nur das Verfahren gegen netzpolitik.org entscheiden.
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst "geheim", tatsächlich waren die Akten jedoch nur mit der niedrigeren Geheimhaltungsstufe "Verschlussache vertraulich" gestempelt. Geändert am 1.8.2015, 14:47
Constantin Baron van Lijnden, Ermittlungen gegen netzpolitik.org: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16451 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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