Bei der Bekämpfung der Rockerkriminalität ist die Polizei nicht zimperlich. Der Druck auf die "Outlaws" wird weiter erhöht. Derzeit lassen die Innenminister mittels "Kuttenverboten" und massiver, öffentlichkeitswirksamer Polizeipräsenz bei Rocker-Veranstaltungen wieder einmal ihre Muskeln spielen. Völlig überzogen, meinen Florian Albrecht und Frank Braun. Es würden Gefahrenlagen suggeriert, die so nicht bestehen.
Derzeit werden Polizeibeamte landauf, landab losgeschickt, um Mitglieder von Motorradclubs (MC’s) anzusprechen. Diese werden in polizeiintern zu protokollierenden Gefährderansprachen mit vorgegebener einheitlicher Sprachregelung darauf hingewiesen, dass das Tragen ihrer Kutten gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG verstößt. Bei Zuwiderhandlung gegen das faktische Trageverbot muss mit Strafanzeigen und Beschlagnahmen gerechnet werden.
Das Vorgehen der Polizei ist Teil einer erhebliche Ressourcen bindenden Gesamtstrategie. In Kooperation mit den Medien soll in der Öffentlichkeit das vermeintlich positive Bild der Rocker korrigiert, das staatliche Gewaltmonopol unterstrichen und das Sicherheitsgefühl der Bürger verbessert werden.
Effektive Schadensverhinderung? – Fehlanzeige. Vielmehr wird durch Polizei und Medien das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung manipuliert und instrumentalisiert. Es werden Gefahrenlagen suggeriert, die faktisch so nicht bestehen.
Ressourceneinsatz und Kriminalitätswirklichkeit
Eine den Besorgnissen und den Sicherheitsbedürfnissen der Bürger Rechnung tragende Polizeiarbeit muss sich an den Schwerpunkten der Kriminalität, an den größten Kriminalitätspotentialen und an den größten drohenden Schäden orientieren.
Das Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2012, eine jährliche Zusammenfassung der aktuellen polizeilichen Erkenntnisse zu Lage und Entwicklung bestimmter Kriminalitätsbereiche, gibt darüber Aufschluss. Weit an der Spitze der der polizeilich bekannt gewordenen Straftaten rangieren Rauschgifthandel und Rauschgiftschmuggel (37 %). An zweiter Stelle stehen Eigentumsdelikte, wie Wohnungseinbrüche (13,2 %). Letztere mit bundesweit steigenden Zahlen und deprimierenden Aufklärungsquoten. Es folgen die Kriminalität im Wirtschaftsleben (13,2 %), Steuern- und Zollkriminalität (9,3%), Fälschungsdelikte (6,3%) und Schleuserkriminalität (6,3).
Straftaten in Dunkelfeldern, die schwer zu ermitteln sind, finden sich in der statistischen Auflistung an nachgeordneter Stelle, z.B. Umweltdelikte, Korruption und Cyberkriminalität. Hier können geringe Verfolgungs- und Aufklärungsquoten als Ausfall der Strafverfolgung und Einladung zur Tatbegehung missverstanden werden.
Rockergruppierungen werden im Bundeslagebild unter Organisierter Kriminalität geführt. Im Jahre 2012 richteten sich von 568 Verfahren lediglich 26 Ermittlungsverfahren gegen Angehörige von MC’s. Das sind statistisch 4,6%. Von einem Dunkelfeld kann bei weithin sichtbar in der Öffentlichkeit auftretenden Motorradclubs sowie der enormen Kontrolldichte schwerlich gesprochen werden. In anderen Deliktsbereichen beträgt das Dunkelfeld hingegen ein Vielfaches der statistisch erfassten Taten. Näheren Aufschluß, um welche Straftaten es sich bei den Rockergruppierungen handelt, gibt weder die polizeiliche Kriminalstatistik noch das Bundeslagebild Organisierte Kriminalität.
Mitgegangen - mit gehangen
Mitglieder von MC’s sind per se Kriminelle. Eine differenzierende Betrachtung lohnt nicht, mitgegangen - mit gehangen. Zu diesem Schluss kann man gelangen, wenn man den Bericht der Bund-Länder-Projektgruppe des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung "Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität – Rahmenkonzeption" vom 07.10.2010 (im Folgenden "Bund-Länder Rahmenkonzeption") liest. In dem Bericht wird den Rockergruppen generell ein hohes Kriminalitätspotential bescheinigt.
Im Mai 1990 wurde von der Gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei eine Definition der Organisierten Kriminalität verabschiedet, wonach sinngemäß nur Gruppen, die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte, geplante Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen, erfasst werden. Für die Zuordnung genügt eine durch kriminalistische Erfahrung untermauerte Betrachtung des Tatgeschehens. Als typische Deliktsfelder der Rocker gelten aber Roheitsdelikte, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Verstöße gegen das Waffengesetz sowie Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, mehrheitlich also Taten, die überhaupt nicht in die Definition passen. Ungeachtet dessen werden sie pauschal der Organisierten Kriminalität zugeordnet. Erhellende Angaben über die Anzahl der Delikte, über die Zahl erlassener Haftbefehle oder ergangener Verurteilungen fehlen.
2/2: Nachricht nach Außen
Offensives und konsequentes Vorgehen der Polizei soll nach außen hin deutlich werden. Entschlossenes Handeln soll demonstriert und dadurch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gestärkt werden. Nicht unerheblicher Zeit- und Kräfteaufwand wird dafür in Kauf genommen, Ressourcen werden gebunden. Eigentliches Ziel der Bund-Länder Rahmenkonzeption ist die präventive und repressive Bekämpfung schwerer Individualstraftaten. Wie weit das ursprüngliche Ziel aus den Augen verloren wurde, zeigt die polizeiliche Praxis der Gefährderansprachen.
Nach der Bund-Länder Rahmenkonzeption sollen Mitglieder von Rockerclubs von der Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen abgehalten werden bzw. Gewaltdelikte (Kernstrafrecht) verhindert werden. Heute werden Mitglieder von Rockerclubs auf rechtlich fragwürdiger Grundlage auf mögliche Verstöße gegen Vorschriften des Vereinsgesetzes (Nebenstrafrecht) hingewiesen. Verstöße gegen Vorschriften des Vereinsgesetzes sind zwar Rechtsverletzungen, aber alles andere als schwere Individualstraftaten. Zur Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bürger sind derartige Aktionen nicht geeignet. Bei den Vernünftigeren werden sie eher die Besorgnis der Fehlleitung knapper Ressourcen nähren.
Nachricht nach Innen
Die polizeiliche Leitung unterscheidet bei ihren Maßnahmen gegen MC’s zwischen der Öffentlichkeitsarbeit nach Außen und Öffentlichkeitsarbeit nach Innen. Erstere soll die Rolle und Aufgabe der Polizei verdeutlichen und Verständnis und Akzeptanz für polizeiliche Maßnahmen (Zufahrtskontrollen, Verkehrskontrollen, Identitätsfeststellungen, Observation, Durchsuchungen, Razzien etc.) und druckerhöhendes niedrigschwelliges Eingreifen schaffen. Letztere soll die Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamten mit dem Phänomen der Rockerkriminalität vertraut machen. Dabei sollen die Beamten auf das besondere Geheimhaltungsbedürfnis und mögliche Konsequenzen bei Verstößen gegen die dienstliche Verschwiegenheitspflicht hingewiesen werden. Explizite Sprachregelungen sollen ein einheitliches polizeiliches Beurteilen und Vorgehen stützen. Das erinnert nicht gerade an eine offene, bürgernahe Polizeiarbeit. Eigenständig denkende und handelnde Polizeibeamte erscheinen dagegen bei der "Rocker-Polizei" unerwünscht.
Eingriffe in den Rechtskreis von Bürgern auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit aufgrund eigener Feststellungen und Erfahrungen zu überprüfen, ist kein Vergehen, sondern im demokratisch verfassten Rechtsstaat eine dienstliche Tugend und gerade von hoheitlich Handelnden zu erwartende staatsbürgerliche Selbstverständlichkeit. Dem Sicherheitsgefühl der Bürger ist so verstandenes selbstverantwortliches polizeiliches Handeln zuträglicher, als wenn die Staatsbeamten stumpf in vorgekautem Ministerialjargon Kuttenverbote nach dem Vereinsgesetz aussprechen.
Ebenso wie die auf dem Rücken der Beamten angestrebte Reduzierung von Verfahrenskosten und durchschnittlichen Ermittlungskosten sowie bürokratische Punktesysteme zur Leistungsbeurteilung bringen derartige "Präventionskonzepte" mündige Beamte auf die Palme. So verwundert es nicht, dass "immer mehr Polizeibeamte die Schnauze voll haben" (so Franz Solms-Laubach, Das Ende der Sicherheit – Warum die Polizei uns nicht mehr schützen kann, Droemer 2014) und die Polizei "ausblutet" (so Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in seinem Vorwort zu dem Buch).
Großer Aufwand – bescheidener Erfolg
Zum Treffen des Rockerclubs Hells Angels in einer ehemaligen Diskothek in Helmstedt bei Wolfsburg reiste im August dieses Jahres ein Großaufgebot der Polizei an. Der Motorradclub Hells Angels MC Wolfsburg feierte sein einjähriges Bestehen. Kontrolliert wurde vom Nachmittag bis zum Abend. Zufahrten wurden abgeriegelt, Straßensperren errichtet. 60 Fahrzeuge und 200 Personen wurden überprüft. Zwischenfälle gab es keine.
Zur Abwehr schwerer Straftaten erfolgte der massive Polizeieinsatz nicht. Die Polizisten sollten vor allem überprüfen, ob Teilnehmer verbotene Kennzeichen wie den Schriftzug der Hells Angels und das Symbol des geflügelten Totenkopfes tragen. Bei der Polizei auffällig geworden war das Charter der Hells Angels bis dahin nicht. Es sind Aktionen wie diese, die so manches, wenn auch nur selten öffentlich gezeigtes, Kopfschütteln verursachen.
Es gibt wichtigere Aufgaben, wie ein Blick in die Kriminalstatistik des Bundes zeigt. Seit dem Jahr 2005 nehmen Wohnungseinbruchdiebstähle konstant zu. Deren Auswirkungen für die Opfer sind massiv, weil sie besonders schwere und lang anhaltende Traumata und Ängste verursachen. Die Aufklärungs- und Verurteilungszahlen liegen erschreckend niedrig (von 100 Tätern werden weniger als sieben polizeilich ermittelt und weniger als zwei verurteilt; so Feltes/Kawelovski, Die Polizei 2014, 136, 137 und 141). Entsprechendes gilt für das enorme Dunkelfeld der sich über Deutschland erstreckenden Netze der italienischen Mafia und die erheblichen Gefahren, die durch nach Deutschland zurückkehrende terroristische Kämpfer und die in Deutschland ansässigen Sympathisanten der Terrormilizen des Islamischen Staats ausgelöst werden. Die Aufzählung lässt sich fortsetzen.
Kernaufgabe der Polizei ist die Abwehr von Gefahren. Hierbei sollte zur richtigen Positionierung, gerade auch angesichts geplanter Einsparungen der bewährte Grundsatz Beachtung finden "first things first".
Der Autor Florian Albrecht ist Rechtsanwalt und Akademischer Rat a. Z. an der Universität Passau. Der Autor Dr. Frank Braun ist Regierungsdirektor an der FHÖV NRW in Münster. Sie sind Herausgeber (Albrecht) und Autoren des am 24. Juni 2014 im Beck Verlag erschienenen Kommentars zum Vereinsgesetz.
Florian Albrecht, Bekämpfung der Rockerkriminalität: Die Polizei auf Abwegen . In: Legal Tribune Online, 17.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13205/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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