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Schwarzfahren: Ende eines unnö­t­igen Delikts?

von Dr. Felix W. Zimmermann

08.01.2022

Fahrkartenkontrolleure kontrollieren in einer U-Bahnstation in Frankfurt am Main

Fahrkartenkontrolleure kontrollieren in einer U-Bahnstation in Frankfurt am Main. Foto: picture alliance/dpa | Andreas Arnold

Ob Gefängnisstrafen für das Fahren ohne Fahrschein sinnvoll und gerecht sind, ist seit Jahrzehnten Streitpunkt. Jüngst ist die Diskussion neu entfacht. Jetzt hat das Bundesjustizministerium eine Überprüfung des § 265a StGB angekündigt.

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Als "unnötigste Straftat seit 1935" (gemeint wohl Straftatbestand) bezeichnete jüngst Jan Böhmermann das "Erschleichen von Leistungen". In der Sendung ZDF Magazin Royale gab er seinen Zuschauer:innen eine anschauliche Geschichtslektion über die Entstehung des § 265a Strafgesetzbuch (StGB) im Dritten Reich. Parallel dazu wurden in Kooperation mit Arne Semsrott von der Internetplattform "Frag den Staat" Spenden gesammelt. Damit sollen Personen, die Ersatzfreiheitsstrafen wegen Schwarzfahrens zu absolvieren haben, freigekauft werden. Unter freiheitsfonds.de wurden bis heute nach eigenen Angaben über 125.000 Euro gesammelt und damit über 100 Menschen aus der Haft befreit. Über 9.000 Hafttage, mithin 24 Jahre Haft, sollen aufgelöst worden sein.

Die Spendenaktion zielt auf die seit Jahren bestehende Kernkritik an der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein. Wer kein Ticket kauft, kann es sich typischerweise nicht leisten, ist sozial schwach. Wer dann deswegen ein "erhöhtes Beförderungsentgelt" entrichten muss, wird gleichsam am finanziellen Nerv getroffen und wer schließlich mangels Begleichung des Entgeltes zu einer Geldstrafe verurteilt wird, kann auch diese oft nicht begleichen. Die Folge: Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB. Nach Schätzungen aus 2018 müssen wegen Erschleichens von Leistungen jährlich 7.000 Personen ins Gefängnis.

"Erschleichen einer Leistung" bei bloßem Rumsitzen?

Ginge es nach der Mehrheit der Rechtswissenschaftler:innen hätte der Großteil dieser Menschen schon nach aktueller Rechtslage nie hinter Gittern landen dürfen. Die herrschende Lehre verlangt nämlich für die Bejahung des "Erschleichens" in § 265a StGB eine Umgehung oder Ausschaltung von Sicherungsvorkehrungen. Das bloße Rumsitzen ohne Fahrschein wäre demnach nicht strafbar. Für diese Auslegung spricht, dass andernfalls dem Wort "Erschleichen" keine Bedeutung zukommt, die über das Nichtkaufen der Fahrkarte hinausgeht. Doch die ständige Rechtsprechung ist anderer Ansicht und lässt den "Anschein des ordnungsgemäßen Verhaltens" für die Strafbarkeit genügen. Und der soll sogar dann gegeben sein, wenn ein Fahrgast seine Nichtzahlung auf einem Zettel mit den Worten "Ich zahle nicht" auf einer Mütze transparent macht.

Eine Änderung dieser Rechtsprechung ist nicht in Sicht. Politisch hingegen haben die Länder Berlin und Thüringen bereits 2019 eine Initiative in den Bundesrat eingebracht. Das Ziel: Freiheitsstrafen fürs Fahren ohne Fahrschein abwenden und das Delikt nur noch als Ordnungswidrigkeit behandeln. "Wenn wir diese Menschen wegen eines Bagatelldelikts ins Gefängnis stecken, dann ist damit niemandem geholfen, nicht den Verkehrsbetrieben, nicht den Gerichten, nicht den Justizvollzugsanstalten und am allerwenigsten denen, die im Gefängnis landen", sagte der damalige Justizsenator Dirk Behrendt (Die Grünen). Doch der Antrag fand keine Mehrheit. Gegner der Aufhebung des Delikts fürchten eine "Kapitulation des Rechtsstaats im Bereich der Massendelikte", so etwa die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU).

Bundesjustizminister kündigt Überprüfung an

Doch die Ampel-Koalition steuert nun auf eine Gesetzesänderung zu. Das Bundesjustizministerium stellt Strafen für Schwarzfahren auf den Prüfstand. Die Regierung habe sich vorgenommen, das Strafrecht auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche zu prüfen und will hierbei einen Fokus auf historisch überholte Straftatbestände legen, teilte ein Sprecher am Freitag der dpa mit. Dabei solle auch der Handlungsbedarf beim Fahren ohne Fahrschein überprüft werden. Wann diese Prüfung abgeschlossen sein soll, verriet der Sprecher laut dpa nicht. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte dem Spiegel, er wolle das "Strafrecht systematisch überprüfen und mit einer Modernisierung für eine Entlastung der Justiz sorgen".

Eine Entlastung wäre eine Gesetzesänderung auch für den Steuerzahler. Nach Recherchen von "Frag den Staat" kostet ein Hafttag zwischen 98 und 188 Euro am Tag. Durch den Freikauf der Schwarzfahrer:innen von ihrer Haft, seien dem Steuerzahler angeblich bereits über 1,4 Millionen Euro Kosten erspart worden.

Alternativen zur Strafbarkeit

Während Kritiker des Tatbestandes des "Erschleichens von Leistungen" sogar eine Ordnungswidrigkeit noch für eine zu harte Sanktion halten, wollen die Verkehrsbetriebe bislang unbedingt an der geltenden Rechtslage festhalten. Vor allem mit der Begründung, dass die Alternative von Zugangskontrollen bei 135.000 Haltestellen in Deutschland nicht zu finanzieren sei.

Die Beispiele London und Paris zeigen zwar, dass derartige Systeme durchaus funktionieren. Indes hätte von Zugangsbeschränkungen niemand einen Vorteil. Die Verkehrsbetriebe müssten Abermillionen hierfür ausgeben und die sozial Schwachen wären von der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ausgeschlossen. Alternative Strafen wie Sozialdienste könnten eine Lösung sein. Noch mehr drängt sich aber vor dem Hintergrund des angeblichen Primärziels der neuen Bundesregierung – dem Klimaschutz – eine andere Idee zur Bekämpfung des Fahrens ohne Fahrschein auf: Den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anzubieten, ihn weiter zu subventionieren und auszubauen. Luxemburg und einige europäische Städte gehen diesen Weg bereits. Wie sehr das dem Klimaschutz wirklich hilft, ist allerdings wieder mal umstritten.

Jedenfalls wäre dann Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr nicht mehr möglich – weder rechtlich noch tatsächlich.

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Schwarzfahren: . In: Legal Tribune Online, 08.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47151 (abgerufen am: 11.11.2025 )

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