Nach einer EU-Vorschrift muss das rituelle Schlachten in zugelassenen Schlachthöfen erfolgen – die wurden in Belgien allerdings knapp. Thomas Traub erläutert, warum das nach Ansicht des Generalanwalts nicht die Religionsfreiheit verletzt.
Viele Jahre lang war es in Belgien praktizierenden Muslimen erlaubt, rituelle Schlachtungen aus Anlass des islamischen Opferfests durchzuführen. Die Tiere wurden in Übereinstimmung mit den religiösen Geboten geschächtet, also ohne vorherige Betäubung getötet. Dies fand einerseits in regulären, zugelassenen Schlachthöfen statt, andererseits an vorübergehend aufgebauten Schlachtstätten, die nur während des Opferfests genutzt wurden und die temporär erhöhte Nachfrage decken sollten. Die belgischen Behörden haben ab 2014 keine Zulassung mehr für diese temporären Schlachtstätten erteilt, weil die Genehmigung nach der europäischen Verordnung über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (VO EG Nr. 1099/2009) nicht vorgesehen ist.
Das staatliche Verbot temporärer Schlachtstätten führte in Belgien zu Kapazitätsproblemen, da die bestehenden Schlachthöfe die höhere Nachfrage während des Opferfests nicht befriedigen konnten und die Aufrüstung der stationären Schlachtstätten erhebliche Investitionskosten erforderte. Ein belgisches Gericht hat deshalb im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens den Europäischen Gerichtshof gefragt, ob die Vorgabe der EU-Verordnung, nach der Schlachtungen nur in einem zugelassenen Schlachthof durchgeführt werden können, die Religionsfreiheit verletzt.
In seinen Schlussanträgen vom Donnerstag hat der Generalanwalt Nils Wahl jetzt überzeugend begründet, warum die Religionsfreiheit nicht verletzt ist und interessante Überlegungen zum Verhältnis von Religionsfreiheit und Tierschutz angestellt (Az. C-426/16).
Staatliche Gerichte entscheiden nicht über religiöse Fragen
Artikel 10 der europäischen Grundrechte-Charta schützt die Religionsfreiheit. Dazu zählt auch die Freiheit, seine Religion durch Bräuche und Riten auszuüben. Viele Muslime sehen es als religiöse Pflicht an, zu Beginn des Opferfestes ein Tier in Übereinstimmung mit religiösen Regeln zu schlachten und dessen Fleisch anschließend mit Nachbarn, Verwandten und Bedürftigen zu teilen. Dagegen gibt es andere Muslime, die der Ansicht sind, dass das Schlachten nicht unbedingt ohne Betäubung erfolgen muss und modernere Vorstellungen, nach denen das Tieropfer auch durch eine Spende ersetzt werden kann.
Generalanwalt Wahl widerstand nun der Versuchung, wegen der unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des Islam in Zweifel zu ziehen, dass das rituelle Schlachten von der Religionsfreiheit geschützt wird. Es sei nicht Aufgabe staatlicher Gerichte zu entscheiden, welche Interpretation religiöser Vorschriften die richtige ist. So gebe es in allen Religionen unterschiedliche Strömungen, orthodoxe und moderne Ansätze.
Damit liegt er genau richtig: Staatliche Institutionen haben keine Kompetenz, religiöse Gebote verbindlich auszulegen. Die Religionsfreiheit kann als Grundrecht nur dann ihre schützende Wirkung entfalten, wenn ihr Inhalt nach dem Selbstverständnis des Gläubigen bestimmt wird. Verwaltung und Gerichte müssen sich darauf beschränken, zu überprüfen, ob das religiöse Gebot plausibel begründet wird. Dass damit eine uferlose Ausweitung des Schutzes der Religions- und Weltanschauungsfreiheit wirksam verhindert werden kann, machen etwa die Urteile zu den "Pastafari" anschaulich.
2/2: Einschränkungen zum Schutz von Mensch und Tier angemessen
Wahl betont in seinen Schlussanträgen auch, dass die angegriffene europäische Vorschrift das Schächten auch gar nicht per se verbiete. Sie gebe lediglich einen Rahmen vor und gestatte das rituelle Schlachten ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen. Dies diene dem Schutz der menschlichen Gesundheit ebenso wie dem Tierschutz und der Lebensmittelsicherheit.
Auch das ist eine absolut nachvollziehbare Argumentation: Die Schlachthöfe stehen unter der Aufsicht der Behörden und müssen technische Anforderungen an die Lagerung und Kühlung erfüllen, "wilde Schlachtungen" sollen verhindert werden. Diese gesetzlichen Vorgaben können zumutbar auch bei rituellen Schlachtungen beachtet werden. Auch nach den Glaubenssätzen der klagenden Muslime spricht nichts dagegen, das Schächten – ausschließlich – in zugelassenen Schlachthöfen durchzuführen.
Dass die Streitigkeit überhaupt vor die belgischen Gerichte ging und letztlich vor dem EuGH ausgefochten wird, hat einen viel weniger spektakulären Hintergrund als die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Tierschutz und Religionsfreiheit: Nachdem die belgischen Behörden keine vorübergehenden Schlachtstätten aus Anlass des Opferfests bewilligen wollten, kam es in den zugelassenen Schlachthöfen zu Kapazitätsproblemen und die Nachfrage konnte nicht gestillt werden. Solche Probleme stellen aber nicht die gesetzliche Regelung in Frage, wie der Generalanwalt richtiger Weise feststellt. Sie müssen vielmehr im Einzelfall gelöst werden - und wurden es offenbar inzwischen auch.
Rechtslage in Deutschland
In Deutschland ist das Schlachten ohne vorherige Betäubung nach § 4a Tierschutzgesetz grundsätzlich verboten. Das Verbot dient dem Tierschutz, der nach Art. 20a Grundgesetz Verfassungsrang hat. Allerdings lässt die Vorschrift Ausnahmen zu. Eine Genehmigung darf erteilt werden, um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Ziel der Regelung ist es insbesondere, den Grundrechtsschutz gläubiger Muslime und Juden zu wahren.
Das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 15.02.2002, Az. 1 BvR 1783/99) hat entschieden, dass diese Ausnahme nicht so eng ausgelegt und angewendet werden darf, dass die Religionsfreiheit praktisch leer läuft. Danach besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, wenn der Gläubige substantiiert und nachvollziehbar darlegt, dass nach der gemeinsamen Glaubensüberzeugung einer religiösen Gemeinschaft der Verzehr des Fleischs von Tieren zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt.
Es wäre eine Überraschung, wenn der Europäische Gerichtshof in seinem ausstehenden Urteil zu einem völlig anderen Ergebnis käme als jenes, das der Generalanwalt überzeugend vorgetragen hat. Der Fall zeigt einmal mehr die effektive Lösung von Konflikten zwischen verschiedenen Grundrechten und Verfassungsgütern: Es geht nicht um einen generellen Vorrang von Religionsfreiheit gegenüber dem Tierschutz oder umgekehrt. Gesucht wird eine Lösung, die alle Belange im konkreten Einzelfall möglichst schonend zum Ausgleich und zugleich zur Wirkung bringt. Mit den Worten des bedeutenden Rechtswissenschaftlers und Verfassungsrichters Konrad Hesse: Es geht um die Herstellung praktischer Konkordanz.
Der Autor Thomas Traub ist Lehrbeauftragter an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Zuvor war er Akademischer Rat am Institut für Kirchenrecht der Universität Köln.
Thomas Traub, EuGH-Generalanwalt zum Schächten von Tieren: Praktische Konkordanz im Schlachthof . In: Legal Tribune Online, 30.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25785/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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