Vor kurzem machte das Europäische Parlament mit einer Entschließung zum digitalen Markt Schlagzeilen. Beide Seiten des Atlantiks verstanden sie als Forderung, die "Datenkrake" Google zu zerschlagen. Wie weit der Abstand zwischen dieser politischen Botschaft und ihrer rechtlichen Umsetzung derzeit noch klafft, erläutert Thomas Ackermann.
Die harmlos betitelte "Entschließung des Europäischen Parlaments zur Stärkung der Verbraucherrechte im digitalen Binnenmarkt" vom 27. November bezieht ihre Sprengkraft aus einer kurzen Passage, die in einem Potpourri politischer Wünsche und Vorstellungen zum digitalen Binnenmarkt fast untergeht. Nur wer bei der Lektüre Geduld beweist, gelangt schließlich zu der Forderung des Parlaments an die Europäische Kommission, "Vorschläge in Betracht zu ziehen, die darauf abzielen, Suchmaschinen von anderen kommerziellen Dienstleistungen abzukoppeln".
Dass diese Forderung medial griffig mit "Zerschlagt Google!" übersetzt wurde, wird die hinter der Resolution stehende breite parlamentarische Mehrheit nicht wundern und dürfte ihr auch nicht ganz unrecht sein.
Kaum ein Unternehmen ist so sehr in der Gunst der europäischen Öffentlichkeit abgestürzt wie der führende Suchmaschinenbetreiber. Eine Reihe von Vorwürfen, die vom Datenmissbrauch über die Behinderung und Ausbeutung anderer Marktteilnehmer bis hin zur Steuervermeidung reichen, ließen Google vom Prototyp des "guten" Internetunternehmens zum Gegenbild des "bösen" Monopolisten werden.
Die Versuchung ist daher groß, mit dem Gedanken einer Zerschlagung von Google zu spielen. Diese Drohung lässt sich mit den Mitteln des geltenden Unionsrechts allerdings kaum umsetzen.
Zerschlagung immer nur letztes Mittel
Wenn sich marktbeherrschende Unternehmen missbräuchlich verhalten, erlauben die EU-Wettbewerbsregeln der Kommission zwar sogenannte strukturelle Maßnahmen, zu denen auch die Entflechtung eines Unternehmens gehören kann. Obwohl es offenkundig problematisch ist, solche Maßnahmen durchzusetzen, ist es auch nicht völlig undenkbar, sie gegenüber Unternehmen zu treffen, die nicht in der EU ansässig sind.
Aber einen Marktbeherrscher zu zerschlagen, kann nur das letzte Mittel sein. Bisher hat die Kommission eine derartige Sanktion für missbräuchliches Verhalten noch nie angeordnet. Dass es nun bei Google dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Daran kann auch die rechtlich unverbindliche Entschließung des Parlaments nicht ändern.
Kommission wirft Google missbräuchliches Verhalten vor
Bereits seit 2010 betreibt die Kommission ein Verfahren gegen Google. Sie wirft dem Konzern diverse Verstöße gegen das unionsrechtliche Verbot missbräuchlichen Verhaltens vor. Gerade der bisherige Verlauf des Verfahrens zeigt aber, dass Erwartungen wie die des Europäischen Parlaments an das EU-Wettbewerbsrecht überspannt sind.
Immer wieder hat Google versucht, sich zur Änderung beanstandeter Praktiken zu verpflichten und dadurch das Verfahren zu beenden. Noch im Februar 2014 erklärte der damalige Wettbewerbskommissar Almunia, dass es besser sei, auf Verpflichtungszusagen von Google zu setzen, zum Beispiel bei der Präsentation von Suchergebnissen, als auf ein konfrontatives Vorgehen, das viele Jahre in Anspruch nehmen würde und viele Unwägbarkeiten mit sich brächte.
Kurz vor Ende seiner Amtszeit änderte er jedoch seine Ansicht und hinterließ seiner Nachfolgerin Vestager das unabgeschlossene Verfahren. Diese äußerte sich in einer ersten Stellungnahme vor dem Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments sehr zurückhaltend zum weiteren Vorgehen.
2/2: EU kann nicht einfach gegen "Datenmacht" vorgehen
Dies tat sie zu Recht: Das EU-Wettbewerbsrecht gibt der Kommission keine Befugnis, gegen wirtschaftliche Macht oder gar "Datenmacht" als solche vorzugehen. Ihre Maßnahmen dürfen sich nur gegen konkrete Verhaltensweisen eines Unternehmens richten. Dieses muss seine beherrschende Stellung auf einem klar definierten Markt nachweislich missbrauchen, indem es Konkurrenten behindert oder die Marktgegenseite ausbeutet.
Der Begründungsaufwand für solche Maßnahmen ist hoch. Das zeigt etwa die Beschwerde, Google habe mit seinem Suchalgorithmus eigene Dienste bevorzugt und konkurrierende Dienste diskriminiert.
Hier ist es schon nicht leicht, einen wirtschaftlich schlüssigen Vorwurf zu formulieren. Verzerrt Google nämlich tatsächlich seine Suchergebnisse, würde der Suchmaschinenbetreiber damit seine Nutzer langfristig wohl eher vertreiben und sich damit selbst schädigen.
Abgesehen davon kann man der Sache kaum auf den Grund gehen, ohne den Suchalgorithmus und damit ein zentrales Betriebsgeheimnis von Google zu kennen. Hinzu kommt, dass die viel beschworene "Suchneutralität", die Google verletzt haben soll, überaus schwer dingfest zu machen ist.
Zerschlagen von Google wäre kaum verhältnismäßig
Und selbst wenn die Kommission diese und weitere Hürden erfolgreich meistern und damit auch in der gerichtlichen Überprüfung bestehen sollte, stünde am Ende wohl doch nur eine Anordnung, die Google zu einer neutraleren Anzeige konkurrierender Dienste zwingt.
Daneben könnte sie vielleicht noch eine Geldbuße von maximal 10 Prozent des Jahresumsatzes verhängen. Bei Google allerdings könnte diese im Extremfall beeindruckende Höhen erreichen, weil der Umsatz bei Google im Jahr 2013 knapp 60 Milliarden US-Dollar betrug. Eine Zerschlagung von Google wäre als wettbewerbsbehördliche Reaktion auf einen solchen Verstoß dagegen wohl kaum verhältnismäßig.
Politisches Signal, digitale Märkte zu regulieren
Es fällt schwer zu glauben, dass sich die EU-Parlamentarier dieser Grenzen eines Wettbewerbsverfahrens nach den herkömmlichen Regeln nicht bewusst waren. Die Forderung des Parlaments ist daher eher als politisches Signal zu verstehen, mit dem es Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für digitale Märkte einläuten will.
Dieses Signal ist ernst zu nehmen: Einem Bericht der Financial Times zufolge haben Deutschland und Frankreich bereits bei der Kommission interveniert. Sie wollen solche digitalen Plattformen besonderen Regelungen unterwerfen, die nach ihrer Ansicht wie Google einen "bottleneck" für den Marktzugang bilden. Diese Regulierungen könnten als eigenständiges Regime, als Sonderkartellrecht oder als Ergänzung der Telekommunikationsregulierung ausgestaltet sein. Selbst die deutsche Monopolkommission, der man sicher keine Neigung zu Markteingriffen unterstellen kann, denkt über solche neue Regeln nach.
In der Tat sorgen sich nicht ohne Grund viele um die Macht, die Unternehmen wie Google vor allem durch das Sammeln und Verknüpfen enormer Datenmengen aufbauen. Die Daten, mit deren Preisgabe der einzelne Nutzer etwa die Dienste von Google "bezahlt", sind Teil einer für ihn unüberschaubaren und unkontrollierbaren Wertschöpfungskette.
Das herkömmliche Datenschutzrecht hat hierauf ebenso wenig eine Antwort wie das Verbraucherschutzrecht und das Kartellrecht, das mit seiner Fixierung auf Marktmacht und deren Missbrauch die Macht von "big data" nicht erfassen kann.
Welche rechtlichen Regeln dieses Vakuum füllen könnten, weiß allerdings bisher niemand so recht. Der Ruf nach einer Zerschlagung von Google ist daher als rechtspolitische Forderung zumindest vorschnell. Gänzlich unangebracht wäre er, wenn man damit letztlich auf Protektionismus zugunsten der europäischen Digitalindustrie hinauswollte.
Der Autor Prof. Dr. Thomas Ackermann ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität München. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört das Kartellrecht. Außerdem ist er Mitherausgeber der "Neuen Zeitschrift für Kartellrecht" und Mitglied des "Arbeitskreises Kartellsanktionenrecht" beim Bundeskartellamt.
Prof. Dr. Thomas Ackerman, EU-Parlament zur möglichen Aufspaltung von Google: Shoot first, ask questions later? . In: Legal Tribune Online, 08.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14051/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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