Nach einer Anhörung im Bundestag haben sich Verkehrspolitiker der Ampel für eine Anhebung der Toleranzgrenze für den Cannabiskonsum im Straßenverkehr ausgesprochen. Die SPD nennt einen konkreten Wert und erntet dafür Kritik vom Hanfverband.
Eigentlich wollte das federführende Bundesgesundheitsministerium (BMG) bis zur Sommerpause dem Kabinett einen abgestimmten Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Cannabis, der u.a. den gemeinschaftlichen Anbau von berauschendem Hanf in Vereinigungen sowie den privaten Eigenanbau regelt ("Säule-1"), zur Entscheidung vorlegen.
Dass daraus nichts wird, dürfte wohl auch an der schleppenden Abstimmung bei einer Thematik liegen, für die nicht das Haus von Karl Lauterbach (SPD), sondern das von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zuständig ist: Es geht um "Cannabis im Straßenverkehr". Also u.a. um die Frage, wieviel Cannabis-Rückstände Autofahrer maximal im Blut haben dürfen, um nicht als in ihrer Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt zu gelten.
Verkehrsrechtler und Rechtsmediziner fordern hier schon seit längerem eine Anhebung des derzeitigen Grenzwertes von 1,0 Nanogramm (ng) Tetrahydrocannabinol (THC) pro ml Blutserum (ng/ml). THC gilt als die psychoaktive Substanz des Hanfs und macht den Hauptteil der berauschenden Wirkung aus. Der aktuelle Grenzwert liege so niedrig, dass er zwar den Nachweis des Cannabiskonsums ermögliche, "aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulässt", erklärten noch im August 2022 renommierte Verkehrsrechtler des 60. Deutschen Verkehrsgerichtstages. Die Situation ist fatal: Denn aktuell kann es passieren, dass jemand, der am Wochenende kifft und am Montag in eine Verkehrskontrolle gerät, nach § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) mit mindestens 500 Euro Bußgeld, Fahrverbot, Punkten in Flensburg und – wenn es ganz übel kommt – auch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen muss.
Wozu noch Wissings Arbeitsgruppe?
Dass beim THC-Grenzwert also etwas passieren muss, scheint nach anfänglicher Ablehnung ("kein Handlungsbedarf") inzwischen auch Verkehrsminister Wissing realisiert zu haben. Wie LTO berichtet hatte, soll im Bundesverkehrsministerium (BMDV) eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die den THC-Grenzwert im Rahmen des § 24a StVG "untersuchen und ermitteln" soll.
Aber ist eine solche zeitintensive, das Gesetzesvorhaben "Cannabis-Legalisierung" weiter verzögernde Beratung im BMDV überhaupt noch erforderlich?
Den erforderlichen sachverständigen Rat eingeholt haben sich die Verkehrspolitiker der Bundestagsfraktionen längst. Im Rahmen von Anhörungen in vergangenen Wahlperioden und zuletzt am Montag: In einer nicht-öffentlichen sog. "Delegationsanhörung" im Verkehrsausschuss – auf Initiative der Linken (!) - befragten die Abgeordneten ausgewiesene Verkehrsexperten, darunter auch solche der beim BMDV angesiedelten "Grenzwertkommission".
Nach dem Treffen lautete das Fazit der Vertreter der Ampel-Fraktionen einhellig: Eine Anhebung des THC-Grenzwertes ist dringend geboten. Der Verkehrsminister müsse einen entsprechenden Vorschlag im Rahmen des Legalisierungsvorhabens beisteuern.
"Niemand soll im Rausch Autofahren dürfen"
Swantje Michaelsen, die Berichterstatterin im Verkehrsausschuss für das Thema Verkehrssicherheit von Bündnis 90/Die Grünen, bewertete die Runde hinter verschlossenen Türen mit den Experten als äußerst hilfreich: "Hier hat sich nochmal eindeutig bestätigt, dass spätestens im Zuge der Legalisierung auch die Regelungen für den Straßenverkehr angepasst werden müssen. Selbstverständlich soll niemand im Rausch Auto fahren dürfen. Mit der aktuellen Regelung wird aber Cannabis-Konsum auch dann mit Führerscheinentzug und kostenschweren Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen (MPU) bestraft, wenn keinerlei Wirkung vorliegt oder Menschen lediglich Cannabis bei sich führen", so die Abgeordnete gegenüber LTO. Deswegen, so Michaelsen, müsse das BMDV nun eine Überarbeitung der Grenzwerte und Regelungen vorlegen. "Diese muss Verkehrssicherheit als oberstes Ziel haben und deshalb an der Überprüfung der Fahrtauglichkeit ausgerichtet werden. Ansonsten werden wir das, wenn nötig, im parlamentarischen Verfahren in der Ampel klären."
Ähnlich reagiert auch Wissings Parteifreund, der Verkehrspolitiker Jürgen Lenders. "Der derzeitige THC-Grenzwert ist de facto ein Null-Grenzwert. Das ist nicht verhältnismäßig zu den Auswirkungen wie Führerscheinverlust oder einer MPU", so Lenders. Eine Anhebung des derzeitigen Grenzwertes von 1,0 ng/ml THC im Blutserum halte er im Bereich der Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit einer Legalisierung für verhältnismäßig. "Die Anhörung hat diese Position bestärkt", so der FDP-Mann.
SPD für Anhebung auf 3,0 ng/ml
Auf welche präzise Höhe der THC-Wert nunmehr angehoben werden müsse, dazu wollten sich Grüne und FDP nicht festlegen. Konkret wurde nur Mathias Stein, der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Verkehrssicherheit und Verkehrsrecht. Er sagte zu LTO: Ich fordere (…) zeitgleich mit der Freigabe von Cannabis, Rechtssicherheit zu schaffen und einen Grenzwert für die Teilnahme am Straßenverkehr gesetzlich zu verankern. Wir als AG Verkehr der SPD-Bundestagsfraktion schlagen dafür – in Anlehnung an einen Vorschlag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) – einen Grenzwert von 3,0ng THC/ ml Blutserum vor." Nach den Ausführungen der Sachverständigen, so Stein, würden dadurch keinerlei Gefahren für die Verkehrssicherheit geschaffen, da eine berauschte Teilnahme am Straßenverkehr weiterhin unter Strafe steht."
In der Fraktion der Linken erfährt dieser Vorschlag im Grundsatz Zustimmung. Ihr drogenpolitischer Sprecher Ates Gürpinar, der ebenfalls an der Anhörung teilnahm, resümierte im Gespräch mit LTO: "Auch wenn – anders als beim Alkohol – die exakte wissenschaftliche Bestimmung schwierig ist, wann im Einzelfall nach Cannabis-Konsum die Verkehrssicherheit gefährdet ist, hat sich jedenfalls der aktuell angewandte Grenzwert von 1,0 ng THC pro ml Blutserum nach Auffassung der meisten Experten als zu niedrig erwiesen. Er ermöglicht zwar den Nachweis des Cannabiskonsums, nicht aber einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung."
Für Gürpinar steht daher außer Frage: "Als Linke erwarten wir, dass Verkehrsminister Wissing nun zeitnah seinen Beitrag für das überfällige Legalisierungsvorhaben leistet und den THC-Grenzwert angemessen erhöht. Es wäre nicht stringent, auf der einen Seite den Cannabis-Besitz zu entkriminalisieren, auf der anderen Seite Autofahrern, die nicht berauscht im Straßenverkehr unterwegs sind, weiter mit hohen Bußgeldern oder Führerscheinentzug zu drohen."
Union will 1,0 ng/ml-Grenzwert beibehalten
Ganz anders wahrgenommen als die Politiker hat unterdessen die AfD die Anhörung vom Montag: Aus verkehrspolitischer Sicht sei die Legalisierung von Cannabis unverantwortlich. "Die Stellungnahmen der Experten bestätigen die Position der AfD-Fraktion", erklärte ihr Verkehrspolitiker Dirk Brandes. Anders als bei Alkohol existiere bei Cannabis keine einfache Konzentrations-Wirkbeziehung, so Brandes. "Kontrollierbare Wechselwirkungen mit Medikamenten und Alkohol sind weitgehend unerforscht." Was einen konkreten Grenzwert anbelange, so habe er den Aussagen den "kritischeren" Sachverständigen in der Anhörung entnommen, dass allenfalls unter einem Wert von 2,0 ng/ml keine Gefahr mehr für die Verkehrssicherheit drohe. Als Fazit bleibt laut Brandes: "Berauschende Mittel haben im Straßenverkehr nichts zu suchen."
Während sich die AfD somit offenbar zumindest eine Anhebung auf 2,0 nl/ml vorstellen kann, soll nach dem Willen der Union alles so bleiben wie bisher: "Die Delegiertenanhörung hat uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Beibehaltung des THC-Grenzwertes von 1,0 ng/ml bestätigt", erläutert der für die Verkehrssicherheit zuständige Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Florian Müller MdB gegenüber LTO. Der CDU-MdB warnte davor, politische Entscheidungen über wissenschaftliche Erkenntnisse stellen. In der Anhörung sei klargestellt worden, dass es sich bei dem 1,0 ngml -Wert um einen Gefahrengrenzwert handele, der dazu diene, Leistungseinbußen zu bestimmen und Sicherheitsrisiken auszuschließen. "Für die aktive Gefahrenabwehr und das Festhalten am Ziel der Vision Zero muss jedes Sicherheitsrisiko ausgeschlossen werden“, so der CDU-Mann.
Hanfverband verweist auf Kanada
Beim Hanfverband, der die Interessen der Cannabis-Konsumenten vertritt, hofft man unterdessen, dass der SPD-Vorschlag nicht das letzte Wort ist: "3,0 ng/ml als einziger Grenzwert wäre eine minimale, mutlose Lösung, die im internationalen Vergleich immer noch recht repressiv wäre und immer noch dazu führen würde, dass einigen nüchternen Fahrern eine Drogenfahrt unterstellt würde", kritisierte Hanfverband-Geschäftsführer Georg Wurth. Da klar sei, dass es den einen, wissenschaftlich eindeutig definierbaren Grenzwert nicht gebe, unterhalb dessen eine Wirkung ausgeschlossen und oberhalb dessen jeder Fahrer berauscht sei, plädierte Wurth dafür, sich ein Beispiel an Kanada zu nehmen.
Dort hatte man im Zuge der Legalisierung 2018 zwei Grenzwerte eingeführt: 4 ng/ml und 10 ng/ml Blutserum. Unterhalb von 4 ng THC im Blutserum werde nicht von einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit ausgegangen, so Wurth. Und erst ab 10 ng könne eine Fahrt auch ohne Ausfallerscheinungen geahndet werden, weil dann von einem zeitnahen Konsum vor der Fahrt ausgegangen werde.
Ob sich nun das BMDV von den Ergebnissen der Bundestagsanhörung beeindrucken lässt, bleibt abzuwarten. Antworten auf eine entsprechende Anfrage von LTO kündigte das Ministerium zwar am Dienstag an, bis zum Erscheinen des Artikels blieben diese jedoch aus. Auch das BMG wollte sich zum weiteren Zeitplan des Cannabisgesetzes nicht äußern. Der Arbeitsentwurf werde zurzeit regierungsintern beraten. "Einen konkreten Zeitplan kann ich Ihnen daher nicht nennen", so ein Sprecher. Einen Bericht des Spiegel, wonach das Gesetz "bis Mitte August" dem Kabinett vorgelegt werden soll, bestätigte das BMG nicht.
Nicht-öffentliche Anhörung zu Cannabis im Verkehrsausschuss: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52153 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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