Ein katholischer Professor wollte der Kirche als Körperschaft den Rücken kehren, ohne die Glaubensgemeinschaft zu verlassen. Hätte er damit Erfolg gehabt, wäre das System der Kirchensteuer ins Wanken geraten. Doch vor dem BVerwG ist er nun gescheitert. Thomas Traub findet das Urteil richtig, selbst wenn man die Kirchensteuer für falsch hält.
Die Idee hätte sich zum Erfolgsmodell entwickeln können. Der austrittswillige Katholik, ein emeritierter Kirchenrechtler, hatte bei seiner Erklärung vor dem Standesamt großen Wert darauf gelegt, dass es ihm nur um den Austritt aus der Kirche als Körperschaft ging, ohne dass dadurch seine Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft berührt werden sollte. Das Standesamt hatte seine Austrittserklärung akzeptiert, dagegen hatte das Erzbistum Freiburg geklagt.
Bei einem gerichtlichen Erfolg hätte der Professor einen höchst attraktiven Status erhalten: Eine vollwertige Mitgliedschaft in der katholischen Kirche ohne die Pflicht zur Zahlung von Kirchensteuern. Die Idee hätte sicherlich viele Nachahmer gefunden und im Ergebnis das gesamte System der Kirchenfinanzierung durch Erhebung von Kirchensteuern in Frage stellen können.
Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht es aber nicht kommen lassen: Keine Kirchenmitgliedschaft ohne Kirchensteuer, einen isolierten Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts gibt es nicht, entschieden die Leipziger Richter am Mittwoch (BVerwG, Urt. v. 26.09.2012, Az. BVerwG 6 C 7.12)
Der feine Unterschied: Kirchliches und staatliches Recht
Die spitzfindige Unterscheidung ergibt sich aus den beiden Aspekten der Mitgliedschaft in der katholischen Kirche. Sie unterliegt staatlichem und kirchlichem Recht.
Nach kirchlichem Recht kann man aus der katholischen Kirche gar nicht austreten. Wer einmal katholisch ist, ist immer katholisch, jeder Katholik hat durch die Taufe ein "untilgbares Prägemal" erhalten.
Daher gibt es weder einen Austritt noch einen Ausschluss aus der katholischen Kirche. Auch durch eine Exkommunikation erlischt die Mitgliedschaft in der Kirche nicht, nur die Rechte des betroffenen Gläubigen werden beschränkt.
Die Kirchenmitgliedschaft und ihre staatlichen Folgen
Dieses Selbstverständnis der katholischen Kirche führt im religiös neutralen Staat des Grundgesetzes (GG) dann zu Problemen, wenn mit der Mitgliedschaft in der Kirche auch Rechtsfolgen im staatlichen Bereich verbunden sind. Wichtigstes Beispiel dafür ist die Pflicht zur Zahlung von Kirchensteuern, die in den Kirchensteuergesetzen der Länder geregelt ist. Aber auch für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen oder die Krankenhausseelsorge ist die Mitgliedschaft in der Kirche bedeutsam.
Das Grundrecht der Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantiert auch die negative Seite der Religionsfreiheit, also das Recht, keinen Glauben zu haben und einer Religionsgemeinschaft fernzubleiben oder sie zu verlassen.
Diesen Aspekt der grundrechtlichen Glaubensfreiheit sichern die staatlichen Kirchensteuer- bzw. Kirchenaustrittsgesetze. Sie regeln die Möglichkeit eines Kirchenaustritts. Mit dessen Wirksamkeit entfallen für den Bereich des staatlichen Rechts die Rechte und Pflichten, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zur Kirche beruhen, insbesondere die Kirchensteuerpflicht.
Dekret der deutschen Bischöfe über Austrittskonsequenzen
Die innerkirchlichen Konsequenzen dagegen ergeben sich allein aus kirchlichem Recht. Auch wenn der Kirchenaustritt danach nicht zum Ausschluss aus der Kirche führt, bleibt er nicht ohne Folgen.
Diese hat die Deutsche Bischofskonferenz erst vor wenigen Tagen durch ein Dekret in Abstimmung mit dem Vatikan geregelt. Sie interpretiert die Austrittserklärung als willentliche und wissentliche Distanzierung von und schwere Verfehlung gegenüber der Kirche.
Wer austritt, darf daher die Sakramente nicht empfangen. Er darf keine kirchlichen Ämter bekleiden und die Mitgliedschaft in Pfarrgemeinderat oder Kirchenvorstand erlischt. Kirchliche Mitarbeiter treffen dienstrechtliche Konsequenzen, bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Zugleich lädt die Kirche alle ausgetretenen Gläubigen zu einem Gespräch mit dem Ziel einer Versöhnung mit der Kirche ein.
Seite 2/2: Die Idee: Zwei strikt getrennte Kirchenmitgliedschaften
Diese Konsequenzen könnten austrittswillige Katholiken möglicherweise vermeiden, wenn es zwei strikt getrennte, voneinander unabhängige Kirchenmitgliedschaften gäbe: Eine Mitgliedschaft nach staatlichem Recht in der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Und eine andere Mitgliedschaft nach kirchlichem Recht in der Gemeinschaft der Christgläubigen, dem Volk Gottes.
Der Kirchenaustritt vor der staatlichen Behörde würde dann nur die Mitgliedschaft in der Körperschaft, dem Kirchensteuerverband beenden. Die Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft bliebe unbeeinträchtigt, die aus ihr folgenden Rechte könnten nicht eingeschränkt werden.
BVerwG: Kein isolierter Kirchensteueraustritt
Dieser Idee hat das BVerwG aber einen Riegel vorgeschoben. Die Erklärung des Austrittswilligen müsse sich eindeutig auf seine Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft beziehen und den Wunsch zum Ausdruck bringen, die Zugehörigkeit zu ihr zu beenden, entschied der 6. Senat am Mittwoch.
Eine Erklärung mit dem Willen, nur die mit der Kirchenmitgliedschaft verbundenen Wirkungen im staatlichen Bereich zu beseitigen, in der Glaubensgemeinschaft selbst aber zu verbleiben, sei unzulässig, so die Leipziger Richter.
Ihre Begründung ist überzeugend: Wer freiwillig Mitglied der Glaubensgemeinschaft bleiben will, übt seine negative Religionsfreiheit gerade nicht aus. Daher muss er auch nicht vom Staat vor den Pflichten geschützt werden, die aus der Mitgliedschaft folgen.
Austrittserklärung muss eindeutig sein
Dementsprechend sind nach den einschlägigen Gesetzen der Länder Vorbehalte, Bedingungen oder Zusätze der Austrittserklärung unzulässig. Gerade wegen der schwer zu überblickenden Gemengelage von staatskirchenrechtlichem und innerkirchlichem Recht darf der Staat im Interesse klarer rechtlicher Verhältnisse und um Irrtümer und Streitigkeiten über den Umfang der Rechtsfolgen zu vermeiden, eine unmissverständliche Erklärung verlangen (BVerwG, Urt. v. 23.2.1979, Az. 7 C 37/78).
In einem Punkt allerdings sind die Richter in Leipzig am Mittwoch der Kirche nicht gefolgt. In dem konkreten Fall hatte der austrittswillige Hochschullehrer zwar gegenüber Dritten, in öffentlichen Stellungnahmen und wissenschaftlichen Aufsätzen seine Motive und seine Vorstellungen über einen modifizierten Kirchenaustritt ohne innerkirchliche Konsequenzen erläutert.
In der Austrittserklärung gegenüber dem Standesamt hatte er aber lediglich hinter der Angabe "römisch-katholisch" die Worte "Körperschaft des öffentlichen Rechts" ergänzt. Diese Formulierung sieht das BVerwG – anders als die Vorinstanz – nicht als einen unzulässigen Zusatz an. Der Austritt ist also nach staatlichem Recht wirksam.
Der Kirche, was der Kirche gebührt
Damit hat das Gericht den Ball dahin zurückgespielt, wo er hin gehört: in die Gremien der katholischen Kirche. Es muss ihr überlassen bleiben, welche Folgerungen sie für ihren Bereich aus der Austrittserklärung zieht.
Man kann die Konsequenzen, die das aktuelle Dekret der deutschen Bischöfe mit einem Kirchenaustritt verbindet und die denen einer Exkommunikation praktisch gleichkommen, aus theologischen Gründen für unverhältnismäßig streng halten. Man mag auch mit guten pastoralen Argumenten das System der Kirchensteuer kritisieren und der Kirche empfehlen, nach Alternativen zu dieser durch das Grundgesetz garantierten Möglichkeit der Finanzierung zu suchen.
All dies aber muss die Kirche wegen ihres verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts autonom entscheiden dürfen. Das BVerwG hat offenbar die Gefahr erkannt, in einer innerkirchlichen Diskussion instrumentalisiert zu werden. Der Versuchung, sich in innerkirchliche Angelegenheiten einzumischen, haben die Leipziger Richter widerstanden.
Thomas Traub ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln.
Thomas Traub, BVerwG zum Kirchenaustritt: Befreiung von der Kirchensteuer nur ohne Wenn und Aber . In: Legal Tribune Online, 27.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7191/ (abgerufen am: 10.06.2023 )
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