Nicht jeder findet gleich nach der Schule einen Ausbildungsplatz. Vor allem wenn das Zeugnis schlecht ist. Eltern müssen daher auch dann für eine Ausbildung aufkommen, wenn zwischen Schule und Ausbildung drei Jahre Jobs und Praktika liegen, so der BGH. Die Entscheidung wäre wohl anders ausgefallen, wenn die Klägerin auf einer Selbstfindungs-Reise gewesen wäre, meint Herbert Grziwotz.
Note 3,6 stand am Ende auf ihrem Realschul-Zeugnis. Ein Ausbildungsplatz war damit nicht zu ergattern. Es hieß also, sich von Job zu Job zu hangeln und Praktika zu machen, immer wieder auch in der Hoffnung, sich damit die Chance auf einen Ausbildungsplatz zu erarbeiten.
Bei der heute 24-Jährigen hat es geklappt: Sie bekam einen Ausbildungsplatz als Fleischereifachverkäuferin. Allerdings erst nach drei Jahren. Von ihrem Vater wollte sie während der Ausbildungszeit Unterhalt in Höhe von monatlich 218,82 Euro haben, was dieser ihr aber verweigerte. Bis zum Bundesgerichtshof (BGH) stritten Vater und Tochter. Am Ende gaben die Karlsruher Richter der Frau Recht.
Keine starren zeitlichen Grenzen
Eltern schulden ihrem Kind Unterhalt nach § 1610 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), auch für eine Berufsausbildung. Das Kind soll damit in die Lage versetzt werden, eine seiner Begabung entsprechende Ausbildung zu absolvieren, die es ihm ermöglicht, später eigenständig seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Die gewählte Ausbildung muss daher nicht nur den Fähigkeiten und Neigungen des Kindes entsprechen, sondern auch die Perspektive bieten, später davon leben zu können. Eltern schulden außerdem nur soweit Unterhalt, wie dies mit ihren wirtschaftlichen Verhältnissen vereinbar ist.
Umgekehrt hat das Kind die Pflicht, nach einer angemessenen, an seinem Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen ausgerichteten Orientierungsphase eine solche Ausbildung aufzunehmen und diese zielstrebig anzugehen. Der Anspruch des Kindes und Finanzierungspflicht der Eltern sind von Gegenseitigkeit geprägt.
Verzögert das Kind den Beginn einer Ausbildung, verliert es deshalb den Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern. Es muss seinen Lebensunterhalt dann selbst verdienen (BGH, Urt. v. 14.03.2001, Az. XII ZR 81/99). Eine gewisse Orientierungsphase zwischen Schule und Ausbildung wird Kindern aber zugestanden. Dabei gibt es allerdings keine starren zeitlichen Grenzen, wie lange diese dauern darf. Es kommt eher darauf an, was das Kind in der Zeit tut.
Jobs und Praktika können Chancen auf Ausbildungsplatz verbessern
Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen benötigen für ihre berufliche Orientierung mitunter länger als ihre Altersgenossen. Dies gilt vor allem für Scheidungskinder. Auch Bewerber mit schwachen Schulzeugnissen sind verstärkt darauf angewiesen, sich durch Jobs und Praktika eine Ausbildungsstelle zu erarbeiten. Mit solchen vorgelagerten Beschäftigungsverhältnissen verletzt das Kind nach Ansicht der Karlsruher Richter seine Obliegenheiten gegenüber den Eltern dann nicht nachhaltig, wenn es stets darum geht, später einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Dies war im aktuellen Fall vor dem BGH gegeben (Beschl. v. 03.07.2013, Az. XII ZB 220/12).
Lässt die Lebensgestaltung des Kindes nach dem Schulabschluss dagegen keinerlei Bezug zu einer späteren Ausbildung erkennen, geht der Unterhaltsanspruch gegen die Eltern verloren. Etwa bei einem Urlaub zur "Selbstfindung". Anders ist dies bei einem freiwilligen sozialen Jahr mit anschließender Schwangerschaft und Betreuung des Kindes (BGH, Urt. v. 29.06.2011, Az. XII ZR 127/09).
Hat das Kind keinen Ausbildungsplatz gefunden und nimmt es stattdessen an einem berufsvorbereitenden Lehrgang oder einem Berufsgrundschuljahr teil, steht ihm ein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern zu. Beides erhöht nämlich die Chancen auf deinen Ausbildungsplatz (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschl. v. 06.12.2000, Az. 8 WF 218/00).
2/2: Eltern müssen Studiengangwechsel hinnehmen
Kinder haben grundsätzlich die Obliegenheit, die Ausbildung mit gehörigem Fleiß und gebotener Zielstrebigkeit zu betreiben, um sie innerhalb angemessener und üblicher Dauer zu beenden und sich danach selbst zu finanzieren. Kinder sollen nicht ewig den Eltern auf der Tasche liegen.
Allerdings gibt es häufig Fälle, in denen Abweichungen vom regelmäßigen Ausbildungsablauf eintreten. Ein Bummelstudium müssen die Eltern nicht finanzieren. Sie können deshalb auch ihr bereits erwachsenes Kind kontrollieren. Dies muss auf Verlangen Studienbescheinigungen, Zeugnisse über Zwischenprüfungen oder ähnliche Belege vorlegen. Verweigert sich das Kind dem, können die Eltern den Unterhalt zurückbehalten.
Einen Studiengangwechsel müssen die Eltern hinnehmen, wenn er auf sachlichen Gründen beruht und ihnen die Verlängerung der Ausbildungszeit wirtschaftlich zumutbar ist. Auch insoweit ist eine Orientierungsphase zu akzeptieren, die bei einer universitären Ausbildung ca. zwei bis drei Semester dauert. Entscheidet sich das Kind erst später für einen Wechsel, ist es auf das Einvernehmen der Eltern angewiesen, sofern nicht besondere Gründe vorliegen, wie gesundheitliche Probleme.
Für Promotion müssen Eltern meist nicht zahlen
Im Normalfall kann das Kind nur verlangen, dass ihm die Ausbildung in einem Beruf finanziert wird. Eltern sind nicht verpflichtet, die Kosten einer zweiten Ausbildung zu tragen (BGH, Urt. v. 17.05.2006, Az. XII ZR 54/04). Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung in Fällen, in denen ein Berufswechsel notwendig ist. Beruht die erste Ausbildung etwa auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes durch die Eltern, kann es eine Zweitausbildung verlangen.
Schließlich ist eine Zweitausbildung zu finanzieren, wenn sich ein Kind zunächst für einen Beruf entscheidet, der weder seiner Begabung noch seinen Interessen entspricht, weil die Eltern sich geweigert haben, die Ausbildung für den Wunschberuf zu finanzieren.
Eine Promotion zählt regelmäßig nicht mehr zu einer Berufsausbildung, die die Eltern finanzieren müssen, da der Erwerb eines Doktortitels eine Ausbildung nicht beendet, sondern häufig erst danach erfolgt. Anders ist dies, wenn in dem gewünschten Beruf ein nicht promovierter Bewerber in der Regel einen promovierten Konkurrenten unterlegen ist und Bemühungen, im gewählten Berufsfeld Fuß zu fassen, mangels Doktor von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Bei Juristen ist das nicht so, da bereits das Zweite Staatsexamen den Zugang zu allen klassischen juristischen Berufen eröffnet (Oberverwaltungsgericht Bautzen, Beschl. v. 31.03.2010, Az. 2 D 20/10).
Während früher eine Lehre spätestens mit 14 Jahren begonnen und ein Studium in der Regel mit 23 Jahren abgeschlossen wurde, dauern Ausbildungen heute länger. Irgendwann kehrt sich die Situation aber um und die Kinder müssen für ihre alten Eltern sorgen. Durch die Verlängerung der Ausbildung und die demographische Entwicklung wird die Familie zunehmend immer mehr zu einer wechselseitigen lebenslangen Unterhaltsinstitution. Die Frage der Eltern, "Kind, wie lange brauchst du noch für deine Ausbildung?", wird von der Frage der Kinder abgelöst, "Mutter, wie lange willst du noch leben?".
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
Herbert Grziwotz, BGH zum Ausbildungsunterhalt: "Kind, wie lange brauchst du noch?" . In: Legal Tribune Online, 04.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9075/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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