Wer krank ist, muss nicht arbeiten. Aber muss er, gerade bei längerer Erkrankung, zu Personalgesprächen erscheinen? Nein, entschied das BAG heute – und auch ein gesondertes Attest ist nicht notwendig. Michael Fuhlrott erläutert die Entscheidung.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war am Mittwoch aufgerufen, sich zur Reichweite des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts zu äußern (Urt. v. 02.11.2016, Az. 10 AZR 596/15). Konkret ging es um die Frage, ob ein Arbeitnehmer während bestehender Arbeitsunfähigkeit einer Aufforderung zur Teilnahme an einem Personalgespräch nachkommen muss oder mit Verweis auf die bestehende Krankheit zuhause bleiben kann.
Hierüber stritt sich der Arbeitgeber mit dem bei ihm ursprünglich als Krankenpfleger eingestellten, nach einem Arbeitsunfall vorübergehend als Dokumentationsassistent beschäftigten Arbeitnehmer. Als dieser mehrwöchig erkrankte, bestellte der Arbeitgeber ihn zum Personalgespräch ein, um die künftigen Einsatzmöglichkeiten zu besprechen. Der Arbeitnehmer lehnte dies unter Verweis auf die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit ab. Der Arbeitgeber forderte daraufhin die Vorlage eines weiteren ärztlichen Attests, wonach der Arbeitnehmer auch nicht zur Führung eines Personalgesprächs in der Lage sei. Dies lehnte der Arbeitnehmer ab und nahm auch an weiteren angesetzten Terminen zur Führung eines Personalgesprächs nicht teil. Der Arbeitgeber sprach daraufhin eine Abmahnung aus. Zu Unrecht, wie das BAG nunmehr entschied.
Personalgespräch ist nicht gleich Personalgespräch
Ob eine Pflicht zur Teilnahme an Personalgesprächen grundsätzlich besteht, ist zunächst unabhängig vom Bestehen einer Krankheit zu beurteilen. Aufgrund des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gem. § 106 Gewerbeordnung (GewO) ist dem Arbeitgeber in gesetzlichen, vertraglichen und kollektivrechtlichen Grenzen die nähere Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses vorbehalten. Hierunter fällt auch das Recht des Arbeitgebers, mit dem Arbeitnehmer Gespräche über die Erbringung und Qualität der Arbeitsleistung zu führen oder ihn z.B. über bestehende Versetzungen sowie neue Aufgaben zu informieren. An solchen Gesprächen muss der Arbeitnehmer teilnehmen (BAG, Urt. v. 23.06.2009, Az. 2 AZR 606/08). Widersetzt sich der Arbeitnehmer, handelt er sich schnell den Vorwurf einer Arbeitsverweigerung ein, was der Arbeitgeber wiederum sanktionieren kann. Es drohen dann Abmahnung oder sogar Kündigung.
Keine Pflicht zur Teilnahme besteht hingegen, wenn der Arbeitgeber in dem Personalgespräch eine Veränderung des Arbeitsvertrags an sich herbeiführen möchte. Will der Arbeitgeber also ein Gespräch über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, den Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder sonstige Modifikationen der arbeitsvertraglich fixierten Inhalte vornehmen, darf der Arbeitnehmer sanktionslos die Gesprächsteilnahme verweigern.
Arbeitsunfähigkeit wiegt höher als Rücksichtnahmepflicht
In dem vom BAG entschiedenen Fall ging es dem Arbeitgeber um die Erörterung möglicher Einsatzmöglichkeiten nach Ablauf des befristeten Einsatzes des Arbeitnehmers als Dokumentationsassistent. Eine Änderung der arbeitsvertraglichen Inhalte war nicht beabsichtigt. In einem "gesunden" Arbeitsverhältnis hätte der Arbeitnehmer also der Anweisung zur Teilnahme an diesem Gespräch Folge leisten müssen.
Anderes gilt aber, wenn der Arbeitnehmer erkrankt ist. Dann besteht weder eine Verpflichtung zur Führung eines Personalgesprächs im Betrieb, noch darf der Arbeitgeber ein entsprechend konkretisiertes Attest verlangen, geschweige denn den Arbeitnehmer bei Weigerung abmahnen. Wer krank ist, ist krank – und darf der Arbeit und damit auch Personalgesprächen fernbleiben. Da der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen brauche, müsse er auch nicht im Betrieb erscheinen oder sonstige Nebenpflichten gegenüber dem Arbeitgeber erfüllen, so die Erfurter Richter.
2/2: Kein "Kontaktverbot" des Arbeitgebers
Ein generelles Kontaktverbot des Arbeitgebers besteht aber nicht. So darf dieser z.B. auch in Zeiten der Arbeitsunfähigkeit mit dem erkrankten Arbeitnehmer in "einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt treten", um mit ihm im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu besprechen. Dies soll aber nur gelten, wenn der Arbeitgeber hieran ein berechtigtes Interesse hat. Wann dies der Fall ist, lässt sich der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung des Gerichts nicht entnehmen.
Es spricht viel dafür, dass ein solches Interesse dann besteht, wenn z.B. die Einsatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers nach Ablauf der Erkrankung unklar sind und einer Besprechung bedürfen. Besteht also die Möglichkeit, dass auch nach Gesundung gesundheitliche Einschränkungen bestehen, die eine Änderung des Arbeitsumfelds oder eine Versetzung notwendig machen, wird der Arbeitgeber nachfragen dürfen. Gleiches könnte auch bei Zeitarbeitsfirmen gelten, die einen erkrankten Leiharbeitnehmer kontaktieren müssen, um zu erfahren, ob dieser für die Ausübung eines vorgesehenen Einsatzes die notwendige Qualifikation oder Erfahrungen aufweist.
Recht zum "Zuhause bleiben"
Selbst dann muss der Arbeitnehmer aber nicht im Betrieb erscheinen, solange dies nicht ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unerlässlich und der Arbeitnehmer gesundheitlich dazu in der Lage ist. Ein Telefonanruf beim Arbeitnehmer dürfte daher in den meisten Fällen genügen. Zu dem Telefonat muss der Arbeitnehmer sich sodann bereit erklären.
Im vorliegenden Fall erkannte das BAG allerdings kein solches berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an. Der klagende Arbeitnehmer durfte daher ungestraft zuhause bleiben, um sich auszukurieren. Mit ihrer Entscheidung schlossen die Erfurter Richter sich den Vorinstanzen an: Bereits das Arbeitsgericht hatte dem Kläger in vollem Umfang Recht gegeben, das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urt. v. 17.07.2015, Az. 6 Sa 2276/14) sah jedenfalls die ausgesprochene Abmahnung als unrechtmäßig an. Das Urteil liegt damit auf der bisherigen Linie vereinzelter landesarbeitsgerichtlicher Entscheidungen. Bereits das LAG Nürnberg (Urt. v. 01.09.2015, 7 Sa 592/14) hatte in einem ähnlichen Fall eine Pflicht zur Führung eines Personalgesprächs während bestehender Arbeitsunfähigkeit vergangenes Jahr abgelehnt.
Maßvoller Umgang mit Personalgesprächen
Nicht jedes Gespräch während der Krankheit ist schlechthin abträglich für die Gesundung. So ist ein Arbeitgeber ausdrücklich gem. § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX dazu aufgefordert, bei mehr als sechswöchiger ununterbrochener Erkrankung oder sich wiederholender Arbeitsunfähigkeit im Jahr ein Gespräch zur betrieblichen Eingliederung zu führen. Nimmt der langzeiterkrankte Arbeitnehmer an einem solchen Gespräch nicht teil, kann dies nachteilige Wirkungen bei einer späteren krankheitsbedingten Kündigung zur Folge haben.
Handelt es sich hingegen um "reine" Personalgespräche, sollten Arbeitgeber diese in Zeiten der Erkrankung maßvoll anwenden und grundsätzlich bis zur Rückkehr des Arbeitnehmers warten. Eine Aufforderung zum Gespräch oder "Personaltelefonat" sollte nur dann erfolgen, wenn dies aus betrieblichen Gründen notwendig ist. Dem Krankheitsbild des Arbeitnehmers kommt in diesem Zusammenhang natürlich hohe Bedeutung zu – und auch seine Position und Verantwortung im Unternehmen wird man bei der Abwägung nicht unberücksichtigt lassen können.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg.
Michael Fuhlrott, Pflicht zum Personalgespräch: Krank ist krank – auch für Personalgespräche . In: Legal Tribune Online, 02.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21039/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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