Heute sollten die Plädoyers im NSU-Prozess beginnen. Anträge der Verteidigung verhindern dies zunächst. Außerdem in der Presseschau: Bayern verschärft die Überwachung von Gefährdern und Polen diskutiert weiter über die Justizreform.
Thema des Tages
NSU-Prozess: Es war vorgesehen, dass am 374. Verhandlungstag im Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. die Anklage mit ihren Plädoyers beginnt. Dazu kommt es aber nicht. Zu Beginn des gestrigen Prozesstages stellte die Verteidigung den Antrag, die mit 22 Stunden Dauer angekündigten Anklageplädoyers aufzuzeichnen. Das wurde durch den Vorsitzenden Richter mit der Begründung abgelehnt, dass dies die Persönlichkeitsrechte der Ankläger verletzen würde. Der Prozess wurde zur Klärung der Frage bis zum kommenden Dienstag vertagt. Unter anderem die taz (Patrick Guyton) und Tsp (Frank Jansen) berichten. Die SZ (Annette Ramelsberger) stellt die Argumente und die Gegenargumente eines möglichen Anspruches auf Aufzeichnung zusammen
Rechtspolitik
Gefährderüberwachung in Bayern: Der Bayerische Landtag hat ein Gesetz zur Überwachung von gefährlichen Personen beschlossen. Unter anderem ist darin vorgesehen, dass sogenannte Gefährder künftig bis zu drei Monate präventiv in Gewahrsam genommen werden dürfen, berichten die SZ (Lisa Schnell) und die taz (Dominik Baur). Nach Ablauf der drei Monate muss die Haft von einem Richter überprüft werden. Außerdem dürfen Gefährder zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verpflichtet werden.
Für Heribert Prantl (SZ) ist das neue Gesetz eine "Schande für einen Rechtsstaat". Bisher habe in Bayern eine Vorbeugehaft mit 14 Tagen bereits länger dauern können als in allen anderen Bundesländern, künftig werde es gar keine Höchstfrist mehr geben, kritisiert er. Die CSU sollte sich schämen; die Opposition, deren Aufstand nicht einmal ein Sturm im Wasserglas gewesen sei, auch, so Prantl. Dominic Baur (taz) meint in seinem Kommentar, dass es zweifelhaft sei, ob das Gesetz zur tatsächlichen Gefahrenabwehr tauge. Einen Anis Amri hätte man auch ohne das Gesetz aus dem Verkehr ziehen können, dem Amokläufer von München wäre man auch mit ihm nicht auf die Spur gekommen.
Sexualstrafrecht: Die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eingesetzte Reformkommission zum Sexualstrafrecht hat am Mittwoch ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Kommission war 2015, also vor den jüngsten Änderungen im Sexualstrafrecht, gebildet worden. Wie lto.de berichtet wurde daher auch kritisiert, dass die Ergebnisse nicht abgewartet wurden. Auch die FAZ (Eckart Lohse) widmet sich dem Kommissionsbericht. Das Sexualstrafrecht müsse noch weiterentwickelt werden, heißt es in dem Artikel als Resümee der Kommission. So wird empfohlen, den § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) zu streichen, weil es sich lediglich um "symbolisches" Strafrecht handele.
Staatstrojaner: Dennis-Kenji Kipker und Vincent Mittag (verfassungsblog.de) vom Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht der Universität Bremen untersuchen die Frage, mit welchen verfassungsrechtlichen Instrumentarien der beschlossene Einsatz von Staatstrojanern angegriffen werden kann. Allerdings dürfte es trotz verfassungsrechtlicher Bedenken der Opposition sowie der grundrechtlichen Eingriffsintensität dieser Maßnahmen noch einige Zeit dauern, bis die Regelungen auf den verfassungsgerichtlichen Prüfstand kommen werden.
Parteienfinanzierung: Was die Gesetzesänderung zur Parteienfinanzierung, nach der künftig verfassungsfeindlichen Parteien Gelder gekürzt werden können, in der Praxis für den Umgang mit der NPD bedeutet, beleuchtet die FAZ (Timo Steppat).
Justiz
BVerfG zum Informationsanspruch bei V-Leuten: lto.de (Tanja Podolski) befasst sich jetzt auch mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Informationsanspruch zum Einsatz von V-Leuten. Die Karlsruher Richter hatten in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss befunden, dass die Bundesregierung Auskünfte zum Einsatz von V-Leuten im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat von 1980 teilweise zu Unrecht verweigert hatte. Zwar gestanden die Karlsruher Richter der Bundesregierung grundsätzlich ein Geheimhaltungsinteresse beim Einsatz von V-Leuten zu, hier lägen aber die entscheidenden Ereignisse bereits so lange zurück, dass das Informationsinteresse des Bundestages in einigen der angefragten Sachverhalte überwiege. Im Übrigen müsse die Bundesregierung eine Auskunftsverweigerung hinreichend begründen. So könne der Bundestag beurteilen und entscheiden, ob er die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder weitere Schritte unternimmt, um sein Auskunftsverlangen durchzusetzen.
OVG Rheinland-Pfalz zur Abschiebung trotz Ausbildung: Auch bei einem bestehenden Ausbildungsverhältnis kann eine Abschiebung rechtmäßig sein, entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz dieser Tage. In dem von lto.de (Tanja Podolski) berichteten Fall ging es um eine Armenierin, die eine Ausbildung begonnen, diese aber nicht gegenüber der Ausländerbehörde angezeigt hatte. Mit der Nichtanzeige aber habe die Armenierin die Grundlage für eine rechtmäßige Erwerbstätigkeit selbst vereitelt, so die Richter.
VG Sigmaringen zu Entlassungen aus der Bundeswehr: Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat die Entlassung von vier Soldaten bestätigt, denen vorgeworfen wurde, an brutalen Aufnahmeritualen beteiligt gewesen zu sein. Wie spiegel.de (Matthias Gebauer) berichtet, sah das Gericht diese Rituale nicht nur als Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht, vielmehr würden sie die militärische Ordnung in der Truppe gefährden. Es müsse dem Dienstherrn freistehen, einer solchen Disziplinlosigkeit entgegenzuwirken, heißt es danach in der Urteilsbegründung.
OLG Stuttgart zur Zulässigkeit von Dashcams als Beweismittel: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einer Verkehrssache die Aufnahmen einer sogenannten Dashcam, einer ständig laufenden, fest im Auto installierten Kamera, als Beweismittel für zulässig erkannt. Die Vorinstanz hatte die Aufnahmen nicht zugelassen, weil die anlasslosen Aufzeichnungen der Dashcam gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der anderen Verkehrsbeteiligten verstießen, berichtet lto.de. Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes können solche Mitschnitte aber aufgrund einer Interessenabwägung "im konkreten Einzelfall tendenziell verwertbar" sein.
BGH zum Ersatzanspruch beim Kfz-Mangel: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Verkäufer einer defekten Sache alle Kosten übernehmen muss, um diese Sache wieder zu reparieren. Dazu gehörten im zugrunde liegenden Fall auch die Transportkosten eines defekten Pkw zurück zum Verkaufsort. swr.de (Benedikt Plesker) stellt die Entscheidung vor.
OLG NRW zum Zeckenbiss als Dienstunfall: Wie lto.de berichtet hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass ein Zeckenbiss nur dann als Dienstunfall geltend gemacht werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass der Biss nicht außerhalb des Dienstes erfolgte.
BSG – Sozialbeiträge für Eltern: Vor dem Bundessozialgericht wird heute eine Klage verhandelt, in der es darum geht, ob Eltern gegenüber Kinderlosen bei der Beitragszahlung für die Kranken- und Rentenversicherung bevorzugt werden sollten. Die SZ (Ulrike Nimz) stellt den Kläger Ulrich Kirchgässner und den Prozessbevollmächtigten Jürgen Borchert vor.
OLG Düsseldorf – Saleh A.: Die Zeit (Daniel Müller/Holger Stark) befasst sich ausführlich mit dem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geführten Verfahren gegen Saleh A., dem vorgeworfen wird, in Düsseldorf einen terroristischen Anschlag geplant und vorbereitet zu haben. Dabei werden auch die Schwierigkeiten der Behörden erörtert, einerseits Anschläge zu vereiteln, andererseits aber ausreichend Beweise für eine Verurteilung zu erlangen.
BVerfG zum Versammlungsrecht: Auf deutschlandfunkkultur.de erinnert Gudula Geuther an das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem 1985 die Versammlungsfreiheit deutlich gestärkt wurde.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Zahlreiche Medien widmen sich der Justizreform in Polen. Wie spiegel.de (Thomas Dudek) berichtet, ist die Debatte im Parlament in der Nacht auf Mittwoch in wüste gegenseitige Beschimpfungen ausgeartet und wurde daraufhin beendet. Die Europäische Kommission hat mit einem Verfahren gedroht, sollten die Maßnahmen tatsächlich in Kraft treten. Die Einzelheiten stellen u.a. spiegel.de, FR, FAZ (Michael Stabenow), Welt (Christoph B. Schiltz) und taz (Eric Bonse) dar. Die SZ befasst sich auf einer ganzen Sonderseite mit dem Thema: So führen Florian Hassel/Thomas Kirchner ein ausführliches Interview mit der Präsidentin des Obersten Gerichtshofes Małgorzata Gersdorf. Sie befürchtet, dass es nach der Verabschiedung der Reform keine Gewaltenteilung mehr in Polen geben werde. Florian Hassel beschreibt in einem weiteren Beitrag die Sitzung im Parlament. So hat, wie auch die taz (Gabriele Lesser) und die FAZ (Michael Stabenow/Konrad Schuller) melden, der polnische Präsident Andrzej Duda kurzfristig einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein höheres Quorum für die Richterwahl vorsieht. Die SZ (Florian Hassel) porträtiert aus diesem Anlass den Präsidenten.
Der Warschauer Rechtsprofessor Marcin Matczak (verfassungsblog.de) meint (in englischer Sprache), dass das vermeintliche Veto und der Alternativentwurf des Präsidenten kein Hindernis für die Reform seien. Duda habe keine wirklichen Gegenargumente vorgebracht, vielmehr die Ernennung der Richter durch Politiker akzeptiert. Auch der Danziger Professor Tomasz Tadeusz Koncewicz (verfassungsblog.de) sieht den Abschied vom Prinzip der Gewaltenteilung in Polen gekommen. Und laut Gabriele Lesser (taz) sind Polens Tage als demokratischer Rechtsstaat endgültig vorbei. Laurent Pech/Maximilian Steinbeis (Die Zeit) weisen darauf hin, dass Polens demokratische Verfassung nicht das einzige Opfer wäre, weil die Urteile polnischer Richter grundsätzlich von den Rechtssystemen der anderen Mitgliedstaaten anerkannt und umgesetzt werden müssten. Eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit sei kein schwammiger gemeinsamer Wert, sie sei eine der Betriebsbedingungen der EU selbst.
Russland – NetzDG auf russisch: Die Welt (Julia Smornova) berichtet, dass in Russland ein Gesetzentwurf in das Parlament eingebracht wurde, der sich explizit an dem kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetz orientiert. Soziale Netzwerke sollen danach verpflichtet werden, innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde strafbare Inhalte zu löschen oder zu sperren. Das soll alle Informationen betreffen, die "auf Propaganda des Krieges gerichtet sind", zum nationalen oder religiösen Hass anstachelten, falsch seien oder die Würde einer anderen Person verletzten. Außerdem gehörten dazu alle Informationen, deren Verbreitung in Russland unter Strafe steht. Kritiker befürchten, dass es dann noch einfacher wird, Posts politischer Inhalte schnell und ohne Gerichtsentscheid zu löschen.
Russland – Verbot der Zeugen Jehovas: Das oberste Gericht Moskaus hat einem Bericht der taz (Klaus-Helge Donath) zufolge im Berufungsverfahren die Zeugen Jehovas zu einer extremistischen Vereinigung erklärt und verboten. Der Anwalt der Glaubensgemeinschaft hat angekündigt, Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu führen.
Sonstiges
Verfassungskultur: Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes Christof Gramm befasst sich in der FAZ mit der Frage, in welcher Form unsere Verfassung die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens bildet.
Steuerrecht: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) fasst die Ergebnisse des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur Untersuchung der Gestaltungsmodelle sogenannter Cum-Ex-Geschäfte zusammen. Wieduwilt stellt die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, dass dem Staat durch diese Anlagegeschäfte wohl bis zu 30 Milliarden Euro verloren gegangen sind.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Juli 2017: Noch keine Plädoyers im NSU-Prozess / Bayerische Gefährderüberwachung / Justizreform in Polen . In: Legal Tribune Online, 20.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23513/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
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