Zunächst drei Tage lang prüft Karlsruhe ab Dienstag auf Antrag des Bundesrats, ob die NPD verboten wird. Das Verfahren könnte nicht nur an den V-Leuten des Verfassungsschutzes scheitern, sondern auch an der Bedeutungslosigkeit der Partei.
Der Erfolgsdruck für die Bundesländer ist groß: Ein erster Verbotsanlauf war 2003 gescheitert, weil im Verfahren ans Licht gekommen war, dass der Verfassungsschutz bis in die Parteispitze hinein verdeckte Informanten hatte.
Die Frage der sogenannten V-Leute wird auch im zweiten Versuch (Az. 2 BvB 1/13) eine zentrale Rolle spielen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wird in der zunächst für drei Tage anberaumten mündlichen Verhandlung zunächst prüfen, ob das Verbot schon daran scheitert, dass das Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügt, weil in führenden Positionen der NPD V-Leute des Verfassungsschutzes sitzen. Der Bundesrat hatte im vergangenen Mai noch einmal vier Aktenordner mit Belegen nachgereicht. Die internen Vermerke, Gesprächsprotokolle und E-Mails sollen untermauern, dass die Sicherheitsbehörden diesmal rechtzeitig alle V-Leute in der Partei "abgeschaltet" haben. Die elf Namen sind geschwärzt.
Die NPD selbst hat die Gelegenheit zur inhaltlichen Stellungnahme bis kurz vor Verhandlungsbeginn nicht genutzt. Auch deshalb ist völlig ungewiss, was den Zweiten Senat unter Leitung von Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle erwartet. NPD-Anwalt Peter Richter hat im Tagesspiegel bereits "den einen oder anderen Knaller" angekündigt. Experten halten es für denkbar, dass die Partei vorhat, einzelne V-Leute zu enttarnen. Die Partei könnte auch auf Zeit spielen, weil Senatsmitglied Herbert Landau Ende April in den Ruhestand gehen wird. Da er im Verfahren nicht ersetzt werden kann, sinken die Chancen für die für ein Parteiverbot nötige Zwei-Drittel-Mehrheit von sechs Stimmen.
Bundestag und Bundesregierung halten sich raus
Die Hürden für das Verbot der Partei sind hoch. Das Verbreiten verfassungsfeindlicher Ideen allein reicht dafür nicht aus. Vor sechzig Jahren, als das BVerfG mit der kommunistischen KPD zum zweiten und bislang letzten Mal eine Partei verbot, formulierte es eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der demokratischen Grundordnung als zentrales Kriterium.
Während mit Ausnahme von Hessen, das sich bei der Abstimmung über die Einleitung eines neuen Verfahrens im Dezember 2012 enthalten hatte, die meisten Länder davon ausgehen, dass die NPD dieses Kriterium erfülle, haben die ebenfalls antragsberechtigten Bundesregierung und Bundestag sich dem Verbotsantrag des Bundesrats nicht angeschlossen. Auch viele Rechtsexperten bezweifeln, dass der Antrag nach Art. 21 ABs. 2 GG, 43 ff BVerfGG Erfolg haben wird.
Die Antragsteller müssten ein in dem ersten Verbotsverfahren vom BVerfG selbst kreiertes Dilemma auflösen. Viele Verfassungsrechtler halten das für fast unmöglich – sofern nicht der Zweite Senat von den im Jahr 2003 aufgestellten Grundsätzen abweicht. Ausgeschlossen ist das nicht, der Senat verhandelt 13 Jahre später nicht nur in anderer Besetzung, sondern hat auch angekündigt, zu Beginn der mündlichen Verhandlung den Maßstab für das potenzielle Verfahrenshindernis "V-Leute" diskutieren zu wollen.
Nach dem Beschluss des höchsten deutschen Gerichts aus dem Jahr 2003 gibt es Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren (Art. 21 Abs. 1, 2 i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG), deren Nichteinhaltung ein zwingendes und unheilbares Verfahrenshindernis darstellt.
Mit ihnen ist es nicht vereinbar, wenn die politische Partei, die verboten werden soll, unmittelbar vor und während des Verfahrens durch V-Leute staatlicher Behörden beobachtet wird, die als hochrangige Mitglieder - des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands - fungieren (BVerfG, Beschl. v. 18.03.2003, Az. 2 BvB 1 bis 3/01). Vor einem neuen Verbotsantrag hätten die Verfassungschutzämter also, wollten sie diesen strengen Anforderungen nachkommen, zumindest all jene Informanten abschalten müssen, die Vorstandsfunktionen wahrnehmen.
Ohne Informanten keine Information, mit Informanten keine Verwertbarkeit
Das Problem liegt auf der Hand: Für die Begründung eines Verbotsantrags brauchen die Verfassungschutzämter Informationen. Die wesentlichen Informationen können aber naturgemäß nicht die einfachen Mitglieder, sondern die Führungsebenen verfassungsfeindlicher Parteien geben.
Noch vor der Einleitung des Verfahrens formulierte der ehemalige Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung das Dilemma auf LTO so: "Je mehr relevante Meldungen jemand den Verfassungsschützern liefert, umso wertloser werden sie." Ohne Informationen aus den inneren Kreisen der extremistischen Partei könne kein Verbotsantrag sicher genug begründet werden, so Prof. Dr. Hans Peter Bull im Jahr 2011.
Obgleich es in dem damaligen Verfahren gar nicht zur Klärung der Frage kam, ob die von der Bundesregierung vorgelegten Beweise ausgereicht hätten, hält er es heute für fast unmöglich, ein Parteiverbot durchzusetzen. Hinzu komme, dass die geheimen Informanten möglichst weitgehend vor der Rache der Verratenen geschützt werden sollten. "Das BVerfG verlangt Offenlegung aller Beweise, aber wie dies in Abwägung mit dem Quellenschutz geschehen kann, ist unklar" geblieben, fasste Bull es zusammen
2/2: Schon die Verfahrenseröffnung ist ein Etappensieg
Es ist dem Bundesrat aber immerhin gelungen, das BVerfG davon zu überzeugen, das Hauptverfahren zum Verbot der ältesten aktiven rechtextremen Partei Deutschlands einzuleiten. Das ist keine Kleinigkeit, ist dem eigentlichen Verbotsverfahren doch ein Verfahren vorgeschaltet, in dem der Senat die Erfolgsaussichten nach Aktenlage bewertet.
Der 250-seitige Verbotsantrag vom Dezember 2013 hatte dem BVerfG zunächst nicht genügt, im März 2015 forderten die Karlsruher Richter mehr Beweise an. Die Länderkammer sollte darstellen und belegen, wie die verdeckten Informanten des Verfassungsschutzes in den Führungsgremien der rechtsextremen Partei abgeschaltet wurden, bevor die Materialsammlung für das Verbotsverfahren begann.
Zugleich sollte der Bundesrat darlegen, wie sichergestellt worden sei, dass in der Klage keine Geheimdienstinformationen über die Prozessstrategie der NPD verwertet wurden. "Soweit er angeboten hat, die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder vorzulegen, möge er dies tun", hießt es in dem Beschluss. Außerdem sollten die Bundesländer noch mehr Beweise dafür liefern, dass die Rechtsextremisten aggressiv und antidemokratisch auftreten.
Wenn die Verfassungsrichter dieses Mal zur Erörterung dieser Fragen in der Sache kämen, hätten die heutigen Prozessbevollmächtigten der Länderkammer, Prof. Dr. Christoph Moellers und Prof. Dr. Christian Waldhoff, eine weitere große Hürde schon überwunden.
Gewalt unter dem Deckmantel der Partei?
Dann wird es um eine Beeinträchtigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gehen, um einen ethnischen Volksbegriff und die Position der Partei gegenüber Ausländern, Asylbewerbern und Migranten. Auch über die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus wird man in Karlsruhe sprechen, über den Organisationsgrad und die gesellschaftliche Reichweite der rechtextremen Partei.
Nicht zuletzt dürfte die Verhandlung sich auf das Thema Gewalt konzentrieren, welche die im Jahr 1964 gegründete Partei nach dem Vortrag der beiden Verfassungsrechtler aus Berlin verbreitet. Vieles spricht dafür, dass Möllers und Waldhoff versuchen könnten, auf eine Ausnahme zu setzen. In der Entscheidung aus dem Jahr 2003 machte das BVerfG nämlich auch deutlich, dass die von ihm definierten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verbotsverfahren nur für den Regelfall gelten.
Einschränkungen könnten "zur Abwehr akuter Gefahren in extremen Ausnahmefällen geboten sein", wenn "etwa, wenn unter dem Deckmantel der Organisation als politische Partei Gewalttaten oder andere schwerwiegende Straftaten vorbereitet oder geplant werden", so der Senat damals. Seit der Verhaftung von Ex-NPD-Parteifunktionär Ralf Wohlleben, der rechte Terroristen rund um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) unterstützt haben soll, hegen die Befürworter des Verbotsantrags die Hoffnung, dass das BVerfG von anderen Umständen ausgehen könnte als vor 16 Jahren.
Too small to fail?
Aber selbst wenn die Hoffnung verfangen mag, könnte selbst ein erfolgreiches Verbotsverfahren beim BVerfG sich als Pyrrhussieg erweisen. Denn während noch bis zur Einleitung des neuen Verbotsantrags im Jahr 2012 die größte Sorge ein Scheitern in Karlsruhe war, hat sich mittlerweile herum gesprochen, dass aus Straßburg noch größeres Übel kommen könnte. Die NPD hat bereits angekündigt, für den Fall eines Verbots den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anrufen zu wollen.
Sicherheitsexperten wie zum Beispiel Ex-Generalbundesalt Kay Nehm fürchten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Partei um den Vorsitzenden Frank Franz nicht verbieten würde, weil sie zu unwichtig ist. Das klingt nur auf den ersten Blick widersinnig. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention muss ein Parteiverbot nämlich u.a. notwendig sein, um die nationale oder öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten, Straftaten zu verhüten oder die Rechte anderer zu schützen. "Selbst wenn die Partei eindeutig ein Gesellschaftsmodell vertritt, das mit dem Konzept einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar ist, müsste sie außerdem auch eine realistische Chance haben, ihre Ziele zu verwirklichen", warnte Parteienrechtler Dr. Sebastion Roßner von der Universität Düsseldorf schon im Jahr 2012 auf LTO.
Daran darf man bei einer Partei, die auch in Ostdeutschland nur über wenige Hochburgen verfügt, mit fünf Abgeordneten nur im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten ist und bei der Bundestagswahl 2013 ganze 1,3 Prozent bekam, berechtigte Zweifel haben. Man kann hoffen, dass diese auch das BVerfG haben wird. Die deutschen Anforderungen an Organisationsgrad, gesellschaftliche Reichweite, Konzept, Umsetzung und Realisierungschance der verfassungsfeindlichen Bestrebungen mögen niedriger sein als die europäischen. Der Zweite Senat hat aber bereits angekündigt, die Anforderungen der EMRK in seine Prüfung einbeziehen zu wollen.
Der Triumph, den ein Sieg für die praktisch bedeutungslose Partei bedeuten würde, wäre umso größer, je später er errungen würde. Es mutet zynisch an, wenn die NPD am Ende eines langen, öffentlichkeitswirksamen Verfahrens nicht verboten würde, weil sie bedeutungslos ist. Noch viel zynischer wäre das, wenn man bedenkt, dass die Alternative für Deutschland (AfD) unterdessen bei der Sonntagsfrage in aktuellen Umfragen bei ca. zehn bis zwölf Prozent liegt.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, BVerfG verhandelt über NPD-Verbot: Zu unwichtig für ein Verbot? . In: Legal Tribune Online, 29.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18631/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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