Ausgerechnet bei dem Versuch, sich gegen Vorwürfe in der Affäre Netzpolitik.org zu verteidigen, hat das BMJV ein gesperrtes Protokoll weitergeben. Eine weitere Panne in Zeiten ohnehin massiver Kritik an Heiko Maas.
Im Zusammenhang mit der Netzpolitik-Affäre hat das Bundesjustizministerium (BMJV) die Weitergabe eines für die Öffentlichkeit gesperrten Bundestagsprotokolls eingeräumt. Das Ministerium nannte die Weitergabe des Protokolls des Rechtsausschusses am Montag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur einen "Irrtum". Man sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich bei dem Dokument aus dem Vorjahr um ein öffentliches Protokoll handelte.
In dem betreffenden Ausschuss erklärte der damalige Generalbundesanwalt (GBA) Harald Range dem Protokoll zufolge, dass er vom Justizministerium die Weisung erhalten habe, Ermittlungen gegen Blogger von Netzpolitik.org wegen Landesverrats einzustellen. Sie waren angestrengt worden, weil die Blogger vertrauliche Dokumente des Verfassungsschutzes veröffentlicht hatten, in denen es um Pläne zur stärkeren Überwachung des Internets ging. Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte dem widersprochen, seiner Darstellung nach waren die damalige Staatssekretärin Dr. Stefanie Hubig und Range sich einig darüber gewesen, nicht mehr gegen die Blogger zu ermitteln. Maas versetzte Range im vergangenen Jahr im Zuge der Affäre in den Ruhestand. Klar war seitdem, dass entweder der Bundesjustizminister oder der mittlerweile ehemalige Generalbundesanwalt nicht die Wahrheit sagt.
Die Geschichte kam ein Jahr später wieder hoch, als der Tagesspiegel im August dieses Jahres berichtete, die Berliner Staatsanwaltschaft habe zwar kein Strafverfahren wegen Strafvereitelung gegen den Bundesminister eingeleitet, obgleich der ein externes Gutachten des GBA durch eins aus seinem Ministerium ersetzte. Aber auch die Berliner Strafverfolger gingen davon aus, dass Range eine Weisung aus dem Ministerium erteilt worden sei. Seitdem steht Maas, der weiterhin bestreitet, dass es eine solche Weisung gegeben hat, wieder in der Kritik.
Und nun der nächste Patzer. Ausgerechnet bei dem Versuch, erneut seine Sicht der Dinge darzustellen, verwies eine Sprecherin seines Ministeriums auf Maas' Statement im Rechtsausschuss, nachzulesen im "öffentlich zugänglichen" Protokoll der Sitzung aus dem August 2015. Dieses fragte Netzpolitik.org daraufhin nach eigenen Angaben an und erhielt es auch. "Wir waren natürlich etwas überrascht, als uns das Protokoll auf offiziellem Wege zugeschickt wurde", hieß es am Montag auf der Seite. Die Datenschützer veröffentlichten das Protokoll am 24. August.
Rechtspolitiker monieren Verstoß gegen GO-BT
Der Tagesspiegel zitierte daraufhin aus einem ihm vorliegenden Brief der Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Renate Künast (Die Grünen), an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). "Obwohl ich persönlich die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen auch in diesem Punkt begrüße, ist es doch richtig, dass die Entscheidung über den Umgang mit dem Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung dem Deutschen Bundestag zusteht", heißt es in dem Schreiben. Künast forderte die Bundesregierung auf, ein derartiges Vorgehen in Zukunft zu unterlassen.
Die rechtspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, nannte die Weitergabe einen "klaren Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages". Maas setze ein Stück weit seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. "Damit verrückt er selber die Maßstäbe, an denen andere sich messen lassen sollen." Winkelmeier-Becker forderte den Minister auf, sich im Rechtsausschuss zu erklären.
Es ist eine Baustelle mehr für den Justizminister. Die seit einem Jahr im Raum stehende Möglichkeit, dass er in Sachen Range die Unwahrheit gesagt hat, verfolgt ihn mindestens ebenso sehr wie der Vorwurf, sich mit der von ihm bestrittenen Weisung zu sehr in die Belange des GBA eingemischt zu haben.
Zu viel Einmischung des Ministers moniert auch Wolfgang Schäuble. Erst Anfang dieses Monats forderte der Finanzminister Maas zum Rücktritt auf, weil der sich zu sehr in das Strafverfahren gegen Gina-Lisa Lohfink eingemischt habe. Zwar hat Maas sich nicht nachweisbar öffentlich unmittelbar zu dem Verfahren geäußert. Aber es gab diverse Aussagen im zeitlichen und auch sachlichen Kontext des Verfahrens, die sich mit der anstehenden Reform des Sexualstrafrechts beschäftigten. Der Zusammenhang drängte sich so sehr auf, dass das Ministerium sich nach dem Urteil wegen falscher Verdächtigung gegen das Model zu einer Klarstellung genötigt sah: "Der Minister äußert sich grundsätzlich nicht zu Gerichtsverfahren", sagte eine Sprecherin. "Heiko Maas war nicht im Team Gina-Lisa".
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Netzpolitik-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20561 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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