Die Hinterbliebenen der Opfer des Kundus-Angriffs haben keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen die BRD, entschied das OLG Köln am Donnerstag. Dem damaligen deutschen Oberst Georg Klein, der den Angriff 2009 befohlen hatte, sei keine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten vorzuwerfen. Bei der Bombardierung von zwei Tanklastwagen waren etwa 100 Menschen getötet worden, darunter viele Zivilisten.
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat am Donnerstag eine Klage von Hinterbliebenen des Kundus-Angriffs in Afghanistan zurückgewiesen (Az. 7 U 4/14). Das Landgericht (LG) Bonn hatte mit Urteil vom 11. Dezember 2013 nach Durchführung einer Beweisaufnahme entschieden, dass dem damaligen Kommandeur des PRT Kunduz ("Provincial Reconstruction Team") keine schuldhafte Verletzung seiner Amtspflichten (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) vorzuwerfen ist. Mit seiner Anordnung habe er nicht schuldhaft gegen Normen des Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung verstoßen. Dies betreffe namentlich die aus dem Völkerrecht resultierenden Pflichten, Zivilpersonen nicht zum Ziel eines Angriffs zu machen bzw. die Zivilbevölkerung im Rahmen eines Kampfeinsatzes zu schonen.
Aus Sicht des Senats ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass der Kommandeur die Tanklaster zu Recht als militärische Objekte identifiziert hat. Gleiches gelte für die Einschätzung des LG, dass Oberst Klein alle in der konkreten Planungs- und Entscheidungssituation praktisch möglichen Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich einer etwaigen Anwesenheit von Zivilpersonen vor Ort getroffen bzw. genutzt habe. Er habe keine positive Kenntnis davon gehabt, dass sich Zivilpersonen an der Bombenabwurfstelle befanden.
Eine derartige Kenntnis habe Oberst Klein nach den ihm zur Verfügung stehenden Informationen auch nicht haben müssen. Vorhandene Informationsquellen, namentlich die Beobachtung des Standortes der Tanklaster durch eingesetzte Kampfflugzeuge während eines Zeitraums von 20 Minuten mit Übertragung der Infrarotaufnahmen der Örtlichkeit in die Operationszentrale des Kommandeurs, den Funkverkehr mit den Piloten und die mehrfache telefonische Rückfrage bei einem Informanten des Militärs vor Ort, habe der Kommandeur genutzt.
Beurteilung der Vorhersehbarkeit nur ex ante
Hinsichtlich weiterer von den Klägern für notwendig erachteter militärischer Aufklärungsmaßnahmen wie einem Tiefflug über die Sandbank ("Show of force") sei nicht ersichtlich, dass hieraus für die Einordnung des Angriffsziels bessere Erkenntnisse hätten gewonnen werden können. Gleiches gelte für die Einschaltung einer höheren Kommandoebene.
Den vorliegenden Erkenntnisquellen hat Oberst Klein auch nach Einschätzung des Senats im Zeitpunkt der Befehlserteilung nicht entnehmen können, dass es sich nicht um ein militärische Angriffsziel handele. Ihm habe ein nachrichtendienstlicher Hinweis über einen bevorstehenden Anschlag auf das Kundus-Feldlager vorgelegen. Dem Einwand der Kläger, die Warnung des Nachrichtendienstes sei nicht ernst zu nehmen gewesen, wie sich auch nachträglich gezeigt habe, sei entgegenzuhalten, dass es bei der Beurteilung der Vorhersehbarkeit für den Kommandeur auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung ankommen müsse.
Die Aussage des Informanten vor Ort habe auch nach siebenfacher Nachfrage ergeben, dass sich zum Zeitpunkt des Bombardements keine Zivilisten bei den Tanklastern befunden haben sollen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Informanten seien in der konkreten Entscheidungssituation nicht veranlasst gewesen.
Infomationen gaben wenig Anlass zu Zweifeln
Auf der Grundlage der übrigen Erkenntnisquellen habe der Kommandeur nicht erkennen müssen, dass diese Information falsch sei. So habe der Aussagewert der Infrarotaufnahmen auch unter Berücksichtigung von Spezialkenntnissen über die Strukturen und Handlungsweisen der aufständischen Taliban keinen Schluss auf die Anwesenheit von Zivilpersonen vor Ort zugelassen. Auch aus der Anzahl der vor Ort befindlichen Personen habe nicht notwendig auf die Anwesenheit von Zivilisten geschlossen werden müssen, da der Ort des Bombardements als Hochburg der Taliban gelte und die Anwesenheit von 50 bis 70 Personen insoweit kein Anlass zu Zweifeln gegeben habe.
Gleiches gelte für das ungeordnete heterogene Bewegungsmuster, welches die Infrarotaufnahmen von den vor Ort befindlichen Personen erkennen ließen. Denn von den Taliban als guerillaähnlichen Kämpfern sei ein militärischer Operationsmodus nicht zwingend zu erwarten gewesen. Die diesen Annahmen zugrunde liegende Beweiswürdigung des LG lasse Rechtsfehler nicht erkennen.
Geklagt hatte ein afghanischer Vater, dessen zwei Söhne mutmaßlich bei der Bombardierung getötet wurden, und eine Witwe, deren Mann ums Leben kam. Als freiwillige Leistung hatte die Bundesrepublik Deutschland an die Familien von 90 Opfern jeweils 5.000 US-Dollar (4.470 Euro) gezahlt. Die OLG-Richter ließen die Revision zum BGH zu.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der DPA
OLG Köln zu umstrittenem Militäreinsatz: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15415 (abgerufen am: 13.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag