Dass ein Kleinkind, das allein im Wagen sitzt, den Motor startet und dadurch dritte Personen verletzt werden, ist laut dem OLG Oldenburg kein außergewöhnlicher Geschehensverlauf. Die Mutter haftet daher für den eingetretenen Schaden.
Eine Mutter und ihr zweieinhalbjähriges Kind besuchten gemeinsam mit der Großmutter des Kindes eine Familienfeier. Als sich die Veranstaltung dem Ende neigt, setzte die Mutter ihr Kind in den Kindersitz auf dem Beifahrersitz ihres Wagens. Sie schnallte es jedoch nicht an und ging noch einmal kurz ins Haus.
Der Junge krabbelte daraufhin vom Kindersitz, nahm den Autoschlüssel, der auf dem Armaturenbrett lag und startete den Motor des Wagens. Das Auto machte einen Satz nach vorne und verletzte die Großmutter des Kindes, die etwa 1,5 Meter entfernt auf einer Bank saß, schwer. Aufgrund der Verletzungen beider Kniegelenke musste sich die Frau umfangreich im Krankenhaus behandeln lassen.
Die Kosten für die Behandlung verlangte die Krankenkasse der Großmutter im Anschluss von der Kindesmutter. Diese habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, als sie ihr Kind allein in dem Wagen sitzen ließ. Die Mutter hielt dagegen, sie sei nur ein, zwei Minuten fort gewesen. Die Fahrzeugtüren habe sie weit offen gelassen. Mit dem Verhalten ihres Kindes sei nicht zu rechnen gewesen, das Starten des Wagens sei eine komplexe Abfolge von Handlungen.
Hat die Mutter ihre Aufsichtspflicht verletzt?
Das Landgericht (LG) Osnabrück gab der Mutter noch recht und verneinte eine Haftung nach § 832 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Es liege eine ganz außergewöhnliche Kausalkette vor, mit der ein umsichtiger Elternteil nicht zu rechnen brauche. Die Klage der Krankenkasse wies das Gericht daher ab.
Die Krankenkasse legte daraufhin Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ein - mit Erfolg. Der Senat bejahte eine Haftung der Kindesmutter (Urt. v. 20.04.2023, Az. 14 U 212/22). Diese sei für das Kind aufsichtspflichtig (§ 1631 Abs. 1 BGB). Das Maß der gebotenen Aufsicht richte sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles und erhöhe sich mit der Gefahrträchtigkeit der konkreten Situation. Kleinkinder bedürften generell ständiger Aufsicht. Die Mutter habe durch das Alleinlassen des Kindes im Auto – und Zurücklassen des Autoschlüssels – eine ganz erhebliche Gefahr geschaffen.
Das weitere Geschehen sei auch nicht völlig außergewöhnlich gewesen. Kleine Kinder griffen erfahrungsgemäß gern nach Schlüsseln und versuchten, sie in Schlösser hineinzustecken und die Erwachsenen nachzuahmen. Die Kindesmutter hätte das Kind im Kindersitz anschnallen, die Schlüssel mitnehmen, oder jemanden mit der Beaufsichtigung beauftragen müssen.
Die Kindesmutter muss jetzt für den Schaden einstehen. Der genaue Umfang des Schadensersatzes muss noch geklärt werden.
lmb/LTO-Redaktion
OLG Oldenburg zur Aufsichtspflicht der Eltern: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51821 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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