Ob Rufbereitschaft als Arbeitszeit gewertet wird, hänge von den Möglichkeiten der Freizeitgestaltung in dieser Zeit ab. Dass diese Einordnung aber nichts mit der Vergütung zu tun haben muss, stellt der EuGH auch klar.
Rufbereitschaft kann nur dann als Arbeitszeit gewertet werden, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit ganz erheblich in der Ausübung seiner Freizeit beeinträchtigt wird. Ist dies der Fall, dann muss Rufbereitschaft jedoch nicht zwingend wie "Arbeitszeit" vergütet werden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Fall eines deutschen Feuerwehrmannes (Urt. v. 9.3.2021, Rs. C-580/19) und eines slowenischen Technikers (Urt. v. 9.3.2021, Rs. C 344/19) entschieden, der seine Rufbereitschaft einsam auf einem Berggipfel verbringen musste. Der Generalanwalt des EuGH hatte in seinen Schlussanträgen bereits Stellung genommen.
Zum einen geht es um einen Feuerwehrmann aus Offenbach, der seine Bereitschaft zwar außerhalb der Dienststelle verbringen darf, jedoch die Vorgabe hat, binnen 20 Minuten in Arbeitskleidung und mit dem Einsatzfahrzeug die Stadtgrenze zu erreichen. Der Betroffene ist laut Angaben des Gerichts der Ansicht, dass diese Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaften wegen der mit ihnen verbundenen Einschränkungen in vollem Umfang als Arbeitszeit anzuerkennen sind. Entsprechend müssten sie vergütet werden und zwar unabhängig davon, ob er während dieser Zeit tatsächlich tätig war.
Das Verwaltungsgericht (VG) Darmstadt beschäftigte sich mit der Klage des Feuerwehrmanns gegen seinen Arbeitgeber und legte in der Folge dem EuGH die Frage vor, inwiefern Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft als "Arbeitszeit" oder als "Ruhezeit" im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen sind.
Der slowenische Techniker hingegegen habe nach Darstellung des EuGH mehrere Tage hintereinander damit verbracht, in den slowenischen Bergen den Betrieb von Fernsehsendeanlagen sicherzustellen. Neben seiner Arbeitszeit musste er in Form einer Rufbereitschaft erreichbar sein, was in Folge seines Aufenthaltsorts in den Bergen so endete, dass er mangels Freizeitmöglichkeiten in einer Dienstunterkunft bleiben musste. Auch das slowenische Gericht reichte in dem Fall ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ein.
"Ruhezeit" und "Arbeitszeit" schließen sich aus
Die höchsten europäischen Richterinnen und Richter stellen laut Pressemitteilung dazu zunächst fest, dass die Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers immer entweder als "Arbeitszeit" oder als "Ruhezeit" nach der Richtlinie 2003/88 einzustufen seien, schließlich würden sich die beiden Begriffe gegenseitig ausschließen. Eine "Ruhezeit" liege auch nicht immer zwangsläufig vor, wenn der Arbeitnehmer gerade nicht für den Arbeitgeber tätig ist. "Arbeitszeit" hingegen liege immer vor, wenn der Arbeitnehmer sich an seinem Arbeitsplatz befinden muss, der nicht mit seiner Wohnung identisch ist.
Davon ausgehend hat der EuGH nach eigenen Angaben entschieden, dass Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft unter den Begriff der "Arbeitszeit" fallen, wenn der Arbeitnehmer währenddesen objektiv ganz erheblich beeinträchtigt ist, sich seinen eigenen Interessen zu widmen. Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliegt, richte sich nach nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und Vorgaben des Arbeitgebers. Ist dies nicht der Fall, dann sei nur die Zeit als Arbeitszeit zu werten, in der von der Rufbereitschaft tatsächlich Gebrauch gemacht wird und die Bereitschaftszeit tatsächlich mit der erbrachten Arbeitsleistung verbunden ist.
Der EuGH betont dabei, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls vorzunehmen und anhand dessen über eine Einstufung der Rufbereitschaft zu entscheiden. Dabei sei miteinzubeziehen, wie die konkrete Frist aussieht, innerhalb derer der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnehmen muss.
Arbeitsrechtler: "20 Minuten Zeit zur Arbeitsaufnahme heißt wohl Arbeitszeit"
Zuletzt stellt der EuGH klar, dass die Frage der Vergütung von Bereitschaftszeiten nicht der Richtlinie 2003/88 unterliegt. Ob die Rufbereitschaft daher wie Arbeitszeit vergütet wird oder nicht, sei von der Einordnung als "Arbeitszeit" oder "Ruhezeit" nicht abhängig und könne in nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen geregelt oder von Entscheidungen des Arbeitgebers abhängen.
Der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott sagte zu LTO, dass das aktuelle Urteil die bisherige Rechtsprechung des EuGH fortschreibe. "Es macht damit deutlich, dass Rufbereitschaft weiterhin möglich ist. Deutlich ist aber auch, dass maßgebliches Kriterium die tatsächliche Einschränkung des Arbeitnehmers ist", so Fuhlrott weiter. Der Fachanwalt und Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius schätzt, dass Zeiten zur Arbeitsaufnahme von nur 20 Minuten regelmäßig der Annahme von Rufbereitschaft entgegenstehen dürften und damit als Arbeitszeit zu qualifizieren seien.
pdi/LTO-Redaktion
EuGH: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44452 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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