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EGMR zu Lebensbedingungen auf griechischer Insel: Grie­chen­land muss Asyl­be­wer­berin ent­schä­d­igen

12.04.2023

Eine Hütte auf der Insel Samos

Die Lebensbedingungen im Flüchtlings-Hotstpo auf Samos verstoßen im Fall der Frau gegen Art. 3 der EMRK, so der Gerichtshof. Foto: MilesAstray/stock.adobe.com

Eine junge Mutter hat erfolgreich die griechische Regierung wegen der Lebensbedingungen verklagt, denen sie als schwangere Frau und Asylbewerberin auf der griechischen Insel Samos ausgesetzt war.

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Zum ersten Mal hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Lebensbedingungen einer Asylbewerberin in einem griechischen Flüchtlings-Hotspot auf der Insel Samos als "unmenschliche und erniedrigende Behandlung" eingestuft. Er stellte eine Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fest und sprach der klagenden Frau 5.000 Euro Entschädigung zu (A.D. v. Greece, Entsch. v. 04.04.2023, Beschwerdenummer 55363/19).  

Konkret ging es um den Fall einer Frau aus Ghana, die im August 2019 die griechische Insel Samos erreicht und dort drei Monate unter prekären Umständen gelebt hatte. Obwohl sie im sechsten Monat schwanger war und in der Vergangenheit bereits mehrere Fehlgeburten erlitten hatte, war ihr keine Unterbringung zur Verfügung gestellt geworden. Vielmehr hatte sie außerhalb der überfüllten Aufnahmeeinrichtung in einem Zelt gelebt. Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen und medizinischer Versorgung erhielt sie nicht, verschlechtert wurden die Zustände zusätzlich durch schwere Überschwemmungen. Auch war der Frau untersagt worden, die Insel zu verlassen. Erst nach der Entbindung durfte sie die Insel schließlich verlassen.

Sie erhob im Nachhinein Klage auf Ersatz der immateriellen Schäden, die sie durch die Lebensbedingungen in dem Hotspot erlitten habe. Der EGMR hat ihr nun Recht gegeben.  

Belastung an der EU-Außengrenze entbindet nicht von Verplichtungen aus der EMRK 

Nach Ansicht der Straßburger Richter und Richterinnen stellt die Behandlung der klagenden Frau eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den griechischen Staat dar. Darin heißt es: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden".

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Misshandlung, um als "unmenschlich" oder "erniedrigend" zu gelten, einen Mindestschweregrad erreichen. Die Beurteilung dieses Schweregrades ist immer relativ, so der EGMR, und hänge von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, ihren körperlichen oder geistigen Auswirkungen und in einigen Fällen vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand des Opfers. Diese Schwelle sei in Anbetracht der Lebensbedingungen auf der Insel, die insbesondere für Schwangere inakzeptabel seien, im vorliegenden Fall überschritten.

Zwar sei anzuerkennen, dass insbesondere diejenigen Staaten, die die Außengrenzen der EU bilden, durch den zunehmenden Zustrom von Migranten und Asylbewerbern unter besonderen Druck und in Schwierigkeiten geraten. Diese Belastung sei nicht zu unterschätzen. In Anbetracht des absoluten Charakters der durch Art. 3 EMRK gesicherten Rechte könne dies einen Staat jedoch nicht von seinen Verpflichtungen aus dieser Bestimmung entbinden, so der Gerichtshof.

"Die unerträglichen Zustände sind das direkte Ergebnis des sogenannten EU-Türkei-Deals. Jahrelang hat die EU diesen Deal mit ihrem 'Hotspot'-Ansatz durchgesetzt und die illegale und unmenschliche Politik des griechischen Staates unterstützt. Damit hat sie die Europäischen Grundwerte geopfert und wurde zur Komplizin schwerer Menschenrechtsverletzungen, wie sie in diesem Fall dokumentiert sind", so die Vertreterin der klagenden Frau, Anwältin Yiota Massouridou aus Athen. "Seit 2016 treibt die Europäische Union die Externalisierung ihrer Migrationspolitik voran, indem sie Asylsuchende aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit in abgelegene, unzugängliche Räume an und außerhalb ihrer Grenzen und verlegt, um sich ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zu entziehen." 

Die Entscheidung A.D. v. Greece ist die erste in einer Reihe von Fällen, die derzeit vor dem Gerichtshof anhängig sind und die Behandlung von Asylbewerberinnen und -bewerbern in griechischen Hotspots anprangern. Der Fall wurde von der Refugee Law Clinic Berlin (Deutschland), I Have Rights (Samos) und der Stiftung Pro Asyl unterstützt.

pab/LTO-Redaktion

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EGMR zu Lebensbedingungen auf griechischer Insel: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51523 (abgerufen am: 19.11.2025 )

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