Druckversion
Dienstag, 13.05.2025, 14:13 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/egmr-griechenland-samos-hotspot-asylbewerber-lebensbedingungen-menschenrechte-verstoss
Fenster schließen
Artikel drucken
51523

EGMR zu Lebensbedingungen auf griechischer Insel: Grie­chen­land muss Asyl­be­wer­berin ent­schä­d­igen

12.04.2023

Eine Hütte auf der Insel Samos

Die Lebensbedingungen im Flüchtlings-Hotstpo auf Samos verstoßen im Fall der Frau gegen Art. 3 der EMRK, so der Gerichtshof. Foto: MilesAstray/stock.adobe.com

Eine junge Mutter hat erfolgreich die griechische Regierung wegen der Lebensbedingungen verklagt, denen sie als schwangere Frau und Asylbewerberin auf der griechischen Insel Samos ausgesetzt war.

Anzeige

Zum ersten Mal hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Lebensbedingungen einer Asylbewerberin in einem griechischen Flüchtlings-Hotspot auf der Insel Samos als "unmenschliche und erniedrigende Behandlung" eingestuft. Er stellte eine Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fest und sprach der klagenden Frau 5.000 Euro Entschädigung zu (A.D. v. Greece, Entsch. v. 04.04.2023, Beschwerdenummer 55363/19).  

Konkret ging es um den Fall einer Frau aus Ghana, die im August 2019 die griechische Insel Samos erreicht und dort drei Monate unter prekären Umständen gelebt hatte. Obwohl sie im sechsten Monat schwanger war und in der Vergangenheit bereits mehrere Fehlgeburten erlitten hatte, war ihr keine Unterbringung zur Verfügung gestellt geworden. Vielmehr hatte sie außerhalb der überfüllten Aufnahmeeinrichtung in einem Zelt gelebt. Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen und medizinischer Versorgung erhielt sie nicht, verschlechtert wurden die Zustände zusätzlich durch schwere Überschwemmungen. Auch war der Frau untersagt worden, die Insel zu verlassen. Erst nach der Entbindung durfte sie die Insel schließlich verlassen.

Sie erhob im Nachhinein Klage auf Ersatz der immateriellen Schäden, die sie durch die Lebensbedingungen in dem Hotspot erlitten habe. Der EGMR hat ihr nun Recht gegeben.  

Belastung an der EU-Außengrenze entbindet nicht von Verplichtungen aus der EMRK 

Nach Ansicht der Straßburger Richter und Richterinnen stellt die Behandlung der klagenden Frau eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den griechischen Staat dar. Darin heißt es: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden".

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Misshandlung, um als "unmenschlich" oder "erniedrigend" zu gelten, einen Mindestschweregrad erreichen. Die Beurteilung dieses Schweregrades ist immer relativ, so der EGMR, und hänge von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, ihren körperlichen oder geistigen Auswirkungen und in einigen Fällen vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand des Opfers. Diese Schwelle sei in Anbetracht der Lebensbedingungen auf der Insel, die insbesondere für Schwangere inakzeptabel seien, im vorliegenden Fall überschritten.

Zwar sei anzuerkennen, dass insbesondere diejenigen Staaten, die die Außengrenzen der EU bilden, durch den zunehmenden Zustrom von Migranten und Asylbewerbern unter besonderen Druck und in Schwierigkeiten geraten. Diese Belastung sei nicht zu unterschätzen. In Anbetracht des absoluten Charakters der durch Art. 3 EMRK gesicherten Rechte könne dies einen Staat jedoch nicht von seinen Verpflichtungen aus dieser Bestimmung entbinden, so der Gerichtshof.

"Die unerträglichen Zustände sind das direkte Ergebnis des sogenannten EU-Türkei-Deals. Jahrelang hat die EU diesen Deal mit ihrem 'Hotspot'-Ansatz durchgesetzt und die illegale und unmenschliche Politik des griechischen Staates unterstützt. Damit hat sie die Europäischen Grundwerte geopfert und wurde zur Komplizin schwerer Menschenrechtsverletzungen, wie sie in diesem Fall dokumentiert sind", so die Vertreterin der klagenden Frau, Anwältin Yiota Massouridou aus Athen. "Seit 2016 treibt die Europäische Union die Externalisierung ihrer Migrationspolitik voran, indem sie Asylsuchende aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit in abgelegene, unzugängliche Räume an und außerhalb ihrer Grenzen und verlegt, um sich ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zu entziehen." 

Die Entscheidung A.D. v. Greece ist die erste in einer Reihe von Fällen, die derzeit vor dem Gerichtshof anhängig sind und die Behandlung von Asylbewerberinnen und -bewerbern in griechischen Hotspots anprangern. Der Fall wurde von der Refugee Law Clinic Berlin (Deutschland), I Have Rights (Samos) und der Stiftung Pro Asyl unterstützt.

pab/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

EGMR zu Lebensbedingungen auf griechischer Insel: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51523 (abgerufen am: 13.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • Asyl
    • EGMR
    • Griechenland
    • Menschenrechte
  • Gerichte
    • Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
Ein Schild mit der Aufschrift Bundesrepublik Deutschland 09.05.2025
Hintergründe

Der Dobrindt-Erlass über Zurückweisungen an der Grenze:

Von der "Herr­schaft des Unrechts" ins "Not­lagen-Chaos"?

Die Diskussion um den Dobrindt-Erlass über Grenz-Zurückweisungen krankt an vielen Missverständnissen. Neben die "Merkel-Rechtsbruch-Theorie" tritt nun Wirrwarr um die Ausrufung einer Notlage. Daniel Thym klärt das juristische Durcheinander.

Artikel lesen
Bundespolizisten stehen am Grenzübergang zwischen dem Ort Freilassing (Deutschland) und der Stadt Salzburg (Österreich) auf der Saalachbrücke und kontrollieren die Einreise. 08.05.2025
Flüchtlinge

Schreiben an die Bundespolizei:

Sind Dobrindts Zurück­wei­sungen recht­lich mög­lich?

Auch Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, sollen nicht mehr nach Deutschland einreisen können. Nur für vulnerable Gruppen soll es Ausnahmen geben, so die Pläne von Innenminister Dobrindt. Was sagt das Europarecht dazu?

Artikel lesen
Abschiebung/Auslieferung 22.04.2025
Auslieferung

OLG Frankfurt:

Afg­hane darf trotz Abschie­be­verbot nach Grie­chen­land aus­ge­lie­fert werden

Weil er einem anderen Mann falsche Ausweispapiere besorgte, muss ein Afghane nun eine Freiheitsstrafe verbüßen – trotz Abschiebeverbot wird er dafür nach Griechenland ausgeliefert. Das entschied das OLG Frankfurt.

Artikel lesen
Bewohner eines Flüchtlingslagers in Griechenland 16.04.2025
Asyl

BVerwG sieht keine unmenschliche Aufnahmesituation:

Über­stel­lung "nicht­vul­ne­ra­bler Flücht­linge" nach Grie­chen­land mög­lich

Flüchtlingen, die jung, arbeitsfähig und gesund sind, droht in Griechenland keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, hat das BVerwG entschieden. Deren Asylanträge können hierzulande daher als unzulässig abgelehnt werden.

Artikel lesen
Anteilnahme in Solingen 15.04.2025
Meinungsfreiheit

LG Berlin II sieht keine Persönlichkeitsrechtsverletzung:

Asyl­rechts­an­wältin muss NiUS-Beri­chter­stat­tung hin­nehmen

Im Nachgang zum Solingen-Attentat geriet eine Asylrechtsanwältin ins mediale Fadenkreuz insbesondere des rechtspopulistischen Portals NiUS. Doch was DAV und BRAK stark kritisierten, war laut dem LG Berlin II rechtmäßige Berichterstattung. 

Artikel lesen
Politiker auf dem Weg zur Bekanntgabe des Koalitionsvertrages 10.04.2025
Koalitionsvertrag

Wechsel der Verfahrensgrundsätze im Asylrecht im Koalitionsvertrag:

Der Richter vor dem leeren Blatt

Die neue Bundesregierung will in Asylverfahren den Amtsermittlungsgrundsatz durch den Beibringungsgrundsatz ersetzen. Viele Richter blieben gelassen, es biete sich ein breites Spektrum an Ausgestaltungen. Andere sind alarmierter.

Artikel lesen
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rechts­an­walt (w/m/d) für Fi­nan­cial Li­nes

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Prak­ti­kan­ten

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Mün­chen und 1 wei­te­re

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für al­le Rechts­be­rei­che

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Neu­rup­pin

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
7. Schweitzer Zukunftsforum – Legal Tech

13.05.2025

Logo von Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Case Study Durchführung und Gestaltungsmöglichkeiten der betriebl. Altersversorgung in der Insolvenz

14.05.2025

Logo von CMS Deutschland
Zukunft gestalten: Ladeinfrastruktur als Schlüssel für Energie, Mobilität und Immobilien

19.05.2025, Stuttgart

Karriere als Notar:in - Workshop der Bundesnotarkammer und der Notarkammer Koblenz

22.05.2025, Koblenz

Gesellschaftsrechtliche Gestaltung von Familienunternehmen

14.05.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH