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EGMR zu "naked rambler": Kein Menschenrecht auf Nacktsein

29.10.2014

Stephen gough und Melanie Roberts am 16.5.2005

Bild: AFP Photo/STR

Unbelehrbar stemmt sich ein als "nackter Wanderer" bekannt gewordener Schotte seit Jahren gegen die Gesetze Englands. Dutzende Male wurde der Mann wegen Exhibitionismus festgenommen, doch selbst zu seinen Gerichtsverhandlungen erschien er nackt. Das brachte ihn für mehr als sechs Jahre hinter Gitter, wo er gleichfalls keine Kleidung trug. Auch sein Appell zum EGMR half ihm nicht weiter. Dieser befand am Mittwoch, dass der Mann die "guten Sitten" verletze, die in "jeder demokratischen Gesellschaft der Welt" vorherrschten.

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Der in Großbritannien als "nackter Wanderer" bekannte Schotte Stephen Peter Gough versuchte vergeblich, sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Recht auf Nacktheit zu erstreiten. Seine rund 30 Verurteilungen wegen Exhibitionismus in der Öffentlichkeit und Missachtung des Gerichts bleiben damit bestehen. Die sittenstrengen Europäischen Richter entschieden am Mittwoch, dass in dem Vorgehen der englischen Behörden und Gerichte kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu sehen sei (Urt. v. 28.10.2014, Az. ECHR 317 (2014)).

Im Jahr 2003 hatte der ehemalige Marine-Soldat beschlossen, ohne Körperbekleidung von Land's End im äußersten Südwesten Englands bis ins gut 1.340 Kilometer entfernte John O'Groats an der nordöstlichen Spitze von Schottland zu marschieren. Das brachte ihm in der lokalen Bevölkerung den treffenden Spitznamen "the naked rambler" (der nackte Wanderer) ein.

Die Polizei fand die Angelegenheit weniger amüsant. In den Jahren von 2003 bis 2012 wurde er immer wieder wegen Exhibitionismus auf Straßen, Plätzen oder auch Flughäfen festgenommen. Seine Weigerung, bei seiner eigenen Verhandlung angezogen vor Gericht zu erscheinen, führte auch noch zu einer Verurteilung wegen Missachtung des Gerichts.

Anfangs waren die Haftstrafen milde, doch im Zuge der zahlreichen Rückfälle wurden die Richter immer strenger. Mehrere Vorschläge, milde Strafen zu verhängen, wenn er wenigstens in Zukunft bekleidet vor die Tür gehen würde, lehnte er ab. Nach jeder Haftentlassung wurde der Mann schnell wieder festgenommen, weil er erneut alle Hüllen fallen ließ, mehrfach bereits am Ausgangstor des Gefängnisses. So kam es, dass der aufs Nacktsein Versessene zwischen Mai 2006 und Oktober 2012 nur etwa eine Woche in Freiheit und insgesamt gut sieben Jahre im Gefängnis verbringen musste - in einer Einzelzelle, weil er auch hinter Gitter jede Kleidung ablehnte.

EGMR: Es fehlt ein "gewisser Grad an Ernsthaftigkeit"

Vor dem Straßburger Gericht brachte er nun vor, die britische Justiz habe mit ihren Urteilen sein Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK verletzt. Außerdem sei sein Recht auf Achtung des Privatlebens betroffen, welches durch Art. 8 EMRK geschützt werde.

Zwar räumten die Richter ein, dass der 55jährige mit seiner Nacktheit sein Recht auf Meinungsfreiheit wahrnehme. Er wolle der Öffentlichkeit mit den hüllenlosen Auftritten mitteilen, dass der menschliche Körper nicht anstößig, sondern etwas völlig Natürliches sei. Dabei sei grundsätzlich nicht nur der Inhalt der Äußerung, sondern auch die Form einer solchen geschützt. Auch erkannte das Gericht die verbüßten Freiheitsstrafen als schwere Folgen für ein an sich geringes Vergehen an.

Allerdings betonten die Richter die Eigenverantwortung des Mannes. Er habe sich vorsätzlich dazu entschieden, über mehrere Jahre hinweg trotz diverser Festnahmen und Verurteilungen gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Die nackten Auftritte hätten zudem die gesellschaftlichen Anschauungen über die "guten Sitten" verletzt, die in "jeder modernen demokratischen Gesellschaft in der ganzen Welt" gültig seien. Es ginge allgemein um den Respekt gegenüber den Gesetzen. Außerdem könne der Mann nicht für sich selbst Toleranz beanspruchen und sich gleichzeitig über die Gefühle anderer hinwegsetzen, die sein Verhalten als schockierend oder verletzend empfinden könnten. Es gebe durchaus andere Wege, die eigene Ansicht über Nacktheit zu äußern.

Das in Art. 8 EGMR geschützte Recht auf Privatleben könne niemand für sich in Anspruch nehmen, der wünsche, nackt in der Öffentlichkeit aufzutreten. Hierfür sei zumindest ein gewisser Grad an Ernsthaftigkeit zu erwarten. Diesen sahen die Richter offenbar nicht.

ahe/LTO-Redaktion

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EGMR zu "naked rambler": Kein Menschenrecht auf Nacktsein . In: Legal Tribune Online, 29.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13644/ (abgerufen am: 25.03.2023 )

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