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Razzia bei Radio Dreyeckland: War die Durch­su­chung über­trieben?

18.01.2023

Räume des "Radio Dreyeckland".

Verbände kritisieren die Maßnahme als "tiefgreifenden Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit". Foto: picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Weil der Radiosender Dreyeckland Hinweise auf das Archiv der verbotenen Vereinigung  "linksunten.indymedia" verlinkte, wird strafrechtlich ermittelt - dazu wurde bei dem Sender eine Razzia durchgeführt. War das rechtswidrig?

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Bei dem Radiosender Dreyeckland (RDL) aus Freiburg wurde am Dienstag eine Razzia durchgeführt. Grund dafür war ein verlinkter Hinweis auf das öffentlich zugängliche Archiv von "linksunten.indymedia". Dieser Verweis wurde von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vorerst als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung eingestuft.

Anlass für die durchgeführte Durchsuchung war ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer verbotenen Vereinigung und somit eines Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot (§ 85 Strafgesetzbuch (StGB)), welches auf einen schon im Juli 2022 von RDL veröffentlichten Artikel zurückzuführen sein soll. In dem Artikel berichtete der Radiosender über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen "linksunten.indymedia". Der Bericht enthält einen Verweis auf das öffentlich zugängliche Web-Archiv der ehemaligen Plattform.

Genau in dieser Verlinkung sah die Staatsanwaltschaft eine unzulässige Weiterverbreitung der verbotenen Plattform "linksunten.indymedia". Aus dem vom RDL gewählten Foto, auf dem ein Graffiti mit dem Schriftzug "Wir sind alle linksunten" zu erkennen ist, habe die Staatsanwaltschaft eine unterstützende Tendenz zu der Gruppierung abgeleitet, meint RDL in einer Pressemitteilung des Senders. Radio Dreyeckland hat eine lange Tradition als links-alternativer Sender. Er entstand aus der regionalen Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre und bekam 1988 als erstes freies Radio in Deutschland eine Sendelizenz.

"linksunten.indymedia" wurde 2017 verboten

Die Tätigkeit von linksunten.indymedia wurde durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) wegen eines Verstoßes gegen die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 3 des Vereinsgesetzes) im Jahr 2017 verboten. Die Plattform sei insbesondere von gewaltorientierten Linksextremisten genutzt worden, um dort fortlaufend öffentlich zur Begehung von Straftaten aufzufordern, zu ihnen anzuleiten oder die Begehung von Straftaten zu billigen, so das BMI. Auf der Plattform hätten sich beispielsweise Gewaltaufrufe gegen Polizeibeamte sowie Anleitungen zum Bau von zeitverzögerten Brandsätzen gefunden. Die Beiträge seien vom Betreiberteam trotz Moderation der Plattform nicht gelöscht worden.

Das Verbot von "linksunten.indymedia" blieb auch nach Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BverwG) bestehen. Nachdem die URL sowie andere im Internet auffindbare Inhalte des Vereins verboten wurden, ist das Archiv der Plattform seit Januar 2020 wieder öffentlich zugänglich.

Computer mit sensiblen redaktionellen Daten beschlagnahmt

Am Dienstagmorgen durchsuchten Einsatzkräfte dann die privaten Wohnungen von zwei Mitarbeitenden von RDL, eines Redakteurs sowie des Verantwortlichen im Sinne des Presserechts für die Website von RDL. Dabei wurden mehrere Computer, Mobiltelefone und Datenträger beschlagnahmt. Es befänden sich auch sensible, durch das Redaktionsgeheimnis geschützte Daten, heißt es in einer Pressemitteilung des RDL. Es seien auch Geräte der Lebensgefährtin eines Redakteurs von der Maßnahme betroffen, die ihren Arbeitslaptop mit sensiblen Daten im Homeoffice nutze. Die Beschlagnahme von Gegenständen in den Geschäftsräumen sei in letzter Minute verhindert worden, so RDL.

"Mindestvoraussetzung für eine Durchsuchung ist immer ein Anfangsverdacht. Es müssen also tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die für eine Straftat sprechen. Nach einer Entscheidung des OLG Stuttgart (Urteil v. 24.04.2006 – 1 Ss 449/05) kann auch das Setzen von Hyperlinks zu inkriminierten Internetinhalten eine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen", sagt Dr. Joshua Christmann, von der Strafrechtskanzlei PLAN A.

Die direkte Verlinkung sei nach dieser Entscheidung regelmäßig schon ein täterschaftliches Zugänglichmachen. Dazu brauche es auch Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln. "Hier ist allerdings kritisch, dass die verlinkte Seite selbst erklärt hat, verboten worden zu sein. Das Archiv ist dagegen weiterhin öffentlich zugänglich", so Christmann. Maßgeblich sei auch, ob die Inhalte der archivierten Beiträge Propagandamaterial i.S.v. § 86 Abs. 3 StGB darstellen, insbesondere also gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen. "Wer sich die Inhalte dagegen nicht zu eigen macht, sondern etwa nur zur Aufklärung oder zur gesellschaftlichen Diskussion auf sie verweist, macht sich nicht nach § 86 Abs. 4 StGB strafbar", meint Christmann.

Durchsuchungen im Medienbereich

"Im Rahmen von Durchsuchungen bei Medienunternehmen und bei ihren Mitarbeitenden gelten unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten besonders strenge Anforderungen", meint auch Prof. hc. Dr. Ingo Bott von der Strafrechtskanzlei PLAN A. Insbesondere sei der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Presse- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) zu berücksichtigen. Die vom Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit verwehre es dem Staat etwa, sich einen Einblick in die Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen.

"Ob der konkrete Eingriff in die Pressefreiheit gerechtfertigt ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu fragen ist dabei auch, ob es möglicherweise mildere Mittel gegeben haben könnte. Zu denken ist etwa an ein Herausgabeverlangen möglicher Hintergrundunterlagen gegenüber dem Radiosender", meint Bott. Ob und wie das erwogen worden sei, könne auf die Ferne nicht beurteilt werden. Eine Durchsuchung als Reaktion auf vermeintlichen Extremismus sei aber jedenfalls faktisch extrem. "Da das Verlinken nicht heimlich erfolgte, wirkt die Vorgehensweise der Behörden und kommunizierte Reaktion auf eine Homepage, die nur noch aus einem Archiv besteht, zumindest äußerst unglücklich", so Bott.

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) teilte auf dpa-Anfrage in Berlin mit: "Dass die Polizei in diesem Fall massiv gegen das Redaktionsgeheimnis verstößt, ist völlig unverhältnismäßig." Nicht umsonst habe das Bundesverfassungsgericht den Behörden hier sehr enge Grenzen gesetzt. "Das wirkt leider wie ein gezielter Einschüchterungsversuch gegen unliebsame Journalisten", erklärte der stellvertretende Sprecher des DJV, Paul Eschenhagen.

RDL-Geschäftsführer wehrt sich mit Beschwerde

"Die Durchsuchungen und Beschlagnahme verletzen in gravierender Weise die Rundfunkfreiheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit", teilte ebenso die Geschäftsführung von Radio Dreyeckland mit. In einer Beschwerde habe man das sofortige Auswertungsverbot aller beschlagnahmten Unterlagen beantragt. Außerdem sollten beschlagnahmte Geräte und Datenträger herausgegeben werden.

Soweit eine Beschwerde des RDL gegen die Durchsuchung und die Beschlagnahmeanordnung erfolgreich sein sollte, wäre dies bereits die zweite Anordnung in diesem Zusammenhang, die rechtswidrig durchgeführt wurde. Denn auch die die Beschlagnahmeanordnung, die bei dem Verein linksunten.indymedia angeordnet wurde, war wegen Unbestimmtheit rechtswidrig.

ku/LTO-Redaktion

Mit Material der dpa

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Razzia bei Radio Dreyeckland: War die Durchsuchung übertrieben? . In: Legal Tribune Online, 18.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50797/ (abgerufen am: 24.09.2023 )

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