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BVerfG kippt Rentenregelung für Landwirte: Bauern müssen Hof bei Ren­ten­be­ginn nicht abgeben

09.08.2018

Bauernhof bei Sonnenuntergang

© Christian Schwier-stock.adobe.com

Damit Landwirte ihre gesetzliche Altersrente beziehen können, müssen sie nach derzeitigem Recht ihren Hof abgeben. Das ist ein Eingriff in Art. 14 GG, der zwar ein legitimes Ziel verfolgt, aber ohne Härtefallregelung unverhältnismäßig ist, stellte das BVerfG fest.

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Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) muss ein Landwirt seinen Hof abgeben, wenn er seine gesetzliche Altersrente beziehen will. Die Regelung soll die frühzeitige Hofübergabe an Jüngere fördern und das durchschnittliche Lebensalters der Betriebsleiter senken. Das ist ein legitimes agrarpolitisches Ziel, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Donnerstag feststellte ( Beschl. v. 23.05.2018, Az. 1 BvR 97/14). Und doch ist die Regelung nicht mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG vereinbar.

Geklagt hatte die Ehefrau eines Landwirts, die gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 ALG selbst als Landwirtin gilt. Ihr Rentenantrag war abgelehnt worden, weil ihr Ehemann zwar das Rentenalter erreicht, seinen Hof aber noch nicht abgegeben hat.

Wie das BVerfG feststellte, liegt darin ein Eingriff in Art. 14 GG. Die Regelung übe mittelbaren Druck auf den Landwirt aus, seinen Hof abzugeben - auch wenn er das theoretisch nicht muss. Er würde dann keine Rente beziehen, obwohl über Jahrzehnte Beiträge zur gesetzlichen Alterssicherung eingezahlt hat. Dazu sind Landwirte nämlich verpflichtet. Sämtliche Beitragszahlungen gehen also vollständig verloren, wenn der Landwirt seinen Hof nicht abgibt.

Art 14 GG: ohne Härtefallregelung unverhältnismäßig 

Geradezu lehrbuchmäßig stellt das BVerfG dar, dass es sich bei dieser Regelung nicht um eine Enteignung, sondern um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handelt. Die Anforderungen an eine solche sind grundsätzlich geringer als an eine Enteignungsregelung. Die Hofabgabeklausel erfüllt jedoch auch diese Anforderungen nicht, so die Richter in Karlsruhe: Sie ist unverhältnismäßig, weil sie keine Härtefallklausel enthält. 

Das BVerfG stellt klar, dass die Regelung zwar geeignet und erforderlich ist, das agrarpolitische Ziel zu erreichen, auch ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Die Verpflichtung zur Hofabgabe ist jedoch nicht in allen Einzelfällen zumutbar. Denn es kann vorkommen, dass der Landwirt keinen Abnehmer findet. Dann bleibt ihm laut Gesetz etwa nur noch die Stilllegung des Betriebes. 

Aber auch für den Fall, dass sich ein Käufer findet, kann es sein, dass der Ertrag des Hofs nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt des Landwirts in Verbindung mit der Rente zu gewährleisten. Auch in diesen Fällen werde die Pflicht zur Hofabgabe unzumutbar, so das BVerfG. Denn der Landwirt werde gezwungen, eine Finanzquelle für das Alter aufzugeben oder zu reduzieren, um seine Rente zu bekommen. 

Art. 6 und Art. 3 GG: ein Ehepartner wirtschaftlich dominant, nicht alle Landwirte betroffen

Die Abhängigkeit des Rentenanspruchs der Bäuerin davon, dass ihr Ehemann seinerseits den Hof abgibt, sobald er selbst das Rentenalter erreicht, verletzt laut den Karlsruher Richtern zudem Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG. Die das regelnde Vorschrift des § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG mache aus der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten gemeinsamen wirtschaftlichen Verantwortung beider Ehepartner eine einseitige Bestimmungsgewalt eines der Ehepartner, nämlich desjenigen, der zuerst das Rentenalter erreicht. Der Gesetzgeber darf aber keine einseitige Dominanz eines Ehepartners bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen begründen, argumentieren die Karlsruher Richter. Das gelte vor allem für die Ausgestaltung von Pflichtversicherungen, für die der mitversicherte, später rentenberechtigte Ehegatte die Beiträge selbst zu tragen hat. 

Darüber hinaus verstießen die aktuellen Regelungen nach einer Änderung im Jahr 2012 auch gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 GG. Denn aufgrund verschiedener Ausnahmeregelungen sind nicht alle Landwirte von der Hofabgabe und ihren Folgen in gleicher Weise betroffen. So ist es etwa möglich, dass ein Ehegatte den Hof übernimmt. Ist der übernehmende Ehegatte von der Beitragspflicht in die landwirtschaftliche Alterskasse befreit, kann er den Betrieb ohne die sanktionierende Wirkung der Hofabgabeklausel weiterbewirtschaften - eine evidente Schlechterstellung gegenüber anderen Landwirten, für die es keinen Grund gibt. 

Die ohne Härtefallregelung verfassungswidrige Hofabgabeklausel darf nun nicht angewendet werden. Für nichtig erklärte das BVerfG die gesamte Regelung zum Anspruch auf Altersrente jedoch nicht. Der Gesetzgeber habe verschiedene Möglichkeiten, die Verfassungswidrigkeit zu beheben, indem er die Einzelfälle näher bestimmt, die zur Unzumutbarkeit der Hofabgabe führen.

tik/LTO-Redaktion

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BVerfG kippt Rentenregelung für Landwirte: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30251 (abgerufen am: 24.05.2025 )

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