Die Impfpflicht für Kitakinder gegen die Masern ist verfassungskonform. Das hat das BVerfG entschieden und die Verfassungsbeschwerden mehrerer Eltern abgewiesen.
Die Pflicht einer Impfung gegen die Masern für Kitakinder ist verfassungskonform. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und die Verfassungsbeschwerden mehrerer Eltern abgewiesen (Beschl. v. 21.07.2022 Az. 1 BvR 469/20 u.a.). Diese sahen in der Impfpflicht einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und ihr Erziehungsrecht als Eltern.
Tatsächlich berührt die Impfpflicht sowohl das Grundrecht auf elterliche Sorge aus Art. 6 Grundgesetz (GG) als auch das Recht der beschwerdführenden Kinder auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein, erkannte der Erste Senat des BVerfG. Beide Eingriffe seien allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Schutz der Menschen, die durch eine Maserninfektion gefährdet seien, habe Vorrang. Einen solchen könne der Gesetzgeber bestimmen, und das habe dieser mit der entsprechenden Regelung im Infektionsschutzgesetz (IfSG) ohne Verstoß gegen das Verfassungsrecht getan.
Schon in den zunächst durchgeführten Eilverfahren hatten die Verfassungsrichterinnen und -richter den Interessen der Allgemeinheit den Vorrang eingeräumt und die Eilanträge abgewiesen.
Übergangsfrist im August 2022 abgelaufen
Seit 2020 müssen Kinder, die in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut werden, die Impfung gegen Masern, eine Immunität oder eine Kontraindikation nachweisen, § 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG. So sollen Ausbrüche der Viruserkrankung verhindert werden. Der Bundestag hatte die Impfpflicht im November 2019 beschlossen.
Zwei Jahre galt nun eine Übergangsfrist, seit August 2022 müssen nun auch Kinder den Nachweis erbringen, die bereits eine Einrichtung besuchen. Bei Verstößen kann die Betreuung versagt werden, bei schulpflichtigen Kindern drohen Bußgelder von bis zu 2.500 Euro. Zwangsgeimpft wird in Deutschland allerdings niemand.
Die beschwerdeführenden Kinder sind nicht geimpft, nicht immun und es sprechen keine medizinischen Gründe gegen eine Impfung. Sie meinten, in der Impfpflicht liege ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit. Dies insbesondere, weil der in Deutschland verwendete Impfstoff kein Monoimpfstoff, sondern eine Vierfachimpfung ist, die neben Masern zugleich gegen Mumps, Röteln und Windpocken schützt.
IfSG erfordert verfassungskonforme Auslegung
Der Erste Senat erkannte zunächst zwei mittelbare zielgerichtete Eingriffe durch die Regelung im IfSG: in das Elternrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder.
Wenn die Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen, könnten sie nicht mehr dem Wunsch der frühkindlichen Betreuung in einem Kindergarten nachgehen. Das sei ein Eingriff in das Elternrecht. Und auch die Kinder würden in ihrem Grundrecht berührt. Beide Wirkungen greifen hier stark ineinander, erkannte der Senat – und das sei auch vom Gesetzgeber bezweckt. Wenn die Kinder betreut werden sollen, müssen die Eltern impfen lassen. Genau diesen Druck habe der Gesetzgeber intendiert, um die Betreuungsangebote wahrnehmen zu können.
Beide Eingriffe seien allerdings "allein bei verfassungskonformer Auslegung von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG gerechtfertigt", entschied der Senat. Dann genügten sie den Anforderungen des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts und seien im verfassungsrechtlichen Sinn verhältnismäßig.
Zwar wird in Deutschland tatsächlich ein Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken verwendet, das ist in der entscheidenden Regelung des § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG auch so vorgesehen. Nach dem Wortlaut der Norm besteht nicht einmal eine Beschränkung derjenigen Krankheiten, bezüglich derer Impfstoffkomponenten in einem Mehrfachimpfstoff enthalten sein dürfen. Das BVerfG hält eine solche Beschränkung aber für geboten, um zu der verfassungskonformen Auslegung zu gelangen.
"Impfung ist zumutbar"
Außerdem könne die Impfung vieler die wenigen schützen, die sich (noch) nicht impfen lassen könnten und dies könne dazu führen, die Anzahl der Infektionen gering zu halten. Für die Beschwerdeführenden sei eine Impfung in Hinblick darauf zumutbar.
Denn abzuwägen seien die körperliche Unversehrtheit der Kinder und das Elternrecht gegen die Gesundheit und das Leben einer Vielzahl von Menschen, insbesondere den vulnerablen Personen. "Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher eine Schutzpflicht des Staates folgen, die eine Risikovorsorge gegen Gesundheitsgefährdungen umfasst", so das BVerfG.
Angesichts der sehr hohen Ansteckungsgefahr bei Masern und den mit einer Masernerkrankung verbundenen Risiken eines schweren Verlaufs bestehe eine beträchtliche Gefährdung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit Dritter. Die Annahme des Gesetzgebers, ohne die in den angegriffenen Regelungen getroffenen Maßnahmen würde die Impfquote weiter stagnieren und gleichzeitig könne die Anzahl der Masernausbrüche in Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege steigen, beruhe auf tragfähigen Grundlagen und sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, entschied daher das Gericht. Mit der steigenden Impfquote steige zudem die Möglichkeit, dass Masern als Erkrankung ausgerottet wird.. Diese realistische Chance auf Ausrottung der Krankheit stütze die staatliche Schutzpflicht.
Die Impfung mit zusätzlichen Wirkstoffen müssten die Eltern in dem Fall hinnehmen, und das obwohl weder ein mit Masern vergleichbar hohes Infektionsrisiko bestehe noch entsprechende schwere Krankheitsverläufe eintreten können, so das BVerfG.
Rixen: "Verhältnismäßigkeit auf Leerlauf"
"Für die Eltern und Kinder ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine große Enttäuschung", teilte Professor Dr. Stephan Rixen, Vertreter der Beschwerdeführenden auf Anfrage von LTO mit. Das BVerfG räume dem Gesetzgeber einen kaum begrenzten Gestaltungsspielraum ein, "Karlsruhe stellt die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nahezu auf Leerlauf", meint Rixen. Das sei schon bei der Prüfung der einrichtungsbezogenen COVID-19-Impfpflicht so gewesen und sei jetzt nicht anders. Karlsruhe lasse ohne differenzierte Prüfung jede mehr oder weniger plausible Einschätzung des Gesetzgebers genügen. "Auf diese Weise", so Rixen, "lässt sich auch in Zukunft jede Impfpflicht, ja jede gesundheitsrelevante Inpflichtnahme begründen."
Stephan Rixen (damals Universität Bayreuth, heute Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln) hat die Beschwerdeführenden in den Verfassungsbeschwerden gemeinsam mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Jan Matthias Hesse (Keller & Kollegen, Stuttgart) vertreten.
Der Artikel entspricht der Version vom 18.08.2022, 12:54 Uhr
BVerfG bestätigt Masern-Impfpflicht: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49348 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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