Seit Dienstag hat Brandenburg eine gesetzlich festgelegte Quote für Kandidatenlisten der Landtagswahlen. In mehreren Ländern wird über ähnliche Regelungen diskutiert. Doch es gibt rechtliche Bedenken.
Hamburg hat die Nase vorn, Sachsen-Anhalt ist Schlusslicht: Wenn es um den Frauenanteil in den Landesparlamenten geht, sind die Unterschiede in Deutschland groß. In der Hamburger Bürgerschaft sind 55 der 123 Abgeordneten weiblich, das entspricht einer Quote von knapp 48 Prozent, in Sachsen-Anhalt sind es nur 19 von 87 also rund 22 Prozent. Brandenburg liegt mit einem Anteil von etwas über einem Drittel im Mittelfeld. Das soll sich ändern: Seit Dienstag ist in Brandenburg das Paritätsgesetz in Kraft.
Die Änderung des Landeswahlgesetzes soll aber erst bei künftigen Landtagswahlen dafür sorgen, dass gleich viele Frauen und Männer auf den Kandidatenlisten der Parteien berücksichtigt werden. Die nächste Landtagswahl ist im Jahr 2024 vorgesehen. Als erstes Bundesland hatte Brandenburg im vergangenen Jahr ein Paritätsgesetz für mehr Gleichstellung bei Wahllisten der Parteien beschlossen. Transgender sollen entscheiden, ob sie auf der Männer- oder Frauenliste antreten. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bleiben die Direktkandidaten in den Wahlkreisen ausgenommen.
"Gesetzliche Regelungen alleine reichen zwar nicht, sie erhöhen aber den Druck, die Voraussetzungen für Frauen zu verändern", sagt die Brandenburger SPD-Landtagsabgeordnete Elske Hildebrandt. Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke betont, das Paritätsgesetz sei überfällig gewesen. "Mit unserem Paritégesetz waren wir bundesweit Vorreiter." Allerdings: "Es ist juristisch umstritten. Wenn man aber niemals mutig ist, wird es nichts."
Mehrere Bundesländer diskutieren Paritätsregelung
Nun entscheidet erstmal das Verfassungsgericht Brandenburg über das Gesetz, das Grüne und die rot-rote Koalition auf den Weg brachten. Die Piratenpartei, die NPD, die AfD und eine Privatperson hatten sich an das Gericht gewandt, sie wollen das Paritätsgesetz kippen. Auch die CDU, damals in der Opposition, hielt das verabschiedete Gesetz für verfassungswidrig.
Thüringen änderte im vergangenen Jahr ebenfalls sein Landeswahlgesetz, um mehr Frauen ins Parlament zu bringen. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) kündigte aber nach seiner Wiederwahl im März an, die Paritätsregelung außer Kraft zu setzen. Damit will er die Pläne für eine vorgezogene Landtagswahl 2021 rechtlich nicht gefährden. Denn auch dort entscheiden erstmal die Verfassungsrichter: Am 15. Juli soll ein Grundsatzurteil fallen, ob Parteien die paritätische Besetzung ihrer Wahllisten mit Frauen und Männern per Gesetz vorgeschrieben werden kann.
In mehreren Bundesländern wird über eine Paritätsregelung diskutiert. So gibt es in Berlin Überlegungen in der rot-rot-grünen Koalition. In Bremen vereinbarte Rot-Grün-Rot im Koalitionsvertrag, ein Gesetz nach Brandenburger Modell zu prüfen. In Hamburg soll sich die neue Bürgerschaft für paritätische Wahllisten einsetzen. In Niedersachsen kündigte die SPD einen Vorschlag an, nachdem Ministerpräsident Stephan Weil für eine Änderung des Wahlrechts plädiert hatte. In Rheinland-Pfalz sprach sich Frauenministerin Anne Spiegel (Grüne) 2019 für ein Paritätsgesetz aus. Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) hält eine solche Regelung dagegen für rechtlich angreifbar.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Ist es ein Schritt zur gleichberechtigten demokratischen Teilhabe oder ein ungerechtfertigter Eingriff in die Parteienrechte? Das Paritätsgesetz ist umstritten. Die Düsseldorfer Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger sieht einen sehr intensiven Eingriff in die passive Wahlrechtsgleichheit aus der Landesverfassung: "Man darf als Frau nicht auf einer Männerliste kandidieren und als Mann nicht auf einer Frauenliste, das heißt, man wird nicht gleichbehandelt", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur nach der Entscheidung im Landtag. Zudem sei die Freiheit der Parteien betroffen, weil die Parteien in ihrer Kandidatenaufstellung eingeschränkt würden, wie sie der Neuen Juristischen Wochenschrift sagte.
Noch vor dem Beschluss des Brandenburger Landtags im Januar 2019 erklärte der Parlamentarische Beratungsdienst in einem Gutachten 2018, der Gesetzentwurf verstoße gegen das Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, gegen die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und der Wahlgleichheit und das Demokratieprinzip sowie gegen den Verfassungsstatus politischer Parteien. Er bezieht sich dabei jeweils auf die Landesverfassung und das Grundgesetz.
Zu einem ähnlichen Schluss kamen zuvor die Berater des Berliner Abgeordnetenhauses. In der Klageschrift zum Organstreitverfahren der Piratenpartei Brandenburg gegen den Landtag heißt es, die Parteienfreiheit, die Chancengleichheit der Parteien sowie die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und der Wahlgleichheit würden verletzt.
Mit Blick auf die ausstehende Entscheidung des Verfassungsgerichts betont Elske Hildebrandt: Sollten Aspekte unberücksichtigt worden sein, "werden wir die vom Gericht erhaltenen Hinweise in das Gesetz einarbeiten. Am Ziel 50/50 ändert das nichts".
dpa/acr/LTO-Redaktion
Mehr Frauen ins Parlament: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42053 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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